Anscheins- und Duldungsvollmacht im Rahmen der Stellvertretung

Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)

Anscheins- und Duldungsvollmacht

Die Möglichkeit einer Rechtsscheinhaftung wurde bereits hinsichtlich des § 172 BGB angesprochen (s. o.) [Eine weitere gesetzlich normierte Rechtsscheinhaftung findet sich in § 56 HGB. Dort gilt der, der im Laden oder Warenlager angestellt ist, zu allen Verkäufen und Warenannahmen bevollmächtigt.]. Das Zivilrecht kennt mit der Anscheins- und Duldungsvollmacht noch zwei weitere Rechtsscheintatbestände, die gesetzlich nicht normiert sind.

Die Duldungsvollmacht setzt voraus, dass jemand ohne Vertretungsmacht als Vertreter auftritt und dies der Vertretene auch weiß. Der Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt also mit Wissen und Duldung des Vertretenen.

Beispiel: F ist ein sehr großer Whiskyliebhaber. C, der über einem Whiskyladen wohnt, durchstöbert oft dessen Sortiment und lässt F immer wieder neue Whiskysorten direkt aus dem Laden zum Probieren zukommen. F bezahlt diese kommentarlos und freut sich über die Lieferungen. Hier tritt C als Vertreter des F auf, ohne eine Vollmacht erhalten zu haben. F weiß davon und schreitet nicht ein. Daher darf der Inhaber des Whiskyladens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte davon ausgehen, dass C wirksam bevollmächtigt wurde.

Die Duldungsvollmacht ist von einer konkludenten Vollmachtserteilung abzugrenzen. Bevor also die Voraussetzungen einer Duldungsvollmacht vorliegen, ist immer erst zu prüfen, ob nicht konkludent eine Vollmacht erteilt wurde. Dies ist für die Frage der Anfechtung entscheidend, denn ein Rechtsschein kann nicht angefochten werden.

Beachte, dass der Geschäftspartner nur schutzwürdig ist, wenn er nicht positiv weiß, dass C gar nicht von F für die Bestellungen des Whiskys bevollmächtigt ist. Weiß er von der fehlenden Vollmacht, haftet F nicht aufgrund eines Rechtsscheins.

Die Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass jemand ohne Vertretungsmacht wiederholt als Vertreter auftritt. Im Unterschied zur Duldungsvollmacht weiß der Vertretene aber nichts davon weiß, hätte es aber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt wissen müssen. Siehe Beispiel 8: iurastudent.de/content/b-anscheinsvollmacht

Die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht sind umstritten. Die h.M. möchte den Vertretenen so behandeln, als habe er eine Vollmacht erteilt, d.h. er haftet für den Erfüllungsschaden. Die Gegenansicht lehnt dies ab mit der Begründung, dass das Vorliegen der Anscheinsvollmacht fahrlässige Unkenntnis voraussetze, Fahrlässigkeit aber nicht ausreicht für das Zustandekommen eines Vertrags. Sie will den Vertretenen daher nur auf das negative Interesse (Vertrauensschaden) haften lassen. Für die h.M. spricht, dass sich die fehlende Kenntnis des Vertretenen nur selten nachweisen lässt.