Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)

Wie bereits oben geschrieben, ist neben einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg auch eine objektive Zurechnung des Erfolges erforderlich. Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter eine unerlaubte, rechtlich relevante Gefahr geschaffen oder erhöht hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.

Diese Formel lässt sich weiter aufdröseln. Zum einen in die unerlaubte, rechtlich relevante Gefahr, in deren Rahmen folgende Einschränkungen oder mögliche Ausschlüsse zu berücksichtigen sind:

  • Schutzzweck der verletzten Norm

  • Allgemeines und erlaubtes Lebensrisiko

  • Freiverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers

  • Atypischer Kausalverlauf bzw. fehlende Beherrschbarkeit

Ist eine solche Gefahr gegeben, ist weiter zu prüfen, ob der Täter diese geschaffen oder erhöht hat. Hieran fehlt es im Rahmen einer Risikoverringerung.

Abschließend muss sich die Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert haben. Dies ist nicht gegeben, bei:

  • Eigenverantwortlichem Dazwischentreten eines Dritten

  • Fehlen eines Pflichtwidrigkeitszusammenhangs oder rechtmäßigem Alternativverhalten (iRv Fahrlässigkeitsdelikten)

Die einzelnen Punkte lassen sich in der Regel kaum voneinander trennen und überschneiden sich teilweise. Daher dient die Aufzählung allein als „Checkliste“, um keinen möglichen Aspekt in der Klausur zu übersehen.

1. Schutzzweck der Norm

Nicht jeder Verstoß gegen eine Verhaltensnorm genügt bereits für die objektive Zurechnung. Das Verhalten muss eine rechtlich relevante Gefahr schaffen, die den Schutzzweck der Norm in rechtlich missbilligender Weise beeinträchtigt.

2. Allgemeines bzw. erlaubtes Lebensrisiko

Eine rechtlich relevante Gefahr liegt nicht vor, wenn diese nicht das allgemeine bzw. erlaubte Risiko des Lebens überschreitet. Davon sind vor allem entfernte Bedingungen für den Erfolg erfasst, z.B. die Risiken einer Teilnahme an dem öffentlichen Straßenverkehr. Selbst wenn erhebliche Gefahren hervorgerufen werden, können diese unerheblich sein, sofern sie erlaubt sind, z.B. besonders gefährliche Sportarten.

Bsp.:
a) A schickt den B auf eine Flugreise nach Kolumbien, in der Hoffnung er werde dort erschossen.
b) C überredet den D zu der Teilnahme an einem Boxwettkampf, weil er hofft, dass D schwer entstellt wird.

3. Freiverantwortliche Selbstgefährdung

Grundsätzlich kann jedem nur sein eigenes Verhalten zugerechnet werden. Daher muss eine Zurechnung dort enden, wo die Eigenverantwortlichkeit des Opfers beginnt oder Dritte vorsätzlich oder fahrlässig in den Geschehensverlauf eingreifen.

Bei einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung begibt sich das Opfer willentlich und wissentlich selbst in eine bereits bestehende Gefahr. Selbst wenn diese Gefahr von einem Dritten veranlasst, ermöglicht oder sonst wie gefördert wird, agiert der Dritte allenfalls als Teilnehmer. Dem Dritten kann im Rahmen einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung ein Erfolg aufgrund des eigenen Verantwortungsbereichs des Opfers nicht (mehr) zugerechnet werden. In diesen Fällen liegt die Tatherrschaft – bzw. das vom Vorsatz umfasste „In den Händen halten“ des Geschehensablaufs (später mehr) – bei dem Opfer selbst. So endet der Schutzbereich einer Norm idR dort, wo der eigene Verantwortungsbereich des Opfers beginnt. Dies entspricht insofern auch dem Autonomieprinzip des Strafrechts, welches vor Eingriffen Dritter schützen soll, nicht aber das Opfer vor sich selbst.

4. Einvernehmlichen Fremdgefährdung

Anders liegt der Fall bei einer einvernehmlichen Fremdgefährdung. Bei einer solchen begibt sich das Opfer in vollem Risikobewusstsein in eine Gefahr, die von einem anderen ausgeht. Entscheidend bei der Abgrenzung zu der freiverantwortlichen Selbstgefährdung ist, dass in diesen Fällen die Tatherrschaft bei dem Täter – folglich nicht bei dem Opfer – liegt. Das heißt, die Gefahr geht vom Täter aus, ist von ihm evtl. erschaffen worden und er allein hat die Kontrolle über diese. In diesen Fällen kann ein tatbestandsausschließendes Einverständnis oder eine rechtfertigende Einwilligung des Opfers der Strafbarkeit des Täters entgegenstehen (später mehr). Die objektive Zurechnung liegt jedoch vor und der objektive Tatbestand ist insoweit erfüllt.

