Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)
2. Problematische Einzelfälle
1. Fremdbesitzerexzess („nicht-so-berechtigter Besitzer“)
e. A. sieht eine Vindikationslage auch dann als gegeben an, wenn der Besitzer grundsätzlich zum Besitz berechtigt ist, jedoch im Einzelfall sein Besitzrecht überschreitet (sog. Fremdbesitzerexzess) typisches Bsp.: Der Mieter einer Wohnung zerstört diese.
a. A. sieht darin eine Überschreitung seines Besitzrechts. Diese Überschreitung lässt jedoch das zugrunde liegende Schuldverhältnis unberührt, sodass der Besitzer sein Besitzrecht nicht allein aufgrund einer tatsächlichen Handlung verlieren könne.
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Dafür spricht, dass ein Besitz nicht in einen rechtmäßigen und unrechtmäßigen Besitz aufgeteilt werden könne.
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Der Eigentümer ist auch nicht schutzlos. Er ist nur eben auf seine vertraglichen und evtl. deliktischen Ansprüche beschränkt.
Von einem Fremdbesitzerexzess ist zum einen der „nicht-mehr-berechtigte“ Besitzer abzugrenzen, der zwar mal ein Besitzrecht hatte, es nun aber (warum auch immer) nicht mehr hat. Wichtig ist der Fall, in dem dieser Wegfall rückwirkend erfolgt, z. B. aufgrund einer Anfechtung. Dann war er nie rechtmäßiger Besitzer. In diesen Fällen sind die Folgeansprüche §§ 987 ff. BGB zu beachten! (Daher musst Du Dir als typisches Folgeproblem der Anfechtung auch das EBV und die §§ 987 ff. BGB merken!)
2. Anwartschaftsrecht als Recht zum Besitz
Ob ein Anwartschaftsrecht (AnwR) dem AnwR-Berechtigten ein dingliches Recht zum Besitz gibt, ist umstritten. (Hierzu später mehr).
3. Zurückbehaltungsrecht als Recht zum Besitz
Es ist umstritten, ob ein Zurückbehaltungsrecht (ZBR) aus §§ 273, 1000 BGB auch ein Recht zum Besitz iSd § 986 BGB darstellt.
BGH (+) zumindest hinsichtlich § 273 BGB, denn der § 986 BGB regelt die Verteidigung des Besitzes gegen den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB abschließend, sodass er alle Einreden erfasst. Der § 273 BGB müsse jedoch dementsprechend einredeweise geltend gemacht werden und der § 274 BGB sei heranzuziehen, nach dem eine Verurteilung nur Zug-um-Zug erfolge.
a.A. (-), denn die ZBR gewähren selbstständige Gegenrechte, die dem Anspruch aus § 985 BGB unmittelbar entgegenstehen. Sie bezwecken den Schutz einer gleichzeitigen Erfüllung von sich gegenüberstehenden Ansprüchen. Ihre ratio liegt gerade in der Aufrechterhaltung des Gegenanspruches, nicht aber einer Regelung von Besitzverhältnissen. Darüber hinaus würde ein ZBR als Recht zum Besitz den Anspruch aus § 985 BGB aufheben. Folglich würde es demnach an der Gegenseitigkeit fehlen. Die Ansicht des BGHs ist daher in sich widersprüchlich.
Im Ergebnis bedarf es keiner Entscheidung. Sie kommen beide im Grundsatz zum gleichen Ergebnis. Nach der letztgenannten Ansicht sind die §§ 987 ff. BGB unproblematisch anwendbar (der Besitzer bleibt unrechtmäßiger Besitzer). Nach Ansicht des BGH sind die Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht anwendbar, da der Besitzer durch das ZBR zu einem rechtmäßigen Besitzer wird. Der BGH wendet die §§ 987 ff. BGB dennoch an, und zwar, weil der Besitzer die Herausgabe nicht vollständig, sondern nur vorübergehend verweigern dürfe.
Ein Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 BGB stellt dagegen unstreitig kein Besitzrecht iSd § 986 BGB dar, da hierbei durch die erstmalige Verwendung nach § 994 BGB das gesetzliche Schuldverhältnis nach den §§ 987 ff. BGB entfallen würde. D. h. würde man in dem § 1000 BGB ein Besitzrecht annehmen, würde ihre Voraussetzung der Vindikationslage entfallen.