VI. Hypothetische Einwilligung

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)

Die hypothetische Einwilligung ist zunächst von der mutmaßlichen Einwilligung abzugrenzen. Sie liegt vor, wenn eine Einwilligung noch (rechtzeitig) eingeholt werden konnte, aber nicht wurde oder eingeholt wurde, aber diese z.B. unter (Aufklärungs-) Mängeln leidet, sodass sie unwirksam erfolgte. Bei der hypothetischen Einwilligung wird der Betroffene demnach erst im Nachhinein gefragt, ob er eingewilligt hätte, wenn er vorher (in korrekter Weise) gefragt worden wäre, was unzweifelhaft möglich gewesen wäre. Die Anerkennung des Rechtsinstituts der hypothetischen Einwilligung ist umstritten. Sie dient primär dazu die strafrechtliche Haftung des Arztes im Fall von Aufklärungs-mängeln zu reduzieren und lässt in solchen Fällen das Erfolgsunrecht trotz des Fehlens wirksamer Rechtfertigungsgründe entfallen.

Beispiel:
Arzt A hat bei einer ordnungsgemäßen Operation des B eine Klammer in diesem vergessen. Statt den B darüber aufzuklären, erklärt er ihm, es sei eine Anschlussoperation für die vollständige Genesung erforderlich. Der B stimmt zu und A entfernt die Klammer bei der zweiten Operation ohne Komplikationen.

Der BGH sieht vorliegend eine rechtserhebliche Täuschung, da B unzutreffend über Art, Umfang und Ziele der Operation aufgeklärt wurde. Eine wirksame Einwilligung ist insoweit nicht gegeben. Nun könnte ein Fall der hypothetischen Einwilligung gegeben sein, die das Erfolgsunrecht eines rechtswidrigen Handelns entfallen lässt, sofern der Patient auch bei ordnungsgemäßer Belehrung der Operation zugestimmt hätte. In dem Fall hat sich die rechtswidrige Körperverletzung nicht im Erfolg realisiert, da sie auch bei rechtmäßigen Alternativverhalten vorgenommen worden wäre. Es bleibt folglich allein eine Versuchsstrafbarkeit gegeben.

Eine andere Ansicht lehnt dies ab, sodass bei Vornahme einer Operation ohne wirksame Einwilligung dieses Verhalten eine rechtswidrige Körperverletzung begründe. Eine derartige Rechtswidrigkeit könne nicht nachträglich durch einen hypothetischen Verlauf relativiert werden. Andernfalls würde eine viel zu große Missbrauchsgefahr geschaffen werden.
Daher sei das Rechtsinstitut der hypothetischen Einwilligung in Gänze abzulehnen und eine vollendete Körperverletzung anzunehmen. Daran könne auch der § 630h II BGB nichts ändern, da es sich bei diesem allein um eine zivilrechtliche Beweislastregelung handele, die nicht auf das Strafrecht übertragen werden könne.