5. Atypische Kausalverläufe

Atypische Kausalverläufe sind gegeben, wenn der eingetretene Erfolg komplett außerhalb dessen liegt, mit dem jemand nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach allgemeiner Lebenserfahrung rechnen konnte. Solche Erfolge sind so entfernt mit dem eigentlichen Handeln verknüpft, dass der eigentlich strafbare Erfolg nicht mehr als Erfolg der Handlung angesehen werden kann. Er ist insoweit dem Täter nicht mehr zurechenbar.

6. Risikoverringerung

Eine Zurechnung wird verneint, wenn eine bereits bestehende Gefahr abgeschwächt wird, indem das Verletzungsrisiko oder der Umfang des drohenden Schadens gemindert wird. Dies sind die Fälle, in denen jemand versucht das Opfer zu retten, aber die Gefahr nicht ganz bzw. nur teilweise abwenden kann. Es darf jedoch dadurch keine eigene, andere Gefahr für das Opfer begründet werden, die sich in einem eigenen konkreten Erfolg verwirklicht.
A schießt auf B und zielt dabei auf Brusthöhe. Der C zieht den B in letzter Sekunde aus der Schussbahn, sodass B nur einen Streifschuss an der Schulter erleidet.

7. Dazwischentreten eines Dritten

Grundsätzlich muss auch hier gelten, dass dem Täter nur sein eigenes Verhalten – nicht aber das eines Dritten – zugerechnet werden kann. Solange der Ursächlichkeitszusammenhang zwischen Täterverhalten und Erfolg nicht unterbrochen ist, erfolgt eine Zurechnung. Erst wenn der Dritte eine neue selbstständige Gefahr schafft, dich sich auch ganz überwiegend im Erfolg realisiert, liegt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch ihn vor.

Z.B. B verletzt fahrlässig den C bei Bauarbeiten schwer am Bein. Der Arzt A begeht bei der Behandlung des C einen groben ärztlichen Kunstfehler, der zu dessen Tod führt.

Nach h.M. kann der Tod des C dem B nicht mehr zugerechnet werden, da es aufgrund des Verhaltens des A zu einer Verantwortungsverschiebung in Form einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs kommt. Anders läge der Fall bei einem leichten Kunstfehler des Arztes, da mit solchen immer zurechnen sei und folglich noch in den Verantwortungsbereich des B fallen würde.

Die Lit. möchte in solchen Fällen danach unterscheiden, ob eine neue Gefahrenquelle geschaffen wurde oder allein die Ausgangsgefahr nicht mehr abgewendet werden konnte.

Gegen die Literaturansicht spricht jedoch, dass mit jeder Verletzung, die eine ärztliche Behandlung bedarf, auch die ärztlichen Gefahren (ohne weitere Differenzierung) grundsätzlich eröffnet werden. Sie bietet insofern keine klaren Abgrenzungskriterien. Es empfiehlt sich folglich der h.M., die eine Unterbrechung der Zurechnung erst bei groben ärztlichem Fehlverhalten annimmt, zu folgen.

8. Pflichtwidrigkeitszusammenhang

Eine wichtige Rolle in Klausuren spielt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei Fahrlässigkeitsdelikten. Es handelt sich bei diesem um den Zurechnungszusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und der Verletzung des Opfers.

Problem: rechtmäßiges Alternativverhalten (iRv Fahrlässigkeitsdelikten)
Lastwagenfahrer A überholt den Fahrradfahrer B nicht mit dem vorgeschriebenen Seitenabstand. B gerät unter den LKW und stirbt. Ein Sachverständiger stellt fest, dass auch bei ordnungs-gemäßem Abstand der Unfall erfolgt wäre und B gestorben wäre (sehr verkürzt dargestellt).

Problematisch ist der Fall, wenn ein pflichtwidriges Verhalten des Täters vorliegt, durch welches das Opfer verletzt wurde und dieser Verletzungserfolg auch bei einem rechtmäßigen Verhalten des Täters eingetreten wäre.

Nach BGH ist ein Zurechnungszusammenhang nur dann gegeben, wenn der Erfolg bei rechtmäßigen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre (sog. Vermeidbarkeitstheorie). Es ist somit der Umstand hinwegzudenken, der die Gefahr zu einer unerlaubten macht. Sind trotz dessen geringste Zweifel eines Erfolgseintritts gegeben, ist eine Zurechnung anzunehmen. Anders gesagt, wenn bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Erfolg eingetreten wäre, kann eine Zurechnung abgelehnt werden.

Eine von Roxin vertretene Risikoerhöhungslehre lässt eine Zurechnung bestehen, wenn der Täter die Gefahr unerlaubt erhöht hat und der Erfolg bei rechtmäßigen Alternativverhalten möglicherweise ausgeblieben wäre.
Gegen diese Ansicht spricht jedoch bereits der in-dubio-pro-reo Grundsatz. Es würde nämlich zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Täters führen, die das Strafrecht nicht kennt. Außerdem würden Erfolgsdelikte zu Gefährdungsdelikten umqualifiziert werden, welches vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war.