V. Unmöglichkeit im Rahmen eines sog. gegenseitigen Vertrages

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin))

Für einen sog. gegenseitigen Vertrag muss mindestens ein Paar wechselseitiger Leistungspflichten – ein sog. Synallagma (lat. do ut des) – vorliegen.

Beispiel: der Kaufvertrag, § 433 Abs. 1 BGB
(Eigentums-) Verschaffungspflicht vs. Kaufpreiszahlungspflicht

Hier wird die bereits erklärte Leistungsgefahr des Schuldners relevant.

Zur Erinnerung: Die Leistungspflicht betrifft das Risiko des Schuldners nochmals leisten zu müssen, selbst wenn die Sache, mit der der Schuldner erfüllen wollte, untergeht.

Davon zu unterscheiden ist die Gegenleistungsgefahr oder auch sog. Preisgefahr. Diese betrifft das Risiko des Leistungsgläubigers, trotz Untergang der Leistungspflicht des Schuldners weiterhin leisten zu müssen. Es ist, sofern der Schuldner von der Leistung frei wird, zu prüfen, ob der Schuldner dann seinen Anspruch auf die Gegenleistung ausnahmsweise behält.
Entfällt eine synallagmatische Leistungspflicht, dann hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die Gegenleistung. Nach dem Grundsatz gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfällt grundsätzlich die synallagmatische Gegenleistung insoweit – der Hauptleistungspflicht – entspricht. Genau darin liegt dann auch die Unterscheidung der beiden Normen. Während § 275 die unmöglich gewordene Leistungspflicht entfallen lässt, lässt der § 326 Abs. 1 S. 1, 1. Hs BGB die Gegenleistungspflicht entfallen.

Beachte: Die Gegenleistungsgefahr entfällt gem. § 326 Abs. 1 S. 1, 1. Hs BGB im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages, bei dem die synallagmatische Hauptleistung gem. § 275 entfallen ist, sofern keine der folgenden Ausnahmevorschriften eingreift. D.h. iRd Prüfung, ob die Gegenleistung erloschen ist, ist inzident zu prüfen, ob die Hauptleistungspflicht nach § 275 erloschen ist und wenn ja, ob eventuell eine Ausnahme eingreift. Diese „Verschachtelung“ iRd Prüfung muss bekannt sowie bewusst sein!

Zur Veranschaulichung kann folgende Übersicht helfen:

Grundsatz: Ohne Leistung keine synallagmatische Gegenleistung gem. § 326 Abs. 1 BGB

Leistungsgefahr Gegenleistungsgefahr
§ 275 BGB § 326 Abs. 1 BGB
a) § 243 Abs. 1-2 BGB
b) § 270 BGB
c) § 300 Abs. 2 BGB
Systematische Ausnahmen:
§ 326 Abs. 2 S. 1, 1. u. 2. Alt. BGB
→ als anspruchserhaltende Normen
Ausnahmen:
- §§ 446, 447 BGB
- § 615 BGB
- §§ 644, 645 BGB

→ Die Tabelle ergibt – von oben nach unten zu lesen – die Prüfungsreihenfolge!

1. Ausnahmen des Grundsatzes gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB

Die Ausnahmen erhalten den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung in dem Fall, dass dieser von der Hauptleistungspflicht frei geworden ist. Es liegt somit ein Übergang der Preisgefahr auf den Gläubiger vor.

a) § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB

Nach § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB bleibt der Anspruch auf die Gegenleistung bestehen, und zwar für den Fall, dass der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung für diese Unmöglichkeit „allein oder weit überwiegend verantwortlich“ ist. Es handelt sich um eine anspruchserhaltende Norm. Sie erhält folglich den Anspruch aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis auf die Gegenleistung. Die Anspruchsgrundlage des jeweiligen Schuldverhältnisses z. B. § 433 Abs. 2 iVm § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB bleibt erhalten.
Für die Feststellung, ob der Gläubiger für die Unmöglichkeit verantwortlich ist, sind die §§ 276 ff. BGB nach h.M. entsprechend anzuwenden. Dabei ist für „weit überwiegend“ ein Verschuldensanteil von ca. 80-90 % anzunehmen.

