§§677 - 687 Geschäftsführung ohne Auftrag

I. Einführung in die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Liest man die Paragraphen zur Geschäftsführung ohne Auftrag (§§677 - 687 BGB - ruhig auch mal lesen!), steht man wohl zunächst vor einem Problem. Denn sie sind gespickt mit Verweisen auf andere Paragraphen (nämlich die des Auftragsrechts) und gekennzeichnet durch eine etwas alte Sprache, was zum Verständnis nicht gerade beiträgt.

Zunächst zum Zweck dieser Vorschriften: Verrichtet jemand für einen anderen irgendwelche Geschäfte, dann sollte es schon geregelt sein, wer nun die Nutzen aus dem Geschäft erhält, wer für etwaige Aufwendungen gerade stehen muss, etc. Das spezielle an der ganzen Angelegenheit ist, dass demjenigen der das Geschäft verrichtet (wir nennen ihn ab jetzt mal den Geschäftsführer) eigentlich die Legitimation dazu fehlt, bzw. fehlt ein erteilter Auftrag oder eine Befugnis aus einem anderen Rechtsgrund (z.B. aus einem Dienstvertrag, etc.)1. Derjenige für den dieses Geschäft dann erledigt wird (wir nenne ihn Geschäftsherr) kann also auch vollkommen unwissend sein. Ein weiterer Zweck der GoA besteht darin, Not- und Menschenhilfe zu fördern. Der zu Hilfe Eilende soll in seiner Entscheidung, Hilfe zu leisten, gerade nicht eingeengt werden durch Fragen nach dem Ersatz der Kosten der Hilfeleistung.
Andererseits soll der Geschäftsherr vor "selbsternannten Rettern" (Schwabe, SR II, S. 317) geschützt werden, bzw. vor aufgedrängten Geschäftsbesorgungen, die nicht seinem Willen entsprechen.

Die systematische Einordnung der GoA in die einzelnen vertraglichen Schuldverhältnisse gibt zudem einen Hinweis darauf, was für ein Maßstab für eine sach- und interessengerechte Verteilung der Risiken anzusetzen ist: nämlich der Maßstab eines hypothetischen Vertrages.

Gucken wir uns das jetzt mal genauer an. Wir haben bei der GoA also

  1. Eine Geschäftsbesorgung
  2. das für jemanden besorgt wird
  3. mit dem Willen des Geschäftsführers, für einen anderen tätig zu werden,
  4. bei gleichzeitigem Fehlen eines Auftrags, o.ä..
  5. Und, das kommt noch hinzu, die Berechtigung zur GoA (was das ist, kommt sofort)

Schaut man mal in den §677 BGB findet man einen Anhaltspunkt, was mit Berechtigung gemeint ist: Die Geschäftsbesorgung (also die eigentliche Tätigkeit) des Geschäftsführers muss demnach nämlich entweder dem tatsächlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen oder zumindest seinem mutmaßlichen. Konkretisiert wird dies durch die erste Anspruchsgrundlage, die wir hier nun kennenlernen: Aufwendungen bekommt der Geschäftsführer nämlich gem. §683 BGB nur dann ersetzt, wenn die Geschäftsführung dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Interesse des Geschäftsherrn entsprache (nachlesen!). Selbstredend (wir wären ja nicht beim Thema Jura, wenn das nicht so wäre) gibt es aber auch Ausnahmen, dazu aber später mehr.
 

Wir können also schon mal eine einfache Unterscheidung vornehmen: Liegen alle oben genannte Voraussetzungen vor handelt es sich um eine "echte, berechtigte GoA".  Fehlt dagegen die Berechtigung zur Geschäftsführung spricht man von einer "echten, unberechtigten GoA".

