Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin))

I. Die Gesamtschuld, §§ 421 ff. BGB

Eine Gesamtschuld besagt, dass jeder Schuldner zur gesamten Leistung – als entscheidender Unterschied zur Teilschuld gem. § 420 BGB - verpflichtet ist, der Gläubiger sie aber nur einmal fordern kann, gem. § 421 BGB.

II. Arten

1. vertraglich, § 427 BGB
2. deliktisch, § 840 BGB
3. gesetzlich, §§ 421, 422 BGB

III. Formen

1. Teilschuldnerschaft, § 420 BGB

  • Schuldner haben jeweils nur ihren Anteil zu erbringen.

2. Gesamtschuldnerschaft, §§ 421 – 427 BGB

  • Jeder Schuldner schuldet die ganze Leistung; anschließender Regress über § 426 Abs. 1, 2 BGB.

IV. Voraussetzungen

1. mehrere Schuldner
2. jeder schuldet die gesamte Leistung
3. Gläubiger kann die Leistung insgesamt nur einmal verlangen

  • Abgrenzung zur Anspruchskumulation

4. Gleichartigkeit der Verpflichtungen bzw. Identität des Leistungsinteresses

  • Es müssen die Leistungen dabei nicht auf denselben Rechtsgrund zurückgehen, es muss nur dasselbe Interesse des Gläubigers befriedigt werden, z. B. Geld o.ä.
5. Gleichstufigkeit der Leistungen

  • die Leistungen müssen gleichstufig sein, d.h. keine der beiden darf der anderen gegenüber subsidiär bzw. nachrangig sein
  • im Grunde nur in zwei Fällen nicht gegeben:

  • (1) wenn der Anspruch sich gegen einen Darlehensnehmer und einen selbstschuldnerischen Bürgen richtet, denn in dem Fall, dass der Bürge zahlt, geht die Forderung nicht unter, sondern iRe cessio legis (§ 774 Abs. 1 BGB) auf ihn über;

    (2) Ansprüche gegen eine Personengesellschaft und deren Gesellschafter, die nicht gesamtschuldnerisch haften. Allein mehrere persönlich haftende Gesellschafter können untereinander als Gesamtschuldner haften.

V. Rechtsfolgen

1. Grundsatz der Einzelwirkung

Wichtig ist es hier zu verstehen, dass zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Gesamtschuldnern jeweils ein eigenes Rechtsverhältnis besteht. Erst eine innere Verbundenheit zwischen den Forderungen macht die Gesamtschuld aus. Dabei bleibt gem. § 425 BGB die Selbstständigkeit der einzelnen Rechtsverhältnisse soweit es geht, bestehen.

2. Ausnahmen nach den §§ 422 – 424 BGB:

a) § 422 Abs. 1 BGB – Wirkung der Erfüllung

Gemäß dem § 422 I 1 und bereits aus dem Wesen der Gesamtschuld gem. § 421 Abs. 1 S. 1 BGB hat eine Erfüllung eine Gesamtwirkung, denn der Gläubiger kann die Leistung nur einmal fordern.

Wichtig: Dies führt nicht zwangsläufig zum Erlöschen der Forderung! Der Leistende hat eventuell einen Regressanspruch gegen die anderen Gesamtschuldner. Einen Regressanspruch kann er nicht haben, wenn der Anspruch erlöschen würde!

b) § 423 BGB – Wirkung des Erlasses

Wie bereits erläutert, handelt es sich bei dem Erlass gem. § 397 um eine Verfügung. Grundsätzlich kennt das Gesetz keine Verfügung zugunsten Dritter. Der § 423 stellt eine Ausnahme dar, sodass ein Erlassvertrag Gesamtwirkung für alle Gesamtschuldner entfalten kann, sofern dies zwischen den Vertragsparteien auch so vereinbart wurde.

→ andernfalls bleibt es bei der Einzelwirkung – inter partes – zwischen dem Gläubiger und dem entsprechenden Gesamtschuldner.

Sofern der am Erlassvertrag beteiligte Gesamtschuldner von jeglicher Inanspruchnahme – d.h. vom Gläubiger sowie den anderen Gesamtschuldner für etwaige Regressansprüche – freigestellt werden soll, kann dies durch einen Teilerlass erfolgen, nach dem dann auch alle anderen Gesamtschuldner in entsprechender Höhe freigestellt werden.

