Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin)
Gesetzlicher Eigentumserwerb gem. §§ 946 – 951 BGB
Die Vorschriften der §§ 946 – 951 BGB sind unabdingbar und regeln den Fall, dass eine Sache zum wesentlichen Bestandteil iSd § 93 BGB einer anderen Sache wird. In solch einem Fall bestehen die ursprünglichen Eigentümerverhältnisse nicht mehr fort, da die Sache als wesentlicher Bestandteil einer anderen Sache nicht mehr sonderrechtsfähig ist, d. h. an ihr können keine besonderen Rechte mehr bestehen. Es wird damit eine Neuordnung der Eigentümerverhältnisse erforderlich.
Eine Besonderheit des gesetzlichen Eigentumserwerbs liegt im § 949 BGB. Erlangt der Erwerber gesetzliches Eigentum an einer beweglichen Sache gem. §§ 946 – 948 BGB erlöschen durch die Verfügung alle Rechte Dritter an der beweglichen Sache, § 949 S. 1 BGB. Dies gilt jedoch nur, sofern der Eigentümer der belasteten Sache nicht Miteigentümer oder Alleineigentümer wird. Ansonsten erstrecken sich die Rechte Dritter nun auch auf die wesentlichen Bestandteile, § 949 S. 2 u. 3 BGB.
1. Verbindung beweglicher Sachen mit einem Grundstück, § 946 BGB
Der § 946 BGB regelt den Fall, dass eine bewegliche Sache in der Weise mit einem Grundstück verbunden wird, dass dieses zu dessen wesentlichem Bestandteil wird iSd §§ 93 – 95 BGB. Der Grundstückseigentümer erwirbt an der beweglichen Sache gesetzlich Eigentum. Die Rechte Dritter an der beweglichen Sache erlöschen, während sich die Rechte Dritter an dem Grundstück nun auch auf die bewegliche Sache beziehen.
2. Verbindung mehrere beweglicher Sachen, § 947 BGB
Nach diesem erfolgt ein gesetzlicher Eigentumserwerb, wenn mehrere bewegliche Sachen in der Weise miteinander verbunden werden, dass aus ihnen eine einheitliche Sache entsteht, sodass sie wesentliche Bestandteile der einheitlichen Sache iSd § 93 BGB sind.
Hierbei erlangen die Eigentümer der einzelnen beweglichen Sachen Miteigentum an der neuen, einheitlichen Sache im Verhältnis des Wertes ihrer vorher bestehenden beweglichen Sache. An diesen Anteilen des Miteigentums setzen sich auch mögliche Drittrechte fort, § 949 S. 2 BGB. Alleineigentum entsteht gem. § 947 Abs. 2 BGB nur, sofern eine der miteinander verbundenen Sachen als Hauptbestandteil der einheitlichen Sache angesehen werden kann (hier ist § 949 S. 3 BGB zu beachten).
3. Vermischung, § 948 BGB
Der § 948 BGB erfasst den Fall, dass mehrere bewegliche Sachen miteinander vermengt (feste Stoffe) oder vermischt (flüssige Stoffe) werden, sodass eine Trennung objektiv nicht mehr möglich ist oder aber wirtschaftlich sinnlos. Die Rechtsfolge ist der § 947 BGB. Praktische Relevanz hat dieser v. a. bei der Vermengung von Geld in der Kasse oder auch Vermischung von Sprit im Tank eines Autos.
4. Verarbeitung, § 950 BGB
§ 950 erfasst den Fall, bei dem eine neue bewegliche Sache entsteht und ist lex specialis zu den §§ 947, 948 BGB. Zu prüfen sind folgende Voraussetzungen:
-
Veränderung der beweglichen Sache
-
Zu beachten ist, dass bloße Reparaturen zur Erhaltung der Sache nicht erfasst sind.
-
Ausgangsstoffe können nur körperliche Gegenstände sein.
-
-
Herstellung einer neuen beweglichen Sache
-
Ob eine neue Sache vorliegt, ist nach der Verkehrsauffassung zu bestimmen und ist immer dann gegeben, wenn die Ausgangssache eine höhere Verarbeitungsstufe erreicht.
-
Zum Beispiel: neuer Name, neue Funktion, neuer Verwendungszweck, wesentliche Substanzveränderungen (Eine Wertsteigerung allein genügt nicht!).
-
-
Wert der Verarbeitung muss mindestens 60 % des Materialwerts betragen (Faustregel)
- D. h. es ist der Materialwert des Ausgangsproduktes von dem Wert der neuen Sache abzuziehen.
Sofern die Voraussetzungen vorliegen, erwirbt der Hersteller Eigentum an der neuen Sache. Hersteller ist derjenige, der den Verarbeitungsvorgang steuert und das wirtschaftliche Risiko der Verarbeitung trägt. Damit ist der Begriff des Herstellers nicht notwendig an die tatsächliche Verarbeitung geknüpft. D. h. es ist nicht der angestellte Arbeitnehmer der Hersteller, sondern der Inhaber des Betriebes.
