Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)
1. Grundlagen
a) Überblick
Sowohl der unmittelbare als auch der mittelbare Besitzer genießen Besitzschutz, denn sie gelten grds. als gleichgestellt. Der § 869 BGB stellt dies für die possessorischen Ansprüche klar (Definition in der Tabelle). Dennoch unterliegt der mittelbare Besitzer logischerweise einiger Einschränkungen. Er erhält keinen selbstständigen Besitzschutz – immerhin hat er nicht die tatsächliche Sachherrschaft inne – sondern hat nur das Recht, eigene Ansprüche wegen der Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes geltend zu machen.
b) Zentralbegriff der verbotenen Eigenmacht iSd § 858 Abs. 1 BGB
Der Begriff der verbotenen Eigenmacht iSd § 858 Abs. 1 BGB ist eine gemeinsame Voraussetzung der Rechte und Ansprüche iRd Selbsthilferechte nach §§ 859, 860 BGB sowie der possessorischen Ansprüche aus §§ 861, 862 BGB. Die verbotene Eigenmacht liegt gem. § 858 Abs. 1 BGB vor, wenn der Besitz dem Besitzer ohne dessen Willen entzogen wird oder er in diesem gestört wird.
Eine Beeinträchtigung kann dabei in jeder Sachentziehung oder sonstigen Störung bestehen. Eine Entziehung liegt in der vollständigen und dauerhaften Wegnahme des Besitzes. Eine Störung hingegen liegt in jeder sonstigen Behinderung der Ausübung der Sachherrschaft, die keinen Entzug darstellt. Ob eine verbotene Eigenmacht vorliegt, ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen, sodass weder ein Verschulden noch Kenntnis der Widerrechtlichkeit gegeben sein muss.
In der Klausur empfiehlt sich folgende Prüfung der verbotenen Eigenmacht:
- Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes,
- ohne den Willen des unmittelbaren Besitzers und
- ohne vertragliche oder gesetzliche Gestattung.
Die Folge einer verbotenen Eigenmacht ist der fehlerhafter Besitz iSd § 858 Abs. 2, S. 1 BGB. Ein Besitz iSd § 858 Abs. 2, S. 1 BGB ist somit fehlerhaft, sofern der Besitz durch verbotene Eigenmacht erlangt wurde und bedeutet im Grundsatz eine relative Rechtswidrigkeit gegenüber der Person, der der unmittelbare Besitz entzogen wurde.
2. Selbsthilfe, §§ 859, 860 BGB
a) Berechtigung zur Selbsthilfe
Berechtigt ist natürlich der unmittelbare Besitzer. Auch ein Besitzdiener hat eine Berechtigung zur Selbsthilfe, jedoch nur zugunsten des Besitzherren.
Merke:
Das Recht der Selbsthilfe ergibt sich aus dem unmittelbaren Besitz und besteht unabhängig von einem Recht zum Besitz. Damit hat auch ein fehlerhafter Besitzer ein Recht zur Selbsthilfe. Ebenso ein Fremdbesitzer gegenüber dem Eigenbesitzer bzw. Eigentümer oder Dritten. Zum Beispiel kann der Vermieter dem Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht gewaltsam die Sache wegnehmen.
Hier wird das oben bereits angedeutete Problem deutlich, ob auch ein mittelbarer Besitzer ein Recht zur Selbsthilfe hat. Dies ist nicht ganz klar, denn der § 869 S. 1 BGB verweist nur auf die §§ 861, 862 BGB, nicht jedoch auf den § 859 BGB.
e. A. Lehnt dementsprechend eine Berechtigung ab. Für diese Meinung spricht auch, dass der mittelbare Besitzer gerade nicht die tatsächliche Sachherrschaft besitze, gegen die sich jedoch die Beeinträchtigung richtet. Darüber hinaus sei er auch hinreichend über das Notwehrrecht nach §§ 227, 229 BGB geschützt.
a. A. Die Gegenmeinung sieht von der Verweisung des § 869 BGB den mittelbaren Besitzer miterfasst, da dieser mit der Verteidigung des unmittelbaren Besitzes des anderen eine Voraussetzung für seinen eigenen Besitz verteidige. Nach dieser Auffassung sei es daher gerechtfertigt, den mittelbaren Besitzer ein Selbsthilferecht zuzusprechen. Dennoch muss beachtet werden, dass es allein dem unmittelbaren Besitzer obliegt, ob er den unmittelbaren Besitz aufrechterhalten möchte oder eben nicht, sodass dessen Zustimmung erforderlich ist.
