Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)
Klausurrelevant ist allen voran die Ingerenz. Die anderen lassen sich idR bereits aus dem Grundverständnis der Garantenpflicht innerhalb einer Klausur ohne Probleme feststellen. Zunächst ist zwischen einem Schutz- und einem Überwachergaranten zu unterscheiden.
1. Schutzgarant
Der Schutzgarant hat sich vor den zu Beschützenden zu stellen, um die Gefahr von ihm abzuwenden. Damit begründet sich die Pflicht des Schutzgaranten aus seinem Verhältnis zum Beschützenden und nicht zur Gefahr.
a) aufgrund enger persönlicher Verbundenheit
Eine Garantenstellung kann sich aufgrund einer engen persönlichen Verbundenheit ergeben, z.B. bei Ehegatten, Eltern zu ihren Kindern oder Verwandten in gerader Linie. Bei Ehegatten ist eine eventuelle Zerrüttung zu beachten. Eine Ansicht lehnt die Garantenstellung bereits mit der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses ab, während der BGH eine Garantenstellung „kraft Gesetz“ unabhängig von der Trennungszeit bis zur rechtsgültigen Scheidung bestehen lässt.
Innerhalb eines Verwandtschaftsverhältnisses wird – vor allem bei Geschwistern, zwischen Onkel/ Tante und Neffen/ Nichten oder Kindern gegenüber ihren Eltern – die Übernahme einer tatsächlichen Obhut oder das Vorliegen von gewissen Obhutsstrukturen vorausgesetzt. Dies ergab ein Urteil, in dem Geschwister zusammen wohnten, aber die Wohngemeinschaft lediglich eine reine Zweckgemeinschaft darstellte, ohne eine familiäre Atmosphäre aufzuweisen, sodass eine Garantenpflicht aus Sicht des BGHs abzulehnen war.
b) aus Gefahrengemeinschaft
Eine solche Gefahrengemeinschaft liegt nur vor, wenn die Gemeinschaft auch gerade ihrer Natur nach dazu bestimmt ist, dass die Mitglieder gegenseitig aufeinander aufpassen und sich unterstützen, z.B. Wander- oder Bergsteigergruppe. Dies ist nicht im Fall einer kriminell orientierten Verbrecherbande o.ä. gegeben.
c) aus tatsächlicher Übernahme von Schutz- und Bestandspflichten
In diesen Fällen ist allein die tatsächliche Übernahme von Schutz- und Bestandspflichten maßgeblich. Auf die daraus entstehende Garantenstellung darf sich der Beschützende verlassen und gleichzeitig dürfen Dritte ebenso darauf vertrauen, dass ihm geholfen wird. Schutzfunktionen können im Rahmen bestimmter Arbeitsverhältnisse oder aus besonderen Amts- und Dienstpflichten bestehen, z.B. Lehrer, Polizist oder Feuerwehrmann.
Problematisch ist, ob ein Abbruch von begonnenen Hilfeleistungen eines ansonsten nicht Verpflichteten zu einer Garantenstellung führen kann. Jedoch kann weder die Aufnahme noch der Abbruch von begonnenen Rettungsmaßnahmen allein zu einer Garantenstellung führen. Dies ergibt sich daraus, dass dadurch weder eine neue Gefahr geschaffen noch eine bestehende erhöht wird. Zudem darf ein potentieller Helfer nicht schlechter gestellt werden als jemand, der gar nicht hilft. Vielmehr liegt dieselbe Situation vor, wie wenn er von Anfang an untätig geblieben wäre.
Anders liegt der Fall, wenn der Helfer durch seine Handlung das Opfer in eine neue Gefahr bringt bzw. die bisherige Situation wesentlich zum Nachteil des Opfers verändert. Dies kann gegeben sein, wenn er das Opfer von möglichen bestehenden oder bevorstehenden Hilfemöglichkeiten durch andere (bereits präsente oder noch kommenden) Personen abschirmt bzw. aus deren Einwirkungskreis entfernt, z.B. durch einen Ortswechsel von einer belebten Straße in eine menschenleere Gegend. In solchen Fällen begründet sich durch den Beginn der Hilfeleistung eine Pflicht zu deren Vollendung.