(P1) Abdingbarkeit des § 950 BGB – sog. Verarbeitungsklausel
Es ist strittig, ob der § 950 BGB abdingbar ist und damit die Parteien vertraglich bestimmen können, wer Hersteller iSd § 950 BGB sein soll.
e. A. (+)
Sie sieht den § 950 BGB als dispositives Recht, sodass es der Privatautonomie unterliegt, wer Hersteller ist. Dafür spreche, dass die Ratio des § 950 BGB die Lösung eines möglichen Interessenkonflikts zwischen den Parteien ist. Bei vertraglicher Vereinbarung zwischen den Parteien kann dieser demnach keine Anwendung finden, da es keinen Konflikt gibt.
a. A. (-)
Sie sieht den § 950 BGB als unabdingbar an. Der § 950 BGB regele eben nicht allein die Konfliktlösung, sondern schütze vor allem auch die Gläubiger der Beteiligten, indem die Norm objektiv eine Eigentumszuordnung treffe.
Nach beiden müsse eine antizipierte Rückübereignung gem. §§ 929 S.1, 930 BGB vereinbart werden.
Die Rechtsprechung nimmt ebenfalls eine Unabdingbarkeit an. Dies ergebe sich bereits aus der systematischen Stellung des § 950 BGB. ABER! Die Herstellereigenschaft sei konkretisierungsbedürftig und könne demnach durch eine Parteivereinbarung iRe sog. Verarbeitungsklausel genauer bestimmt werden.
-
Dadurch soll ein Durchgangserwerb und ein Zugriff durch die Gläubiger des z. B. Werkunternehmers auf die verarbeiteten Ausgangsstoffe verhindert werden (Schutz des Lieferanten).
-
Dabei kann aber nur jemand Hersteller sein, der nach objektiven Kriterien auch am Verarbeitungsrisiko beteiligt sei.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass nach jeder Ansicht zumindest eine antizipierte Rückübereignung gem. §§ 929 S. 1, 930 BGB vereinbar ist. Diese ist auch im Zweifel anzunehmen, sofern die Verarbeitungsklausel unwirksam sein sollte (iRd § 140 BGB). Das Problem liegt hierbei darin, dass der Verarbeiter jedoch für eine juristische Sekunde Eigentümer wird (sog. Durchgangserwerb), sodass Ansprüche Dritter problematisch sein könnten.
Tipp:
Ruhig bleiben! Wenn keine Kreditsicherungsrechte Dritter eingreifen könnten, ist es egal welcher Meinung ihr folgt – nur das Erkennen und die Begründung zählen! Sollten jedoch Ansprüche von Gläubigern vorliegen, sodass ein Durchgangserwerb problematisch sein könnte, folgt ihr mit guter Begründung der Rtspr., die genau diese Problematik verhindern möchte.
(P2) Hersteller in Werklieferungsverträgen gem. § 651 BGB
Ein weiteres Problem besteht iRe Werklieferungsvertrages nach § 651 BGB, wenn der Besteller alle Stoffe vorlegt und aus diesen eine neue Sache hergestellt werden soll. Hersteller wäre demnach der Besteller, da er das überwiegende wirtschaftliche Risiko trägt (die Stoffe sind alle von ihm). Für diese Art der Verträge gilt das Kaufrecht, sodass der Unternehmer gem. § 651 S. 1 iVm § 433 Abs. 1 S. 1 BGB zur Übereignung verpflichtet ist. Fraglich ist nur, wie er das anstellen soll, wenn der Besteller gem. § 950 BGB als Hersteller anzusehen ist, sodass der Unternehmer nicht einmal für eine juristische Sekunde Eigentum an der bestellten Sache erlangt?
e. A. geht davon aus, dass der Hersteller iSv § 950 BGB der Besteller sei, sofern er alle Ausgangsstoffe dem Unternehmer liefert.
-
Diese Ansicht möchte entgegen des § 651 S. 1 BGB das Werkvertragsrecht anwenden.
-
Dem Unternehmer stehe zur Sicherheit ein Unternehmenspfandrecht nach § 647 BGB für seine Werklohnforderung zu.
Contra:
- Klarer Wille des Gesetzgebers und Vorgabe durch die EG-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie
a. A. nimmt ebenfalls an, dass der Besteller Hersteller iSd § 950 BGB ist. Der Unternehmer werde dahingegen nur auf Weisung des Bestellers tätig.
-
Der Begriff der Übereignung iSd § 433 Abs. 1 S. 1 BGB sei hier vielmehr als „Lieferung“ zu verstehen. Eine Lieferung sei demnach nicht als Verschaffung von Eigentum und Besitz zu verstehen, sondern erschöpfe sich in der Besitzverschaffung.
-
Um auch hier den Unternehmer hinreichend zu schützen, wendet diese Ansicht den § 647 BGB analog an.