Beachte: Alles andere würde ansonsten einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Drittendarstellen!

c) § 424 BGB – Wirkung des Gläubigerverzuges

Es ist die logische Konsequenz aus § 422 Abs. 1 S. 1 BGB, denn hätte der Gläubiger die ihm angebotene Leistung angenommen, wären auch alle anderen Gesamtschuldner gegenüber ihm von der Leistung frei geworden.

d) § 425 BGB– Grundsatz der Einzelwirkung

Grundsätzlich wirken alle Tatsachen – abgesehen von den in §§ 422 – 424 BGB genannten Ausnahmen – lediglich für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreffen. Dabei ist der Grundsatz der Einzelwirkung keinesfalls zwingend, sondern unterliegt den jeweiligen Schuldverhältnissen, in denen die Parteien entsprechend abweichende Vereinbarungen treffen können.

Beachte: Die Aufzählung in § 424 Abs. 2 BGB „insbesondere“ ist nicht abschließend!

3. Gesamtschuldnerausgleich

Wie bereits erwähnt, führt die Leistung eines Gesamtschuldners nicht zum Erlöschen der Forderung. Die Leistung führt zu einem gesetzlichen Forderungsübergang auf den Leistenden und ermöglicht ihm so einen Rückgriffsanspruch gegenüber den anderen Gesamtschuldnern gem. § 426 BGB.

a) § 426 Abs. 1 BGB – Innenverhältnis

Dabei bezieht sich der § 426 Abs. 1 BGB auf das Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern, die zueinander in gleichen Anteilen verpflichten werden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.

Zunächst stellt der § 426 Abs. 1 BGB – vor einer Zahlung durch einen Gesamtschuldner – lediglich einen Freistellungsanspruch dar, der primär darauf abzielt, dass alle Gesamtschuldner an der Befriedigung des Gläubigers mitzuwirken haben. Erst nach Zahlung wandelt sich der § 426 Abs. 1 BGB in einen Ausgleichsanspruch des leistenden Gesamtschuldners um. Dies ist zwar weder eindeutig im Gesetz geregelt noch kann man es dem Wortlaut ansatzweise entnehmen, doch entspricht es der gefestigten Rechtsprechung und ist allgemein anerkannt.

Gem. § 426 Abs. 1 BGB greift die Grundregel – Haftung zu gleichen Teilen bzw. pro Kopf – sofern sich dem Innenverhältnis nicht ein anderer Verteilungsmaßstab entnehmen lässt.

Mögliche Ausnahmen sind:
(1) vertragliche Vereinbarungen,
(2) § 254 BGB analog und § 17 StVG im Straßenverkehr, die auf eine Haftung nach dem jeweiligen Verursachungsbeitrag abzielen,
(3) den §§ 840 Abs. 2, 3 BGB sowie ein innerbetrieblicher Schadensausgleich.

Sofern ein Gesamtschuldner ausfallen sollte, greift der § 426 Abs. 1 S. 2. BGB Hierbei gilt, dass sich daraus keine Besserstellung des leistenden Gesamtschuldners ergeben darf. Die Bonität der einzelnen Gesamtschuldner haben alle Gesamtschuldner zu gleichen Teilen zu tragen.

b) § 426 Abs. 2 BGB – Außenverhältnis

Der § 426 Abs. 2 BGB regelt das Außenverhältnis und lässt den Anspruch des Gläubigers auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen iRe cessio legis. Dabei erfolgt der Forderungsübergang beschränkt in der Höhe des dem leistenden Gesamtgläubigers zustehenden Ausgleichsanspruchs. Die Forderung erlischt demnach nur insoweit für den Teil des Gesamtanspruches des Gläubigers, für den er nicht von den anderen Gesamtschuldnern einen Ausgleich verlangen kann. Einfacher gesagt, sein eigener Anteil an der Forderung erlischt und sein Regressanspruch mindert sich in entsprechender Höhe.

Der Vorteil der cessio legis des § 426 Abs. 2 BGB liegt in dem damit verbundenen Übergang der akzessorischen Nebenrechte gem. §§ 412, 401 BGB. Das bedeutet, sofern für die Forderung eine Sicherheit gegeben ist, kann der leistende Gesamtschuldner diese ebenfalls in Anspruch nehmen, z. B. Bürgen o.ä..

