Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)

Erklärungsbewusstsein

Hier liegt in der Klausur regelmäßig der Problemschwerpunkt.

Dem Erklärenden muss bewusst sein, dass er durch seine Handlung irgendetwas rechtlich Erhebliches erklärt. Man spricht vom sog. Rechtsbindungswillen.

Der Schulbuchfall ist hier die sog. "Trierer Weinversteigerung": Während einer Weinversteigerung winkt A seinem Bekannten B zu, der gerade zur Versteigerung hinzukommt. Der Versteigerer V hält dies für ein Gebot und erteilt A den Zuschlag. Hier hat A zwar Handlungswille, aber ihm fehlt das Erklärungsbewusstsein, d.h. ihm ist nicht klar, dass er gerade etwas rechtlich Erhebliches erklärt hat (Handheben = Gebot).

Wie das Fehlen des Erklärungsbewusstseins im Gutachten zu behandeln ist, siehe unten.

Merke: Ein Irrtum darüber, was genau erklärt wird, lässt das Erklärungsbewusstseins unberührt, z. B. wenn aus Versehen zu viel einer Ware bestellt wird.

Regelmäßig ist in der Klausur die mit einem Rechtsbindungswillen abgegebene Willenserklärung von der bloßen Gefälligkeit abzugrenzen.

Beispiel: M wohnt in Hamburg und hat ein Vorstellungsgespräch in Stuttgart. Sein Freund F plant zufälligerweise am Tag des Vorstellungsgesprächs nach Stuttgart zu fahren, um dort einen alten Studienfreund zu besuchen. Er bietet an, M mitzunehmen. Am Tag des Vorstellungsgesprächs wartet M vergeblich auf F und erreicht in letzter Sekunde einen Zug.

Hier stellt sich die Frage, ob zwischen M und F ein Beförderungsvertrag geschlossen worden ist und ob F nun M die Kosten für das Zugticket erstatten muss, da er seine Leistung (Beförderung des M nach Stuttgart) nicht erbracht hat. Die Rechtsprechung hat ein Indizienbündel entwickelt, um die Gefälligkeit vom Rechtsgeschäft abzugrenzen:

  • Art, Zweck und Grund der Vereinbarung

  • wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Vereinbarung

  • Wert von Gegenständen der Vereinbarung

  • Interessenlage der Parteien und erkennbare Gefahren der Parteien

Es ist immer der Einzelfall abzuwägen. Wendet man die Kriterien auf den Beispielsfall an, so war für F erkennbar, dass das Vorstellungsgespräch für M von bedeutendem, auch wirtschaftlichem Wert war. Die Annahme eines Rechtsgeschäfts hätte die Folge, dass F auch die Haftung für Verzögerungen durch Stau oder Unfälle übernimmt. Dass F sich solchen Gefahren aussetzt, spricht eher dafür, dass es sich vorliegend um eine bloße Gefälligkeit im gesellschaftlichen Bereich handelt und er keinen Rechtsbindungswillen hatte, als er M angeboten hat, ihn nach Stuttgart mitzunehmen.

Achtung: Auch aus Gefälligkeitsverhältnissen können im Einzelfall Rechtspflichten entstehen, insbesondere dann, wenn es um Schadensersatzpflichten geht. Dass die Parteien auf Primärebene keine Erfüllungsansprüche wollten, schließt nicht aus, dass für etwaige Schäden auf Sekundärebene nicht gehaftet werden soll.

Der Verschuldensmaßstab ist für denjenigen, der die Gefälligkeit erweist, umstritten. Einige wollen auf ihn die §§ 521, 599, 690 BGB analog anwenden und das Verschulden auf Fälle der groben Fahrlässigkeit im Sinne unentgeltlicher Verträge beschränken. Die h.M. lehnt dies ab mit der Begründung, dass das den Gefälligkeitsverhältnissen am ähnlichsten Auftragsrecht auch keine Haftungsmilderung vorsieht.