5. Entschädigung für Rechtsverlust, § 951 BGB
Nach § 951 BGB hat derjenige, der sein Recht nach §§ 946 ff. BGB verliert, einen Anspruch auf schuldrechtlichen Ausgleich gegen den Erwerber. Es handelt sich hierbei um eine Rechtsgrundverweisung auf die Nichtleistungskondiktion, sodass sämtliche Voraussetzung eines Bereicherungsanspruches gegeben sein müssen. Dabei gilt, dass die §§ 946 ff. BGB keine Rechtsgründe darstellen.
Der ursprüngliche Eigentümer hat dann einen Anspruch auf Herausgabe der Bereicherung, ohne dass ein Abzug der erbrachten Gegenleistung stattfindet. Dies hat den Hintergrund, dass er bei einem Anspruch aus § 985 BGB die Gegenleistung ebenfalls nicht hätte anrechnen lassen müssen. Beachte dabei den § 951 Abs. 2 BGB, der mögliche Schadensersatzansprüche nicht berührt.
6. Der Jungbullen-Fall
Den Jungbullen-Fall kennt wohl jeder und sollte auch jeder kennen. Der Fall ist insoweit ganz einfach: Der Bauer (B) hatte eine Kuh, die von dem Dieb (D) gestohlen wurde und an den gutgläubigen Metzger (M) weiterverkauft wurde. Der M hat die Kuh dann geschlachtet und zu Wurst weiterverarbeitet gem. § 950 BGB. Nun ist die Frage, welche Ansprüche hat B gegen M?
Zunächst ist natürlich auch hier an ein EBV zu denken, sodass B eventuell Schadensersatzansprüche aus §§ 989, 990 BGB haben könnte. Doch hier ist bereits die Vindikationslage nicht gegeben, da in dem Moment, indem die Herausgabe der Sache unmöglich wird (= Zeitpunkt der Schadensentstehung), er zeitgleich nach § 950 BGB Eigentümer wird. Darüber hinaus ist er nicht bösgläubig.
Danach könnte ein Entschädigungsanspruch aus §§ 951, 812 Abs. 1, S. 1 Alt. 2 BGB gegeben sein. Der gerade als Ausgleichsanspruch für einen Eigentumserwerb über §§ 946 ff. BGB fungieren soll. Da es sich bei dem § 951 BGB um eine Rechtsgrundverweisung handelt, sind demnach die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1, S. 1 Alt. 2 BGB zu prüfen:
-
Etwas erlangt (+), unproblematisch Eigentum, spätestens durch Verarbeitung
-
Eingriff in den Zuweisungsgehalt eines fremden Rechts (+)
-
auf Kosten des B (+), denn er verliert sein Eigentum
( P ) Ausschluss der Eingriffskondiktion wegen der Subsidiarität gegenüber der Leistungskondiktion zwischen D – M?-
Rechtsgeschäftlich wurde nur der Besitz geleistet wegen §§ 935, 855 BGB. Der Eigentumserwerb erfolgte Kraft Gesetz durch die Verarbeitung.
-
Nach e. A. (-), denn der Grundsatz der Subsidiarität könne nur für das gelten was durch Leistung erlangt wurde.
-
Nach a. A. (+), da eine Leistung dem gesetzlichen Eigentumserwerb nicht entgegenstehe. Eine Leistung stellt kein Rechtsgeschäft dar.
-
Kann offenbleiben: Vorliegend greift der Grundsatz der Subsidiarität nicht, da es sich bei dem § 951 BGB um einen Rechtsfortwirkungsanspruch zu § 985 BGB handelt. Sofern der B vor der Verarbeitung einen Herausgabeanspruch gegen den M nach § 985 BGB gehabt hätte, ist nach Verarbeitung keine anderweitige Wertung möglich.
-
Andernfalls müsste man hier eine Eingriffskondiktion ablehnen, was zu einem Wertungswiderspruch mit § 935 BGB führen würde!
-
Du musst Dir den Fall denken, in dem die Kuh noch beim M steht. Hätte B einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB? Hier (+), wegen § 935 BGB. Dann muss dies auch für den Fall gelten, dass er „vielleicht nur eine Minute zu spät“ kommt, sonst könnte man so den § 935 BGB umgehen.
-
Und genau das soll der § 951 BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch zu § 985 BGB sichern.
-
-
-
rechtsgrundlos (+), die §§ 946 ff. BGB geben keinen Rechtsgrund
Ergebnis: Anspruch des B gegen M aus §§ 951, 812 Abs. 1, S. 1, 2. Alt BGB (+)
Merke:
Diesen Fall musst Du von seiner Grundsystematik verstehen. Damit Du erkennst, ob es sich nun um Holz oder andere verarbeitungsfähige Materialien handelt. Auch im Schwarzarbeiter-Fall kann diese Konstellation eingebaut sein: Der Schwarzarbeiter stiehlt bei seinem Chef Farbe und verarbeitet diese iRd Schwarzarbeiten im Haus des M. Es kann keinen Unterschied machen, ob der gesetzliche Eigentumserwerber die Sache selbst verarbeitet oder jemand anderes dies für ihn tut. Auch hier ist wieder zu überlegen, wie der Fall wäre, wenn die Farbe noch bei M stehen würde.