VI. Problem der Gestörten Gesamtschuld

Ein wichtiges Problem – und in den Examensklausuren ein absoluter Dauerbrenner – ist die gestörte Gesamtschuld. Eine solche liegt vor, wenn einer der Gesamtschuldner wegen eines Haftungsausschlusses oder einer Haftungsbeschränkung (kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäft) gegenüber dem Gläubiger von einer Haftung befreit ist.

Beispiel: Der Vater V kauft für seinen Sohn S beim Verkäufer und Hersteller H einen Schreibtischstuhl und baut diesen selbst auf. S setzt sich nach getaner Arbeit des V auf den Stuhl, um seine Hausaufgaben zu erledigen. Der Stuhl bricht kurz darauf zusammen und S bricht sich den rechten Arm. Es stellt sich heraus, dass der Stuhl wegen eines Konstruktionsfehlers (damit Verantwortungsbereich des H) in Kombination mit einem Aufbaufehler (Verantwortungsbereich des V) zusammengebrochen ist.

Sowohl H als auch V handelten hierbei leicht fahrlässig, sodass sich im Grunde eine Verteilung der Schuld von 50 % ergibt. S verlangt nun von H die Kosten der Heilbehandlung in voller Höhe. Zu Recht?

1. Voraussetzungen der gestörten Gesamtschuld

    (1) Schuldnermehrheit
    (2) einer der Schuldner haftet voll (Drittschädiger)
    (3) einer haftet gar nicht oder lediglich privilegiert

Im Beispielfall sind sowohl V als auch H Schuldner des S. Sie haften im Grunde als Gesamtschuldner gem. § 421 BGB. V haftet seinem Sohn S jedoch gem. §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB nur für die eigenübliche Sorgfalt, d.h. in der Regel nur für grobe Fahrlässigkeit. Im vorliegenden Fall handelte er jedoch allenfalls leicht fahrlässig und wäre demnach haftungsprivilegiert. Der H hingegen haftet unbeschränkt dem S gegenüber.

Es ist fraglich, ob S von dem H die Kosten für die Heilbehandlung nur in Höhe dessen Verschuldensanteils in Höhe von 50 % oder evtl. auch in voller Höhe verlangen kann.

2. Rechtsfolge

Die Rechtsfolge einer solchen gestörten Gesamtschuld ist umstritten. Es haben sich drei mögliche Lösungswege entwickelt:

(1) Zulasten des privilegierten Schädigers (BGH früher)

  • Es wird eine Gesamtschuld fingiert, sodass der Drittschädiger voll haftet, aber zugleich einen Regressanspruch gegen den privilegierten Haftenden gem. § 426 BGB hat.

    Contra:

    • Ein privilegiert Haftender stünde damit schlechter, als wenn er den Schaden allein verursacht hätte, denn dann würde eine Haftung aufgrund der Privilegierung gänzlich ausscheiden, nun haftet er aber anteilig.
    • Dadurch würde eine gesetzliche Wertung und die Privilegierung komplett ausgehöhlt werden. Dieser Ansatz führt zu unbilligen Ergebnissen führen.

(2) Zulasten des Drittschädigers

  • Lehnt einen Regress schlichtweg ab, sodass eine Berücksichtigung der Mitschuld vollumfänglich unterbleibt.

    Pro:

    • In den meisten Fällen sind es Eltern, die privilegiert haften, daher spricht hierfür aus einer familienrechtliche Betrachtung der Familienfrieden. Der Schutz vor einer auch nur mittelbaren Belastung innerhalb der Familie mit gegenseitigen Ansprüchen überwiegt gegenüber einem Rückgriffinteresse des Drittschädigers.
    • Zudem würden so auch die gesetzlichen Haftungsprivilegierungen voll greifen.

    Contra:

    • Ein Mitverschulden des privilegiert Haftenden bleibt damit komplett unberücksichtigt.

