Auslegung von Willenserklärungen gem. §§ 133, 157 BGB

Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)

Willenserklärungen sind nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Dem entsprechen auch §§ 133, 157 BGB, nach dem nur der wirkliche (objektive) Wille und nicht die subjektive Absicht zählt (Achtung: § 157 BGB findet nur auf Verträge Anwendung). Dies ist der Rechtssicherheit geschuldet, die im groben Maße unsicher wäre, würde man den subjektiven Willen des Erklärenden als Maßstab der Auslegung bestimmen.

Ein Sonderfall liegt vor, wenn beide Parteien den Vertragsgegenstand falsch bezeichnen, aber dennoch beide übereinstimmend denselben Gegenstand meinen. Dann gilt das tatsächlich Gewollte und nicht das abweichend Gesagte. Die bloße Falschbezeichnung schadet also nicht (sog. falsa demonstratio non nocet).

Beispiel: Fischhändler F kauft beim Fischgroßhändler G Haakjöringsköd, von dem beide Parteien der Auffassung sind, es sei Walfleisch. Tatsächlich bedeutet der Begriff aber Haifischfleisch (vgl. „Haakjöringsköd-Fall“, RGZ. 99, 147). Hier schadet die Falschbezeichnung nicht, denn beide Parteien wollen übereinstimmend einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 Abs. 1 BGB über denselben Gegenstand (Walfleisch) schließen.

Haben sich die Parteien über einen Punkt noch nicht geeinigt, über den sie einen Vertrag schließen wollen, liegt ein sog. Dissens vor. Man unterscheidet hier zwischen dem offenen Dissens (§ 154 BGB) und dem versteckten Dissens (§ 155 BGB).

Ein offener Dissens meint, dass den Parteien die mangelnde Einigung über einen Vertragspunkt bekannt und bewusst ist, z. B. wenn die Parteien sich noch nicht über den Kaufpreis für die Sache geeinigt haben. Hier gilt der Vertrag – solange der offene Dissens zwischen den Vertragsparteien noch vorliegt – als im Zweifel nicht geschlossen, vgl. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vertrag kann als geschlossen gelten, wenn offensichtlich ist, dass die Parteien trotz offenen Dissens‘ die Wirksamkeit des Vertrags wollen.

Ein versteckter Dissens meint, dass die Parteien sich über einen Punkt noch nicht geeinigt haben, über den sie glauben, sich einig geworden zu sein. Der Vertrag gilt als im Zweifel wirksam (§ 155 BGB). Dies liegt daran, dass sich dieser versteckte Dissens meist nur auf Nebenpunkte des Vertrags beziehen (sog. accidentalia negotii), nicht auf die für den Vertrag wesentlichen Hauptpunkte (sog. essentialia negotii, s. u.). Läge keine übereinstimmende Einigung hinsichtlich der essentialia negotii vor, so kommt der Vertrag als solches i.d.R. überhaupt nicht zustande. Die fehlende Einigung über einen Nebenpunkt des Vertrags ist dann im Wege der Auslegung zu beheben.