Stellt sich nun die Frage, was es mit dem Wörtchen "echt" auf sich hat, denn, wenn etwas mit "echt" bezeichnet wird, muss (selbstverständlich) auch etwas geben, was mit "unecht" bezeichnet wird. Lesen wir mal §687 BGB, der bereits mit der Überschrift "Unechte Geschäftsführung" betitelt ist. Im ersten Absatz dieser Vorschrift geht um die Fremdartigkeit des besorgten Geschäfts und um den Fremdgeschäftsführungswillen des Geschäftsführers (Punkt 2 der obigen Liste). Dieser ist in solchen Fällen nicht wirklich vorhanden. Der Geschäftsführer geht nämlich davon aus, dass er ein eigenes Geschäft besorgt. Ihm fehlt also das Bewusstsein ein fremdes Geschäft zu besorgen. Darüber ist er jedoch im Irrtum, denn tatsächlich besorgt er ein Geschäft für einen anderen. Diese Form der unechten GoA heißt "unechte irrtümliche GoA" oder "irrtümliche Eigengeschäftsführung".

Etwas anderes lesen wir in Abs. 2: Hier geht es darum, dass der Geschäftsführer sich zwar durchaus bewusst darüber ist, dass er ein fremdes Geschäft führt, aber es wie sein eigenes behandelt, ihm also der Wille, auch ein fremdes Geschäft zu führen, fehlt. Diese Form nennt sich "angemaßte Eigengeschäftsführung". Bei beiden Varianten gibt es also ein Problem mit dem subjektiven Element der Geschäftsführung.

Hier ein Überblick über die verschiedenen Arten: 

 

II. Die Echte berechtigte GoA

Wie wir oben bereits festgestellt haben, läuft eigentlich bei der echten berechtigten GoA alles so ab, wie man sich das vorstellt: Jemand besorgt für einen anderen ein Geschäft, das dessem Willen entspricht. Wir haben also den Grundfall der GoA vorliegen. Aber auch hier stellen sich natürlich Fragen bezüglich etwaigen Ansprüchen, die der Geschäftsherr und der Geschäftsführer geltend machen können und welche Pflichten durch die GoA für die beiden Parteien entstehen. Es handelt sich nämlich dann um ein (wenn auch gesetzliches) Schuldverhältnis, das für die Parteien Rechte und Pflichten entstehen lässt.

Dazu erst mal folgender Fall:

Der GF (Geschäftsführer) befindet sich spät nachts auf dem Weg nach Hause. Dabei geht er stets durch den an einem Krankenhaus gelegenen Stadtpark. Im Park sieht er in einem Gebüsch den GH liegen (Geschäftsherrn). Dieser blutet stark und ist bewusstlos. GF trägt den GH in das nahe Krankenhaus, in dem GH versorgt werden kann.  Dabei erkannte er zutreffend, dass dies die schnellste und bestmöglichste Art war, dem GH zu helfen. Nach der turbulenten Nacht bemerkt GF am nächsten Morgen, dass seine neue Lammfelljacke mit dem Blut des GH verunreinigt ist. Er wendet sich an Sie mit der Frage, ob er die Reinigung der Lammfelljacke von GH bezahlt bekommen kann.

Damit der GF hier überhaupt etwas bekommen kann, benötigen wir zunächst natürlich eine Anspruchsgrundlage. Hier kommt der §683 S.1 BGB für uns in Betracht, denn der Paragraph will Aufwendungen, die der GF im Zuge seiner Geschäftsbesorgung gemacht hat, durch den Geschäftsherrn ersetzen lassen (lesen!). Das klingt doch schon mal ganz gut. Voraussetzung hierfür ist zunächst aber einmal grundsätzlich das Vorliegen einer GoA im Sinne des §677 BGB - also einer echten und berechtigten GoA. Da der §683 S.1 BGB auf das Auftragsrecht verweist, benötigen wir für unsere Anspruchskette noch einen entsprechenden Paragraphen aus dem Auftragrecht (§§662 - 674 BGB). Schauen wir doch da mal kurz rein. Dort finden wir dann (relativ fix) den §670 BGB, der den Aufwendungsersatz beim Auftrag regelt. Somit haben wir schon mal unsere Anspruchskette und können also einen Obersatz formulieren:

Der GF könnte gegen den GH einen Anspruch auf Ersatz der Reinigungskosten  gem. §§677, 683 S.1, 670 BGB haben.