Z.B. A sammelt den obdachlosen B Ende Dezember an einer viel befahrenen und gut besuchten Straße in der Innenstadt auf, um ihn zu einer Obdachlosenunterkunft zu bringen. Auf dem Weg dorthin schläft B im warmen Auto ein und A entschließt sich, angesichts der späten Uhrzeit und dem Umweg zur Obdachlosenunterkunft, B einfach über Nacht in seinem Auto zu belassen. Er fährt nach Hause, in einer ruhigen Seitenstraße am Stadtrand, und lässt den B im Auto. Der B stirbt in der Nacht aufgrund der Unterkühlung.
2. Überwachergarant
Der Überwachergarant hat sich vor die Gefahr zu stellen, um diese zu bewachen und abzuschirmen. Seine Verantwortlichkeit begründet sich folglich aus seinem Verhältnis zu der Gefahr und nicht zu den möglicherweise gefährdeten Opfern.
a) Ingerenz
Eine Garantenstellung aus Ingerenz trifft denjenigen, der durch ein Vorverhalten die Gefahr eines Schadenseintritts geschaffen hat. Ihn trifft die Pflicht, den Eintritt der von ihm geschaffenen Gefahr zu verhindern.
Es ist umstritten, ob jedes Vorverhalten eine Ingerenz auslösen kann oder es eine rechtswidrige Qualität aufweisen muss.
Die Verursachungstheorie lässt bereits jedes Vorverhalten, unabhängig von seiner rechtlichen Qualität, ausreichen, da jeder für die Auswirkungen seines Handelns geradestehen müsse.
Der BGH fordert ein pflichtwidriges Vorverhalten und führt an, dass allein eine Kausalität keine Verantwortung im Rechtssinne begründen könne. Der BGH geht dabei sogar so weit, dass er eine Garantenstellung sogar in den Fällen annimmt, in denen auch bei einem pflichtgemäßen Alternativverhalten der Erfolg eingetreten wäre.
Eine a.A. nimmt in den Fällen eines pflichtgemäßen Alternativverhaltens eine Garantenstellung nur an, wenn denjenigen eine Rechtspflicht zur Verhinderung der konkreten Gefahr trifft. Dies hat den Hintergrund, dass ansonsten er für einen Erfolg zuständig wäre, für dessen Eintritt seine Handlung zwar kausal, aber im Rechtssinne gar nicht verantwortlich war. Insoweit widerspricht sich der BGH.
Als Folgeproblem stellt sich die Frage, ob sich auch eine Garantenstellung aus Ingerenz ergibt, wenn die Handlung zwar einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt, aber gerechtfertigt war. Es ist demnach zu fragen, ob eine aus Notwehr gerechtfertigte Handlung den eigentlich Angegriffenen dazu verpflichtet, den Angreifer zu retten.
(1) Eine Mindermeinung bejaht eine solche Pflicht, denn auch der Angreifer dürfe nicht ohne Recht dastehen, z.B. wenn die Verteidigung weit über das erforderliche Maß hinausgeht.
(2) Eine andere Meinung verneint eine solche Pflicht. Andernfalls würde das ihm zustehende Recht zur Abwehr in eine gesteigerte Pflicht umgekehrt werden. Sein Recht zur Verteidigung darf aber nicht dadurch aufgehoben werden, dass man ein anschließendes Unterlassen – z.B. von Rettungsmaßnahmen einem Tun gleichstellt. Darüber hinaus erscheint es auch unbillig, einen Angegriffenen härter zu bestrafen als einen Unbeteiligten, der „nur“ nicht hilft. Anders gesagt, erscheint es sehr fragwürdig, einen Angreifer unter einen höheren Schutz zu stellen als einen Verletzten, der ohne sein Zutun in eine entsprechende Lage geraten ist.