Berechtigt ist auch der Mitbesitzer gem. § 866 BGB. So hat auch dieser Besitzschutzansprüche gegenüber Dritter. Unter den Mitbesitzern ist ebenfalls grundsätzlich ein Besitzschutz gegeben, aber nicht bei Besitzstörungen, sondern nur bei einem Besitzentzug.
b) Besitzwehr, § 859 Abs. 1 BGB
Die Besitzwehr nach § 859 Abs. 1 BGB dient der Verteidigung des bestehenden Besitzes gegen die Ausübung verbotener Eigenmacht. Sie erfordert folgende Voraussetzungen:
- Selbsthilfeberechtigung des Besitzers
- Gegenwärtige Besitzbeeinträchtigung durch verbotene Eigenmacht iSd § 858 Abs. 1 BGB
- d. h. diese muss bereits begonnen haben oder noch andauern
Der Besitzer darf sich gegen die verbotene Eigenmacht mit Gewalt wehren. Auch hier gilt, dass nicht jedes Mittel erlaubt sein kann, sondern es erforderlich sein muss.
c) Besitzkehr, § 859 Abs. 2 BGB
Eine Besitzkehr nach § 859 Abs. 2 BGB dient der Wiederherstellung des durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigten Besitzes. Sie ist lex specialis zu § 229 BGB und setzt folgende Voraussetzungen voraus:
- Selbsthilfeberechtigung des Besitzers
- Besitzbeeinträchtigung durch verbotene Eigenmacht iSd § 858 Abs. 1 BGB
- in Form einer Entziehung des unmittelbaren Besitzes
Nach diesem darf der frühere Besitzer in den fehlerhaften Besitz eingreifen, um den früheren Rechtszustand wiederherzustellen. Diesem Eingriff sind jedoch zeitliche Grenzen gesetzt. So muss dieser unmittelbar nach der Beeinträchtigung erfolgen – d. h. im direkten Anschluss oder sofort nach der Entdeckung – denn die Verfolgung hat unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – zu erfolgen. Abschließend müssen auch hierbei die Mittel erforderlich sein.
3. Possessorischer Besitzschutz, §§ 861 ff. BGB
a) Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes, § 861 Abs. 1 BGB
Voraussetzungen:
-
Entzug des unmittelbaren Besitzes einer beweglichen Sache oder eines Grundstückes durch verbotene Eigenmacht.
-
Anspruchsberechtigter ist der bis zur Besitzentziehung unmittelbare oder mittelbare Besitzer, § 869 BGB.
-
Anspruchsgegner ist der gegenwärtig fehlerhaft (unmittelbar) Besitzende oder der derzeitige mittelbare Besitzer, wenn dieser die verbotene Eigenmacht begangen hat.
-
Kein Ausschluss nach § 861 Abs. 3 BGB.
-
Kein Erlöschen des Anspruches nach § 864 Abs. 1 BGB wegen Fristablauf.
Sofern die Voraussetzungen vorliegen, hat der Anspruchsberechtigte einen Anspruch auf Herausgabe. Der Anspruchsgegner bzw. der Störer muss selbst aktiv an der Wiederherstellung mitwirken, auch auf eigne Kosten.
b) Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung von Besitzstörungen, § 862 Abs. 1 BGB
- Störung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht
- Auch für zukünftige Störungen möglich, wenn hierfür bereits eine konkrete Gefahr besteht.
- Anspruchsberechtigter ist der unmittelbare oder mittelbare Besitzer, § 869 BGB
- Anspruchsgegner ist der Störer
- D. h. derjenige, auf dessen Willensbetätigung die Beeinträchtigung unmittelbar oder adäquat mittelbar zurückzuführen ist.
- Kein Ausschluss nach § 862 Abs. 2 BGB
- Kein Erlöschen wegen Fristablauf nach § 864 Abs. 1 BGB
Liegen die Voraussetzungen vor, hat der Anspruchsberechtigte einen Anspruch auf die Beseitigung des störenden Zustandes. Entweder durch Unterlassen oder Vornahme einer erforderlichen Handlung.
c) Ausschluss nach § 861 Abs. 2 oder § 862 Abs. 2 BGB
Ein possessorischer Anspruch ist nach den Absätzen 2 ausgeschlossen, sofern der Anspruchsteller selbst dem Störer oder sein Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft besessen hat und die verbotene Eigenmacht nicht länger als ein Jahr vor der Besitzentziehung oder Störung verübt worden ist.
d) Einwendungen des Entziehers oder Störers, § 863 BGB
Der § 863 BGB schließt Einwendungen aus einem Recht zum Besitz iRd possessorisches Besitzschutzes ausdrücklich aus und lässt nur possessorische Einwendungen aus dem Besitz selbst zu. Dies hat den Grund, dass es sich bei den possessorischen Rechten nur um die vorläufige Herstellung des ursprünglichen Rechtszustands handelt. Eine endgültige Regelung der Rechtslage erfolgt hierbei nicht, sondern erst iRd petitorischen Besitzschutzes.
e) Ansprüche aus § 867 BGB
Der Anspruch auf Verfolgung und Wegnahme gem. § 867 S. 1 BGB sowie der Anspruch auf Entschädigungsausgleich gem. § 867 S. 2 BGB sind selbsterklärend (daher unbedingt lesen!).
