Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)

1. Originärer (neu geschaffener) Besitzerwerb

Ein originärer Besitzerwerb kann durch einseitigen Ergreifungsakt stattfinden, z. B. Fund, Wegnahme.

2. Derivativer (abgeleiteter) Besitzerwerb

Der derivative Besitzerwerb erfolgt durch die Mitwirkung des bisherigen Besitzers, z. B. Übergabe iRe dinglichen Rechtsgeschäfts.

Wichtig: für beide greift der § 854 Abs. 1 BGB.

3. Erwerb des unmittelbaren Besitzes

Der unmittelbare Besitz kann durch den Erwerber direkt vom vorherigen Besitzer oder durch Einschaltung einer Hilfsperson erworben werden. Hierfür ist erforderlich, dass der Erwerber die tatsächliche Sachherrschaft mit einem objektiv erkennbaren Begründungswillen erlangt und der vorherige Besitzer seine tatsächliche Gewalt zugleich vollständig aufgibt.

Nach § 854 Abs. 2 BGB kann anstatt der Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft auch eine Einigung zwischen dem Erwerber und dem bisherigen Besitzer erfolgen. Voraussetzung ist jedoch auch hier, dass der Erwerber die Möglichkeit erlangt, tatsächlich über die Sache zu herrschen. Der Besitzerwerb ist iRd Erwerbes gem. § 854 Abs. 1 BGB ein Realakt. Eine Stellvertretung scheidet regelmäßig aus. Eine analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB scheidet – mangels planwidriger Regelungslücke – ebenfalls aus. Der Besitzerwerb kann jedoch über Hilfspersonen erfolgen, die an die Stelle des Erwerbers bei dem rein tatsächlichen Vorgang der Erlangung des Besitzes treten können.

Es kann somit ein Besitzdiener eingeschaltet werden. Ein Besitzdiener ist, wer zu einem anderen, dem sog. Besitzherrn in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis steht und dessen Weisungen unterworfen ist. Dabei ist zu beachten, dass, obwohl er die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, er keine besitzrechtliche Position hat, § 855 BGB. Er selbst hat somit überhaupt keinen Besitz an der Sache, stattdessen wird diese dem Besitzherrn zugerechnet, sodass nur dieser der Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft ist (Herrschaft über den Besitzdiener = Herrschaft über die Sache). Der Besitzherr erwirbt unmittelbaren Besitz, sobald der Besitzdiener die Gewalt über die Sache erlangt.

Abschließend ist von dem Besitzdiener die Geheißperson zu unterscheiden. Eine Geheißperson ist ein Dritter, der weder Besitzmittler noch – idR mangels sozialer Abhängigkeit – Besitzdiener ist und der den Erwerber bei der Übereignung einer Sache auf dessen Anweisung (Geheiß) repräsentiert. Dadurch wird über die Anweisung(-smacht) eine besitzrechtliche Position des Erwerbers konstruiert und die Geheißperson selbst hat keine besitzrechtliche Stellung inne.

Tipp:
Ein Besitzdiener ist generell weisungsgebunden, während eine Geheißperson nur ausnahmsweise für diesen einen konkreten Vorgang für den Erwerber tätig wird. Letzterer verhält sich, so „wie ihm geheißen“!

4. Erwerb des mittelbaren Besitzes

Besitzer ist nicht nur derjenige, der die tatsächliche Sachherrschaft innehat, sondern auch derjenige, der die tatsächliche Sachherrschaft durch einen anderen (sog. Besitzmittler) aufgrund eines Rechtsverhältnisses für sich ausüben lässt, § 868 BGB. Der Besitzmittler ist dabei von dem Besitzdiener zu unterscheiden, der in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzherrn steht und dessen Weisungen unterworfen ist, während der Besitzmittler als unmittelbarer Besitzer nur durch das konkrete Rechtsverhältnis beschränkt wird. Er mittelt den unmittelbaren Besitz im Interesse für den mittelbaren Besitzer.

