d) Tatsächliche, freiwillige Übernahme von Obhutspflichten

Grundsätzlich können Garantenpflichten entstehen, indem Obhutspflichten bzw. Schutzfunktionen freiwillig übernommen werden. Die Übernahme kann gegenüber zwei verschiedenen Personenkreisen erfolgen. Zum einen gegenüber dem Gefährdeten selbst oder gegenüber Personen, die selber Garanten zugunsten des Gefährdeten sind. Dabei kommt es allein auf die tatsächliche Übernahme, nicht auf den ggf. zugrunde liegenden Vertrag an.1

Insbesondere aus dem Verhältnis zwischen einem Arzt und seinem Patienten oder zwischen einem Lehrer und seinem Schüler ergibt sich die Übernahme von Obhutspflichten gegenüber dem Gefährdeten selbst.2

Tatsächliche und freiwillige Übernahme kann darüber hinaus auch bedeuten, dass man die Obhutspflichten eines Beschützergaranten freiwillig übernimmt und dadurch selber zum Beschützergaranten wird.3 Trotz der Übernahme hat der bisherige Garant jedoch immer noch Garantenpflichten und zwar hinsichtlich der Auswahl des Übernehmenden und dessen Überwachung.4

Das Vertrauen auf die Übernahme ist grundsätzlich erst dann berechtigt, wenn die Aufgabe auch tatsächlich übernommen wurde.5 Wenn zwar ein zugrunde liegender Vertrag gültig ist, z.B. zwischen dem Babysitter und den Eltern, die Übernahme jedoch nicht tatsächlich angetreten wird, verbleibt die Obhutspflicht bei den ursprünglichen Beschützergaranten (hier: die Eltern). Demgegenüber steht dem Wechsel der Garantenstellung ein ungültiger Vertrag nicht entgegen, soweit die Übernahme der Obhutspflicht tatsächlich vollzogen wurde. „Die formal rechtliche Betrachtung wird also von der tatsächlichen Übernahme verdrängt.“6

  • 1. BGHSt 47, 224 (229, 232).; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36, Rn. 79.
  • 2. Roxin, Strafrecht AT II; § 32, Rn. 53.
  • 3. Kühl, JuS 2007, 497 (502).
  • 4. Kühl, Strafrecht AT, § 18, Rn. 70.
  • 5. Kühl, Strafrecht AT, § 18, Rn. 70
  • 6. BGHSt 47, 224 (229); Kühl, JuS 2007, 497 (502); Roxin, Strafrecht AT II, § 32, Rn. 53.