II. Abgrenzung positives Tun von Unterlassen

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)

Im Strafrecht ist eine Unterscheidung erforderlich, da ein Unterlassungstäter gem. § 13 II StGB zum einen milder bestraft wird und zum anderen gem. § 13 I StGB nur unter besonderen Voraussetzungen überhaupt strafbar ist.

1. Lehre vom Energieeinsatz

Nach der Lehre vom Energieeinsatz ist ein Tun das Aufwenden von Energie in eine bestimmte Richtung, während ein Unterlassen gerade in dem Nichtaufwenden von Energie liegt. Gegen die Lehre spricht, dass sie keine klaren Abgrenzungskriterien benennt und im Rahmen von mehraktigen Geschehensverläufen gänzlich versagt.

2. „Im Zweifel für die Handlung“

Eine zweite Lehre möchte im Zweifel immer eine Handlung annehmen. Sie bietet folglich schon gar keine Abgrenzungskriterien und kann zu unvertretbaren Ergebnissen führen, wenn z.B. ein Unterlassen von ganz nebensächlichen, unbedeutenden Handlungen begleitet wird.

3. Lehre vom Primat des kausalen Tuns (Schwerpunkttheorie)

Nach dieser Lehre ist entscheidend, ob ein Tun oder ein Unterlassen für den Erfolg kausal geworden ist. Damit entscheidet sich die Einordnung nach dem äußeren Erscheinungsbild anhand des Schwerpunktes der Vorwerfbarkeit. Hierzu folgendes Beispiel:

Der B liegt schwer verletzt am Boden. Der A, der ihn findet, bleibt kurz bei ihm und verlässt ihn anschließend. Der B erliegt seinen Verletzungen wenig später.

In dem Weggehen liegt ein positives Tun, während in dem Nichthelfen ein Unterlassen liegt. A hätte auch bei B bleiben können, das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Kausal für den Tod des B ist nicht das Weggehen, sondern das Unterlassen der Hilfeleistung geworden.