So und nun müssen wir uns um die Voraussetzungen für diesen Anspruch kümmern (lies noch mal die §§-Kette!). Das sind erst mal - ganz einfach wie oben - folgende:

  1. Geschäftsbesorgung
  2. Fremdheit des Geschäfts
  3. Fremdgeschäftsführungswille
  4. Das Fehlen eines anderen Rechtsgrundes (Auftrag, etc.)
  5. Berechtigung zur GoA


 1. Die Geschäftsbesorgung

Wir brauchen also als erstes eine Geschäftsbesorgung, welche wie folgt definiert wird:

Unter der Besorgung eines Geschäfts iSd §677 ist nicht nur eine Geschäftsbesorgung im engeren Sinn zu verstehen, sondern prinzipiell die Besorgung jeder Angelegenheit, gleich welcher Art sie ist.2

Umfasst sind also alle Tätigkeiten, ob sie nun rechtsgeschäftlicher Art sind oder ob sie tatsächlicher Art sind. Das das Verhalten des GF hier als Geschäftsbesorgung zu werten ist, steht wohl außer Frage, denn es liegt eine Tätigkeit vor.

2. Fremdheit des Geschäfts

(Kurz vorweg: Die meisten Lehrbücher behandeln die Punkte "Fremdheit des Geschäfts" und "Fremdgeschäftsführungswille" als einen Punkt, sodass es in der Bearbeitung von Fällen, bzw. in der Erarbeitung der Thematik per se durchaus einmal zu Überschneidungen kommen kann.)

Diese von dem GF verrichtete Tätigkeit müsste nun für "einen anderen" erfolgen. Das ist dann der Fall,

wenn es sich bei dem Geschäft um eine Angelegenheit des anderen handelt3.

Gehört ein Geschäft also äußerlich erkennbar in den Interessenskreis eines anderen, so liegt ein sogenanntes "objektiv-fremdes Geschäft" vor. So und nun stoßen wir auf ein kleines Problem: der GF handelt  in unserem Fall selbstverständlich im Interesse des GH, er könnte aber auch in einem eigenen Interesse gehandelt haben. Denn ihn trifft auch eine Pflicht aus §323c StGB, nämlich dem GH hilfe zu leisten. Sein Interesse könnte so beschrieben werden:
Der GF hat hier ein Interesse daran, dem GH zu helfen, um selbst nicht strafrechtlich nach dem §323c StGB belangt werden zu können. Er kommt somit einer ihm obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflicht nach und nimmt so zwar durchaus die Angelegenheit eines anderen war, handelt jedoch auch gleichzeitig im eigenen Interesse. Diese Konstellation wird "Auch - fremdes Geschäft" genannt.

Die Unterscheidung zwischen "objektiv-fremden Geschäften", "Auch-fremden Geschäften" und "subjektiv-fremden Geschäften" (dazu sogleich unten) ist wichtig für die Frage nach der Beweislast, wenn es um die Voraussetzung des Fremdgeschäftsführungswillen geht, der im Streitfall normalerweise vom Geschäftsführer bewiesen werden muss4. Es kommt also auch für uns auf diese Unterscheidung an, wenn wir uns gleich um den Fremdgeschäftsführungswillen kümmern.

