2. Übergesetzlich entschuldigender Notstand – schuldausschließende Pflichtenkollision

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)

Neben der rechtfertigenden Pflichtenkollision, die es nur iRe Unterlassens gibt, gibt es auch eine schuldausschließende. Sie ist auch als sogenannter übergesetzlich entschuldigender Notstand bekannt. Ein solcher Notstand liegt vor, wenn mehrere Rechtsgüter in Gefahr sind und der Täter eins der gleichwertigen Rechtsgüter opfern muss, um ein anderes zu retten. Hier sollten der Flugzeugabschuss- Fall (9/11-Fall) und Weichen-Steller-Fall unbedingt bekannt sein.

Ein Zug droht auf einen voll besetzten Personenzug aufzufahren. Der Weichensteller W stellt eine Weiche um, um dies zu verhindern, aber der Zug tötet daraufhin zwei Streckenarbeiter auf der Umleitung. Der W hat also etliche Insassen des Personenzuges gerettet, dafür zwei zuvor ungefährdete Arbeiter getötet (sehr verkürzt dargestellt).

Der Täter verwirklicht vorliegend durch aktives Tun ein strafbares Unrecht. Als Verteidigung trägt er nun vor, dass wenn er nicht gehandelt hätte, dasselbe Rechtsgut (hier: Leben) in vielfach höherer Weise verletzt worden wäre. Eine Notwehrlage liegt mangels Angriffs nicht vor, der § 34 StGB scheitert an der Gleichwertigkeit der Rechtsgüter und der § 35 StGB liegt mangels eines Näheverhältnisses ebenfalls nicht vor. Für genau solche Fälle greift der übergesetzlich entschuldigende Notstand, denn sein strafbares und auch rechtswidriges Verhalten hat am Ende quantitativ mehr Rechtsgüter gerettet als gefordert. Eine Bestrafung erscheint folglich unzumutbar.