Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)
Ein Unterlassen kann ausnahmsweise auch in einem positiven Tun liegen. Diese Fallgruppe wird vor allem in drei Konstellationen wichtig:
1. Abbruch von Rettungsmaßnahmen
Der Täter bricht eine von sich selbst begonnene Rettungsmaßnahme ab, z.B. nach Auffinden eines Unfallopfers und zunächst begonnener Herz-Rhythmus-Massage hört er mit dieser wieder auf. Er schafft dadurch weder eine neue Gefahr für das Opfer noch erhöht er die bereits vorliegende Gefahr. Vielmehr setzt nach Abbruch der Rettungsmaßnahmen nur der ursprüngliche Gefahrenverlauf wieder ein. Es liegt folglich dieselbe Situation vor, als wenn er gar nicht erst begonnen hätte zu helfen, sodass ein Unterlassen anzunehmen ist.
2. Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen
In diesen Fällen muss zwischen einem Patienten, bei dem feststeht, dass das Leben unaufhaltsam erlöschen wird und einem Patienten, dem noch geholfen werden kann, unterschieden werden. Besteht keine Möglichkeit mehr das Leben zu retten, besteht auch keine Pflicht mehr zur Weiterbehandlung, sodass den Arzt keine Garantenstellung mehr trifft. Besteht hingegen noch eine gewisse lebenserhaltende Chance bzw. ist noch keine unmittelbare Todesnähe gegeben, besteht dementsprechend auch eine Pflicht und Garantenstellung des Arztes.
Fraglich ist, ob ein Unterlassen in der Nichtvornahme der weiteren Behandlung oder ein positives Tun in dem Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen zu sehen ist. Diese Abgrenzung kann in vielen Fällen problematisch sein, wie z.B. wenn der Arzt das Beatmungsgerät abschaltet. In dem Abschalten liegt einerseits ein aktives Tun und anderseits ein Unterlassen der Weiterbehandlung.
Die h.M. sieht darin zwar vordergründig ein positives Tun, behandelt es aber aus normativen Gesichtspunkten als ein reines Unterlassen der Weiterbehandlung. Andernfalls würde es vom Zufall abhängen, in welcher Art sich die Weiterbehandlung äußert. Denn in den Fällen, in denen lebensnotwendige Infusionen für die Weiterbehandlung erforderlich sind, liegt in dem Nichtverabreichen dieser unstreitig ein Unterlassen vor.
Der BGH folgt der Auffassung nicht, sondern sieht in den Fällen des Ausschaltens eines Beatmungsgeräts stets ein aktives Tun. Er wendet dabei stringent die oben dargestellten Grundsätze an und beurteilt jeden Einzelfall anhand des Schwerpunktes der Vorwerfbarkeit und dem äußeren Erscheinungsbild. Eine Strafbarkeit könnte anschließend dennoch aufgrund eines eventuell vorliegenden Rechtfertigungsgrundes iFe Einwilligung ausgeschlossen sein.
3. Omissio libera in causa
Bei der omissio libera in causa handelt es sich um eine vorsätzlich herbeigeführte Handlungsunfähigkeit des Täters durch ein aktives Tun. Das aktive Tun stellt in der Regel ein Sich-Berauschen dar. In dem entscheidenden Zeitpunkt einer gebotenen, ihm grundsätzlich auch zumutbaren Handlung befindet sich der Täter in einer Handlungsunfähigkeit, sodass er strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Diese Handlungsunfähigkeit wurde von dem Täter jedoch vorsätzlich durch aktives Tun herbeigeführt, sodass nach den Grundsätzen der actio libera in causa eine entsprechende Strafbarkeit in Betracht kommen kann. Dabei wird nach einer Ansicht auch das positive Tun des Sich-Berauschens als Unterlassen gewertet, sodass den Täter eine Garantenstellung treffen muss. Eine andere Ansicht wertet es als positives Tun iSe Begehungsdelikts, sodass es einer Garantenstellung nicht bedarf. Es ist beides vertretbar und kann bei Vorliegen einer Garantenstellung auch dahinstehen.