Diese Erwägungen gelten natürlich nur iRd § 32 StGB, bei dem sich die Verteidigungshandlung gegen den Angreifer richtet. Anders liegt der Fall iRd § 34 StGB, bei dem es sich bei dem Dritten um einen Unbeteiligten handelt.
b) Produkthaftung
Die Garantenstellung aus Produkthaftung kann – nach BGH – auch aus Ingerenz hergeleitet werden, da derjenige, der fehlerhafte Produkte in den Verkehr bringt, eine pflichtwidrige Gefahr schafft, die er entsprechend abzuschirmen hat. Offengelassen hat der BGH, ob die zivilrechtliche Produkthaftung ins Strafrecht übertragen werden kann, es sollte insoweit auch innerhalb der Klausur offengelassen werden.
c) Sachverständiger
Bei Sachverständigen ergibt sich eine Garantenstellung aus der Überwachung einer Gefahr. Dies begründet sich daraus, dass ein Gutachten idR einen hohen Vertrauensgrad in Anspruch nimmt, sodass der Sachverständiger bei bestehenden oder sich daraus ergebenden Gefahren eine Pflicht zur Überwachung einnimmt. Das Unterlassen liegt dann in der nicht ordnungsgemäßen Untersuchung. Zu beachten ist, dass in der Abgabe eines nicht ordnungsgemäßen bzw. unrichtigen Gutachtens ein aktives Tun gegeben ist.
d) Herrschaft über bestimmte Gefahrenquellen
Bei der Herrschaft über bestimmte Gefahrenquellen treffen ihn bestimmte Verkehrspflichten und begründen eine entsprechende Garantenstellung. Hier sind vor allem Tierhalter, Kraftfahrer, Fabrikleiter oder Eigentümer von Baustellen oder baufälligen Gebäuden zu nennen.
e) Verantwortlichkeit über bestimmte Räumlichkeiten
Eine Verantwortlichkeit für bestimmte Räumlichkeiten ergibt sich nicht allein aus dem Hausrecht, sondern erfordert zudem ein Näheverhältnis, das bei anderen ein gewisses Vertrauen darauf schafft, dass er eingreifen werde.
f) Verantwortlichkeit für konkretes, fremdes Verhalten
In manchen Abhängigkeits- bzw. Autoritätsgefügen kann eine Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten gegeben sein. Dies ist z.B. bei einem Arbeitgeber aufgrund seiner „Befehlsgewalt“ gegenüber seinen Arbeitnehmern gegeben. Auch hier gilt, dass sich nicht allein aus einem Arbeitsverhältnis eine entsprechende Garantenstellung ergeben kann, sondern es bedarf eines Vertrauensverhältnisses. Weiter muss ein betriebsbezogener Zusammenhang gegeben sein. Das Verhalten muss demnach eine betriebsbezogene Tätigkeit darstellen, da der Arbeitgeber verständlicherweise nicht für jedes Verhalten seiner Arbeitnehmer verantwortlich sein kann.
3. Irrtum über die Garantenstellung
Bei einem Irrtum über das Vorliegen einer Garantenstellung muss zwischen einem Irrtum über tatsächliche Umstände und einem Irrtum über die Pflicht an sich unterschieden werden. Bei einem Irrtum über tatsächliche Umstände, die eine Garantenpflicht begründen, handelt es sich um einen Tatbestandsirrtum gem. § 16 I 1 StGB. Bei einem Irrtum über die Pflicht handeln zu müssen, d.h. er weiß nicht, dass er tätig werden muss, handelt es sich um einen Gebotsirrtum gem. § 17 StGB. Entscheidend ist die Vermeidbarkeit des Irrtums gem. § 17 S. 2 StGB.