Der mittelbare Besitz entsteht durch ein konkretes – nicht notwendigerweise rechtlich wirksames – Rechtsverhältnis iSv § 868 BGB. Aus diesem Besitzmittlungsverhältnis (BMV) muss sich ergeben, dass der Besitzmittler gegenüber dem mittelbaren Besitzer auf Zeit zum Besitz berechtigt ist. Der unmittelbare Besitzer muss seinen Fremdbesitzerwillen erkennbar zum Ausdruck bringen. Folglich muss der Wille geäußert werden, zeitlich begrenzt und in Anerkennung des Herausgabeanspruchs (idR aus dem BMV) besitzen zu wollen. Der tatsächliche innere Wille ist dabei unerheblich.

Damit lassen sich die Voraussetzungen für einen mittelbaren Besitz wie folgt zusammenfassen:

  1. Es muss ein konkretes – nicht notwendigerweise wirksames – Rechtsverhältnis iSd § 868 BGB bestehen – ein sog. Besitzmittlungsverhältnis (BMV).

    • Auch ein gesetzliches BMV ist möglich (z. B. § 1353 BGB, § 2 LPartG, § 1626 BGB).
  2. Fremdbesitzerwillen des unmittelbaren Besitzers.

  3. Der mittelbare Besitzer hat einen wirksamen Herausgabeanspruch bzw. ein Anspruch auf Einräumung des unmittelbaren Besitzes.

    • Das ergibt sich idR aus dem BMV, das nur auf einen vorübergehenden Zeitraum angelegt ist.

a) Antizipiertes Besitzmittlungsverhältnis

Das BMV kann auch antizipiert erfolgen. Damit wird eine Vereinbarung über ein zukünftiges BMV getroffen, welches entstehen soll, sobald der Veräußerer den Besitz an der Sache, die übereignet werden soll, erlangt. Folglich entsteht in solchen Fällen das BMV bereits dann, wenn noch keiner der beiden unmittelbaren Besitz an der Sache hat. Erwirbt der Besitzmittler die Sache, entsteht in dem Zeitpunkt zeitgleich mittelbarer Besitz an dieser aufgrund des im Vorwege vereinbarten BMV. Hauptanwendungsfall ist die Sicherungsübereignung von Warenlager.

Beispiel:
A erwartet Welpen von ihrer Hündin Trixie. B möchte einen Welpen erwerben, wobei sie bereits einen längeren Urlaub geplant hat. Sie vereinbart daher mit A, dass sie einen Welpen für sie aussucht und diesen für sie in der Zeit ihres Urlaubs verwahren soll.

Besondere Anforderungen werden in solchen Konstellationen hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlich. Das heißt, die Sache muss hinreichend konkret bezeichnet werden, sodass jeder Außenstehende, der die Vereinbarung kennt, die Sache ebenfalls bestimmen könnte. Weiter müssen sich die Parteien im Zeitpunkt der Besitzerlangung nach wie vor einig sein.

b) Abgrenzung eines antizipierten BMV von einem Insichkonstitut

Ein Insichkonstitut ist gegeben, wenn der Besitzmittler als Vertreter des Oberbesitzers mit sich selbst im eigenen Namen ein BMV schließt, § 181 BGB. Das bedeutet, er schließt die Vereinbarung durch ein Selbstkontrahieren mit sich selbst, in dem er auf beiden Seiten tätig wird. Die Genehmigung des Vertretenen liegt meist konkludent in der Vereinbarung über die Vertretung.

Der grundlegende Unterschied des Insichkonstituts zum antizipierten BMV liegt darin, dass bei einem Insichkonstitut das BMV erst nach Erwerb der Sache entsteht, während das antizipierte BMV bereits im Vorwege geschlossen wird. Im Zeitpunkt der Besitzerlangung entsteht iRe antizipierten BMV „nur noch“ der mittelbare Besitz. Bei dem Insichkonstitut entsteht das BMV jedoch nur „im Kopf“ des Besitzers. Daher ist für das Publizitätsprinzip eine Erkennbarkeit erforderlich, die idR im „Aussuchen“ oder „Bestimmen“ liegt, damit sein Wille nach außen manifestiert wird.

Merke:
Ein Insichkonstitut ist immer dann anzunehmen, wenn dem Besitzmittler beim Erwerb der Sache noch ein Spielraum offensteht, „OB“ er Eigentum an dieser konkreten Sache übertragen möchte. Hier entsteht das BMV erst mit seiner Entscheidung. Hat er hingegen nur noch einen Spielraum bzgl. „WELCHES“ er übereignen möchte, liegt ein antizipierter Besitzerwerb vor.