Wichtig: Hiervon sind im Grunde nur die Fälle erfasst, in denen der Gläubiger allein die Verantwortung trägt oder aber die Verantwortung des Schuldners derart gering ist, dass sie zu vernachlässigen ist. Der Problemklassiker der beiderseits zu vertreten Unmöglichkeit fällt hier nicht drunter und soll später erklärt werden (hierzu später mehr).

b) § 326 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB

Der § 326 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB regelt den Übergang der Preisgefahr im Zeitpunkt der Unmöglichkeit, wenn der Gläubiger sich zugleich im Annahmeverzug befindet. Dies basiert auf dem Gedanken, hätte der Gläubiger rechtzeitig angenommen, wäre die Unmöglichkeit nicht eingetreten und er wäre nach wie vor zur Gegenleistung verpflichtet. Es muss kein kausaler Zusammenhang zwischen Annahmeverzug und Unmöglichkeit vorliegen. Es genügt allein die zeitliche Übereinstimmung. Auch ist kein Vertretenmüssen des Schuldners erforderlich gem. der Haftungsprivilegierung nach § 300 Abs. 1 BGB. Bleibt der Anspruch gem. § 326 Abs. 2 S. 1, 1. u. 2. Alt. BGB erhalten, ist eine eventuelle Anrechnung gem. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB zu beachten. Der Schuldner muss sich das Ersparte oder das durch anderweitige Verwendungen der Leistung Erworbene bzw. das was er böswillig unterlassen hat zu erwerben anrechnen lassen (z. B. Erlös durch Weiterverkauf, sog. Deckungsverkauf oder andernfalls anfallender Arbeitslohn für Arbeiter, Versicherungsleistungen u.ä.). Sein Anspruch wird entsprechend gekürzt.

c) weitere Ausnahmen

Die in der Übersicht weiteren Ausnahmen beziehen sich auf die speziellen Vertragsarten und regeln einen gesetzlichen Übergang der Preisgefahr. Sie sollen an entsprechender Stelle im SchuldR BT Skript erklärt werden.

2. Prüfung des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB

Der § 326 Abs. 1 S. 1 BGB betrifft die Gegenleistung zur unmöglich gewordenen Leistung und betrifft die sog. Preisgefahr (Gegenleistungsgefahr). Er kann an zwei verschiedenen Stellen geprüft werden. Zum einen im „Anspruch entstanden“ als rechtshindernde Einwendung bei anfänglicher Unmöglichkeit. Zum anderen im „Anspruch erloschen“ als rechtsvernichtende Einwendung bei nachträglicher Unmöglichkeit. Dabei ist jeweils nachfolgender Prüfung vorzugehen:

a) Gegenseitiger (synallagmatischer) Vertrag

b) Ausschluss der synallagmatischen Hauptleistungspflicht gem. § 275 Abs. 1-3 BGB

Betrifft nur die synallagmatische Leistungspflicht und erfasst nicht jede Pflicht aus einem gegenseitigen Vertrag.

c) Kein Vorliegen einer Ausnahme:

(1) Alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers, § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB
(2) Annahmeverzug, § 326 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB
(3) vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit

Grundsätzlich greift hier der § 326 Abs. 1 S. 1, 1. Hs BGB, da keine Ausnahmevorschriften ersichtlich sind. Allerdings kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB bzw. bei anfänglicher Unmöglichkeit nach § 311a Abs. 2 BGB verlangen.

(4) weitere speziell geregelte Ausnahmen:

aa) §§ 446, 447 BGB

bb) § 615 BGB - sie werden im Rahmen der speziellen

cc) §§ 644, 645 BGB - Vertragsverhältnisse genauer dargestellt