(3) Zulasten des Geschädigten

  • Der Anspruch des Geschädigten gegenüber dem Drittschädiger wird um den Mitverschuldensanteil des privilegiert Haftenden entsprechend gekürzt.
  • Es erfolgt somit eine Kürzung im Außenverhältnis statt in dem Innenverhältnis der Gesamtschuld.
  • Pro:

    • Wortlaut, z. B. § 1664 BGB „dem Kinde gegenüber“, ebenso bei einem innerbetrieblichen Schadensausgleich.
    • Gerechtester Interessenausgleich – zwischen den Gesamtschuldner gilt der § 254 BGB entsprechend (gem. § 426 Abs. 1 BGB „soweit sich nicht...“) und es ist eine angemessene Verschuldensquote zu bilden.

(4) Der BGH heute

  • Lehnt mittlerweile eine Fiktion ab, doch unterscheidet er zwischen einer vertraglichen und gesetzlichen Privilegierung:

a) Bei einer vertraglichen Haftungsprivilegierung

    Es bleibt der Regressanspruch des Drittschädigers nach wie vor bestehen (zulasten des privilegierten Schädigers).

    Pro:

    • Dafür spricht, dass es keinen Vertrag zulasten eines Dritten geben kann.

    Contra:

    • Führt zu einem unnötigen Haftungskreisel, denn der privilegiert Haftende kann dann Regress beim Gläubiger nehmen.
    • -> Es bietet sich hier ebenfalls an, eine Lösung zu Lasten des Geschädigten zu wählen, um ein sachlich gleiches Ergebnis zu erzielen, ohne einen unnötigen Haftungskreisel zu provozieren.

b) Bei einer gesetzlichen Haftungsprivilegierung

    Der BGH lehnt dagegen eine Kürzung ab. Nach diesem ist eine vollumfängliche Haftung (zu 100 %) des Drittschädigers anzunehmen. Begründet wird dies durch die Privilegierung der Familienmitglieder und die Erhaltung des Familienfriedens.

    Contra:

    • Kein Grund für eine Differenzierung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Haftungsprivilegierungen.
    • Hiergegen spricht bereits der Wortlaut des § 1664 BGB.
    • Auch nach dem obigen Lösungsvorschlag ist eine gerechte Lösung möglich.

Die (3) Lösung zulasten des Geschädigten ist mit den obigen Argumenten vorzugswürdiger. In der Klausur kommt es dabei nicht darauf an, für welche Lösung ihr euch entscheidet. Wichtig ist allein, dass ihr den Streit kennt und Argumente (am Fall) für und gegen die einzelnen Ansichten vorbringen bzw. entwickeln könnt.

3. Mögliche Haftungsprivilegien

    (1) § 300 Abs. 1 BGB - Haftungserleichterung während des Annahmeverzugs
    (2) § 521 BGB - Haftungserleichterung des Schenkers
    (3) § 599 BGB - Haftungsbeschränkung bei der Leihe
    (4) § 680 BGB - Haftungsbeschränkung iRd GoA zur Gefahrenabwehr
    (5) § 708 BGB - Haftung der Gesellschafter bei der Erfüllung von Gesellschaftsverpflichtungen
    (6) § 1359 BGB - Haftungsbeschränkung der Eheleute untereinander
    (7) § 1664 BGB - Haftungsbeschränkung in dem Kind-Eltern-Verhältnis
    (8) § 4 LPatG - Haftungsbeschränkung der Lebenspartner untereinander

VII. Mehrere Gläubiger

1. Grundlegendes

Wichtig ist dabei, dass nichts darüber hinaus die Gläubiger miteinander verbindet, denn ansonsten würde das Gesellschaftsrecht dies überlagern.

2. Formen

(1) Teilgläubigerschaft, § 420 BGB

  • Jeder Gläubiger ist berechtigt, seinen Anteil zu fordern.

(2) Gesamtgläubiger, §§ 428 – 430 BGB

  • Schuldner kann an jeden Gläubiger befreiend leisten und ein möglicher Ausgleich erfolgt dann intern zwischen den Gesamtgläubigern gem. § 430 BGB.

(3) Mitgläubigerschaft, § 432 BGB

  • Der Regelfall, bei dem der Schuldner an alle Gläubiger leisten muss.
  • Voraussetzung ist die Unteilbarkeit der Leistung
    • aus sachlichen Gründen, z. B. Auto, Laptop, etc.;
    • aus rechtlichen Gründen, z. B. Anwartschaftsrecht, Miteigentümer, etc..