5. Beendigung des Besitzes

Der Verlust des unmittelbaren Besitzes iSd § 856 BGB kann durch Aufgabe der tatsächlichen Sachherrschaft erfolgen oder wenn er diese auf andere Weise verliert gem. § 856 Abs. 1 BGB. Der mittelbare Besitz kann ebenfalls durch den Verlust der tatsächlichen Gewalt bei dem Besitzmittler beendet werden oder sofern eine Aufgabe des BMV erfolgt. Bei Letzteren ist jedoch ein erkennbares Aufgeben erforderlich (Publizitätsgrundsatz).

6. Gleichstufiger Nebenbesitz

Tipp:
Das Problem, ob ein unmittelbarer Besitzer den Besitz für zwei verschiedene mittelbare Besitzer gleichzeitig mitteln kann, ist nach wie vor eine viel diskutierte Thematik und sollte unbedingt beherrscht werden.

Ein Nebenbesitz ist gegeben, wenn ein unmittelbarer Besitzer den Besitz an mehrere mittelbare Besitzer mittelt, die untereinander in keiner Besitzbeziehung zueinander stehen, d. h. weder sich gegenseitig den Besitz mitteln noch Mitbesitzer sind. Ein gleichstufiger Nebenbesitz liegt vor, wenn der Besitzmittler den Besitz für mehrere mittelbare Besitzer gleichermaßen mitteln möchte und dadurch deren besitzrechtliche Positionen gleichstellt. Der gleichstufige Nebenbesitz basiert somit allein auf dem Willen des Besitzmittlers. Dieser Wille des Besitzmittlers findet seinen Ausdruck in seinem nach außen erkennbaren Verhalten. In diesem Verhalten liegt auch die Grundlage der Problematik des gleichstufigen Nebenbesitzes.

Einerseits wird der gleichstufige Nebenbesitz bereits mit der Begründung abgelehnt, man könne nicht zeitgleich für zwei verschiedene Personen den Besitz mitteln. Vielmehr gebe der unmittelbare Besitzer durch den Abschluss des zweiten BMV deutlich zu erkennen, dass er nur noch für Letzteren den Besitz mitteln möchte. Die Gegenauffassung nimmt einen Nebenbesitz an und sieht allein in dem Abschluss des zweiten BMV keine eindeutige Ablehnung des ersten BMV.

a) Meinungsstreit (ausführlich)

e. A. - Lehre vom Nebenbesitz
Der § 854 Abs. 1 BGB spricht selbst nur von „Besitz“ und benennt den Nebenbesitz nicht. Die Lehre vom Nebenbesitz sieht in den aufgeführten besitzrechtlichen Beteiligungen jedoch nur Beispielsfälle, die nicht abschließend sind.

Die Anerkennung des Nebenbesitzes sei daher nicht nur möglich, da er keiner gesetzlichen Regelung widerspricht, sondern auch erforderlich, um den 1. mittelbaren Besitzer zu schützen; denn es sei willkürlich dem einen oder anderen eine stärkere tatsächliche Sachherrschaft zuzusprechen.

a. A. - Rechtsprechung & Teil der Literatur
Die ablehnende Gegenansicht hält den Nebenbesitz aufgrund des sachenrechtlichen Numerus clausus für unzulässig. Darüber hinaus spreche das Gesetz nur von dem „Besitz“, sodass anhand dessen Definition (s. o.) auch nur einer der Besitzer einer Sache sein kann. Ausnahmen führe das Gesetz abschließend auf, sodass es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke für eine eventuell analoge Anwendung fehle.

Auch ist die mit der Anerkennung des Nebenbesitzes einhergehende Rechtsunsicherheit nicht außer Acht zu lassen. Für die §§ 937, 1006 Abs. 3 BGB ist die Einheitlichkeit und Ausschließlichkeit des mittelbaren Besitzes eine Voraussetzung. Sofern jedoch iRd Nebenbesitzes allein der Besitzmittler durch seinen Willen bestimmt, für wen er den Besitz mitteln möchte, würde er in diese Voraussetzungen eingreifen und eine erhebliche Rechtsunsicherheit schaffen.