Beim "Auch - fremden Geschäft" haben sich ein paar Fallgruppen herauskristalisiert, die hier kurz vorgestellt werden sollen:
 

  1. Allgemeine Öffentlich-Rechtliche Verpflichtung
    Diese Fallgruppe haben wir soeben kennen gelernt. Hier handelt der Geschäftsführer auch auf Grund einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung (z.B. die des §323c StGB)
     
  2. Spezielle Öffentlich-Rechtliche Verpflichtung
    Hier wird jemand auf Grund einer speziellen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung tätig. Ein bekannter Fall ist der "Funkenflugfall5". Hier wurde die von einer Gemeinde unterhaltene Feuerwehr tätig, weil eine Lokomotive der Bundesbahn Funken schlug und dadurch einen Waldbrand auslöste. Sie verlangte Ersatz der dadurch entstandenen Kosten von der Bundesbahn.

    Wir haben es hier also mit einer Behörde / Beliehenen zu tun, die zum Zweck der Gefahrenabwehr eingreift. Das Interesse der Bahn am Löscheinsatz wurde damit begründet, dass die Bahn ein Interesse habe, den von ihr verschuldensunabhängig zu ersetzenden Sachschaden, möglichst gering zu halten.
     

  3. Handeln auf Grund wirksamer / unwirksamer Vertragsverhältnisse mit dem Geschäftsherrn oder einem Dritten.

    Beispiele nach Larenz §57 I:
    1. Ein Auto wird von einem Unternehmer auf Veranlassung der Polizei abgeschleppt
    2. Das Krankenhaus, das den Patienten A behandelt hat, wendet sich an den für A zu Unterhalt verpflichteten B und will von ihm die Kosten für die Behandlung haben.
       
  4. In der vierten Fallgruppe geht es um Konstellationen, in denen eine gemeinsame Schuldnerschaft gegenüber Dritten besteht. Ein bekanntes Beispiel hierzu ist der "Fuldaer Dombrandfall6". Hier wurde anlässlich der Bonifatius-Jubelfeier ein Drogerist vom bischöflichen Stuhl (also vom Bischof als Rechtssubjekt) beauftragt, ein Feuerwerk zu veranstalten. Der Drogerist setzte dann fahrlässig den Dachstuhl des Doms in Brand. Der Drogerist war somit nach §823 I BGB der Diozöse zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Zusätzlich oblag dem preußischen Staat damals die Kirchbaulast. Die Diozöse hatte also auch einen Anspruch auf den Ersatz des Schadens (bzw. auf Instandsetzung) gegenüber dem preußischen Staat. Der preußische Staat wollte selbstredend nicht auf den Kosten sitzen bleiben, kam jedoch auch über eine mögliche Gesamtschuldnerschaft (§840 BGB)  nicht zum gewünschten Ergebnis, da die Verpflichtungen nicht gleichrangig waren. Das Reichsgericht löste die Problematik damals über die GoA (der preußische Staat war also für den Drogeristen tätig geworden), was heute abgelehnt wird7.

    Eine ähnliche Konstruktion: Ein Autofahrer fährt einen sechjährigen Jugen an. Dieser hat somit einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen den Autofahrer. Die Mutter des Jungen bringt ihn ins Krankenhaus und bezahlt die Behandlungskosten, worauf der Junge gem. der Unterhaltspflicht der Mutter auch einen Anspruch hat (§§1601ff. BGB).

So und nun müssen wir uns noch der Vollständigkeit halb um das "subjektiv-fremde" Geschäft kümmern. Kennzeichnend ist, dass objektiv ein neutrales Geschäft vorliegt, jedoch die subjektive Einstellung des Geschäftsführers dieses Geschäft zu einem fremden werden lässt8.

So und passend zu "subjektiv - fremden Geschäft" kommen wir nun auch zur subjektiven Seite der GoA - dem Fremdgeschäftführungswillen:

 

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  1. Musielak Rdn. 693
  2. Larenz §57 I
  3. Larenz §57 I
  4. Musielak Rdn. 697
  5. BGHZ 40,28 | Zum Urteil
  6. RGZ 82, 214
  7. Larenz §57 I
  8. Musielak Rdn. 697