Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)
Anfechtungsgrund
Irrtum und arglistige Täuschung
Für beide Alternativen des § 123 BGB ist ein Irrtum des Anfechtungsberechtigten entscheidend. Worauf dieser sich bezieht, ist für § 123 BGB unerheblich. Entscheidend ist die Tathandlung des Anfechtungsgegners. Alt. 1 verlangt die arglistige Täuschung.
Täuschung durch positives Tun oder Unterlassen bei Aufklärungspflicht
Definition:
Eine Täuschung ist das Erregen oder Aufrechterhalten eines Irrtums über Tatsachen (vgl. Palandt/Ellenberger, § 123 Rn. 2), also objektiv nachprüfbarer Umstände und nicht bloß subjektiver Werturteile (BGH NJW 07, 357 u.a.). Diese Täuschung kann ausdrücklich sowie konkludent (positives Tun) oder durch Unterlassen erfolgen. Bei einem Unterlassen (Verschweigen), ist das Anfechtungsrecht begründet, wenn eine Rechtspflicht zur Aufklärung besteht (z. B. aufgrund überlegenen Wissens oder aus einer Vertrauensbeziehung, vgl. BGH LM Nr. 52, BGH NJW 89, 763).
Eine Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich bei Fragen des anderen Teils (BGH 74, 383/92, NJW 67, 1222 u.a.). Hinsichtlich ungefragter Tatsachen besteht dagegen i.d.R. keine Aufklärungspflicht, es sei denn die ungefragte Tatsache ist für den anderen Teil von offensichtlich ausschlaggebender Bedeutung für die Willensbildung und der andere Teil kann sie sich bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt auch nicht ohne Weiteres selbst verschaffen (BGH NJW 71, 1799, 10 3362 Tz 22). Eine Aufklärungspflicht kann sich auch aus einem besonderen Vertrauensverhältnis ergeben (BGH NJW 92, 300). Bei Geschäften mit spekulativem Charakter besteht hinsichtlich des spekulativen Elements grundsätzlich keine Aufklärungspflicht (BGH LM Nr. 56).
Arglist
Definition:
Arglist bedeutet Vorsatz (nicht Absicht, vgl. BGH NJW 01, 2326, 07 3057 Tz 29). Der Vorsatz muss sich auf die Täuschungshandlung, den dadurch entstehenden Irrtum und die aufgrund der Täuschung abgegebene Willenserklärung des Getäuschten beziehen (s. c. Kausalität). Bedingter Vorsatz genügt, daher sind auch Angaben „ins Blaue hinein“ ausreichend (BGH 63, 382/86, NJW 81, 864, 1441 u.a.).
Beispiel 1:
Gebrauchtwagenhändler G verkauft dem C einen Gebrauchtwagen, ohne ihn darüber aufzuklären, dass es sich dabei um einen Unfallwagen handelt.
Beispiel 2:
G verkauft dem C einen Wagen. C fragt, ob es sich bei der Sache um einen Unfallwagen handelt, da er im Falle den Wagen nicht erwerben wolle. G ist sich nicht sicher. Statt die Papiere zu überprüfen, sagt er: „Der Wagen war stets einwandfrei.“
In beiden Fällen besteht für G eine Aufklärungspflicht gem. § 242 BGB über alle verkehrswesentlichen Eigenschaften der Sache. Durch das Verschweigen (Täuschung durch Unterlassen) und die Angaben „ins Blaue hinein“, täuscht er den C arglistig.
Aufgrund der Täuschung erwirbt C schließlich den Gebrauchtwagen (Kausalitätserfordernis). Ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB besteht somit.
Ist die arglistige Täuschung ausnahmsweise erlaubt, scheidet das Anfechtungsrecht aus.
Beispiel 3:
B wird im Bewerbungsgespräch von P gefragt, ob sie vorhabe, in den nächsten Jahren schwanger zu werden. B verneint dies, obwohl sie die Verhütung bereits abgesetzt hat. Hier ist die arglistige Täuschung durch B gerechtfertigt, da die Frage als Eingriff in den persönlichen Intimbereich unzulässig war.
§ 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist neben den kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen anwendbar, da der arglistig Handelnde nicht privilegiert werden soll.
Eine Einschränkung des Anfechtungsrechts findet sich in § 123 Abs. 2 S. 1 BGB. Täuscht ein Dritter, ist die Erklärung nur dann anfechtbar, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen musste. „Dritte“ i.S.d. Vorschrift ist jeder, der nicht aufseiten des Anfechtungsgegners steht (also, nicht Angestellter, Verkäufer, etc. ist).