Allein denklogisch muss jedoch klar sein, dass eine Person eine Sache nicht für zwei verschiedene Personen gleichzeitig mitteln kann, da sich die Rechtsfolge des mittelbaren Besitzes (die Herausgabe der Sache) nicht auf zwei voneinander unabhängige Personen erstrecken kann.

b) Praktische Auswirkungen

Der Meinungsstreit kann in drei Fallgruppen relevant werden:

(1) Gutgläubiger Erwerb gem. §§ 931, 934 2. Alt. BGB
Hier ist die grundlegende Frage, ob der Erwerber besitzrechtlich näher an die Sache herangerückt ist als der bisherige Eigentümer, sodass der Erwerber gem. §§ 931, 934 2. Alt. BGB gutgläubig Eigentum erworben hat.

Merke:
Der gutgläubige Erwerb nach §§ 932 ff. BGB tritt grds. nur ein, wenn der Erwerber besitzrechtlich näher an die Sache herangerückt ist als der Bisherige – vgl. § 936 Abs. 3 BGB!

e. A. Lehre vom Nebenbesitz

  • Mangels vollständiger Besitzaufgabe des Eigentümers, da der Besitzmittler nach wie vor auch für diesen den Besitz mittelt, ist der Erwerber nicht näher an die Sache herangerückt als der Eigentümer. Es hat somit kein gutgläubiger Erwerb stattgefunden.

  • Auf dieses Ergebnis kommt es der Lehre vom Nebenbesitz an, denn nach deren Ansicht bestehe ein Wertungswiderspruch zwischen dem §§ 931, 934 BGB u. §§ 930, 933 BGB:

    • So kann ein Nichtberechtigter gem. §§ 931, 934 1. Alt. BGB Eigentum erwerben, sofern ihm ein Herausgabeanspruch abgetreten und er damit lediglich mittelbarer Besitzer wird, während beim §§ 930, 933 BGB die Erlangung des unmittelbaren Besitzes erforderlich ist.

    • Der Eigentumserwerb müsse daher scheitern, solange der unmittelbare Besitzer das BMV zum ursprünglichen Eigentümer nicht abgebrochen hat oder der Erwerber keinen unmittelbaren Besitz erlangt hat.

    • Es sei ansonsten willkürlich, dem einen oder anderen eine nähere Rechtsposition zuzusprechen.

a. A. Rechtsprechung & Literatur

  • Nach dieser Ansicht besteht kein Wertungswiderspruch der oben genannten Normen.

  • Sie begründet dies zum einen mit der gesetzlichen Gleichstellung von unmittelbarem und mittelbarem Besitz sowie der ausdrücklich gesetzlichen Regelung, dass für den Eigentumserwerb nach §§ 930, 933 BGB eine vollständige Aufgabe des mittelbaren Besitzes seitens des Veräußerers genügt.

    • Diese vollständige Aufgabe des mittelbaren Besitzes liegt im Abschluss des zweiten BMV.
  • Anders würde ein Nebenbesitz – als nicht vollwertiger mittelbarer Besitz – zum Besitz zweiten Ranges degradiert werden und damit zu einer Unterscheidung intern führen, die dem Sachenrecht jedoch völlig fremd ist.

Vorsicht:
Ein mittelbarer Besitz 2. Grades ist sehr wohl möglich. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass er zwar 2. Grades besteht, im Vergleich zum 1. Grad jedoch rechtlich gleichwertiger ist. Bei einer Annahme eines Nebenbesitzes würde es aber zu einer unterschiedlichen Wertigkeit kommen.

(2) Sicherungsübereignung (s.u.)

(3) Übertragung von Anwartschaftsrechten (s.u.)

7. Besitz der Erben

a) Erbenbesitz iSd § 857 BGB
Der Erbenbesitz fingiert die besitzrechtliche Stellung der Erben nach dem Tod des Erblassers. Der Besitz geht zum Zeitpunkt des Todes auf die Erben über, wie er beim Erblasser bestanden hat. D. h. war der Erblasser z. B. mittelbarer Besitzer wird der Erbe ebenfalls mittelbarer Besitzer.

b) Erbschaftsbesitz iSd § 2018 BGB (lesen!)
Der Begriff des Erbschaftsbesitzes ist in § 2018 BGB legal definiert und ist nach dieser mit der Position eines unberechtigten Besitzers vergleichbar.