Der Anspruch aus § 867 S. 2 BGB ist verschuldensunabhängig und gewährt über den Wortlaut hinaus nicht nur dem Besitzer einen Entschädigungsausgleich, sondern auch dem Eigentümer eines Grundstücks oder sonstigen Berechtigten, sofern diese anstelle des Besitzers geschädigt wurden.
4. Petitorischer Besitzschutz, § 1007 Abs. 1 u. 2 BGB
Es handelt sich bei den § 1007 Abs. 1 und Abs. 2 BGB um zwei selbstständige Anspruchsgrundlagen, die auch nebeneinander geltend gemacht werden können. Dabei bezieht sich der Abs. 1 auf den bösgläubigen Besitzerwerb, während der Abs. 2 sich auf den Besitzerwerb von abhandengekommenen Sachen bezieht. Die gemeinsame causa dieser Anspruchsgrundlagen liegt darin, den früheren Besitzer mit dem (vermeintlich) besseren Recht, die Wiedererlangung der beweglichen Sache zu ermöglichen.
a) Anspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB (bei bösgläubigen Besitzerwerb)
- Der Anspruchsberechtigte ist der frühere Besitzer
- mit einem (vermuteten) besseren Recht zum Besitz (die Besitzart selbst ist irrelevant)
- Anspruchsgegner ist der gegenwärtige Besitzer
- Bösgläubiger Besitzerwerb des Anspruchsgegners
- Ein solcher liegt vor, wenn dieser kein Recht zum Besitz hat und bei Besitzerwerb hierüber auch Kenntnis oder zumindest grob fahrlässige Unkenntnis hatte.
- Kein Ausschluss des Anspruchs gem. § 1007 Abs. 3 BGB
a) § 1007 Abs. 3, S.1, 1. Alt. BGB
Der frühere Besitz des Anspruchsberechtigten war selbst unrechtmäßig und bei Besitzerwerb bösgläubig – dann verfügt dieser nicht über ein „besseres“ Recht zum Besitz!
b) § 1007 Abs. 3, S. 1, 2. Alt. BGB
Hier macht der Anspruchsgegner die Einwendung geltend, dass der Anspruchsberechtigte den Besitz freiwillig aufgegeben hat.
c) § 1007 Abs. 3, S. 2 iVm § 986 BGB
Der Anspruchsgegner hat gegenwärtig ein Recht zum Besitz oder ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Anspruchsberechtigten.
Liegen die Voraussetzungen vor, hat der Anspruchsberechtigte einen Herausgabeanspruch gegenüber dem bösgläubigen gegenwärtigen Besitzer.
b) Anspruch nach § 1007 Abs. 2 BGB
-
Der Anspruchsberechtigte ist der frühere Besitzer.
Aufgrund des (vermuteten) besseren Rechts zum Besitz. Die Besitzart selbst ist irrelevant. -
Der Anspruchsgegner ist der gegenwärtige (möglicherweise auch gutgläubige) Besitzer.
-
Abhandenkommen der Sache aus dem Machtbereich des Anspruchsberechtigten iSd § 935 BGB.
-
Kein Ausschluss nach § 1007 Abs. 2, S. 1 BGB.
Der Anspruchsgegner darf nicht der Eigentümer der Sache sein und ihm darf die Sache nicht selbst vor der Besitzzeit des Anspruchsberechtigten abhandengekommen sein (str.). -
Kein Ausschluss nach § 1007 Abs. 3 BGB (s. o.).
Rechtsfolge ist der Anspruch auf Herausgabe der Sache.
5. Sonstiger Besitzschutz
Nicht zu vergessen ist, dass der Besitz als sonstiges Recht auch über § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist. Zudem kann der § 858 BGB als Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB verstanden werden (nach h.M.!). Ebenfalls ist der Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB nicht außer Acht zu lassen. Dieser bezieht sich zwar nur auf den Eigentümer, kann jedoch in analoger Anwendung ebenfalls auf den Besitzer angewendet werden.