I. Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung unter Beachtung des KSchG

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Voraussetzungen

  1. Bestehen eines wirksamen Arbeitsvertrages
  2. Ordnungsgemäße Kündigungserklärung
    1. Wirksamkeit nach §§ 104 ff., 164 ff. BGB: Als Gestaltungserklärung ist die Kündigung aus Gründen der Rechtsklarheit grundsätzlich bedingungsfeindlich; Ausnahme: Rechtsbedingung oder Potestativbedingung
    2. Schriftform, § 623 BGB. Bei Nichteinhaltung § 125 BGB ist die Kündigung nichtig.
    3. Zugang § 130 BGB
  3. Kein Ausschluss, z.B. durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag; bei befristeten Arbeitsverhältnissen nach § 15 Abs. 3 TzBfG nicht möglich; bei Auszubildenden beachte § 22 BBiG
  4. Zustimmungsbedürftigkeit, z.B:
    • § 168 SGB IX (Schwerbehinderte)
    • § 17 Abs. 2 MuSchG (Schwangere und Mütter)
    • § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG (Betriebsratsmitglieder)
  5. Anhörung des Betriebsrates, § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG/ des Sprecheraussschusses § 31 Abs. 2 SprAuG

    Beachte: Weder eine Zustimmung noch ein Widerspruch haben Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung! Für die Wirksamkeit müssen die jeweiligen Institutionen lediglich angehört worden sein. Zu beachten ist allerdings § 102 Abs. 5 BetrVG (Weiterbeschäftigungsanspruch).

    Unterlaufen im Anhörungsverfahren Fehler, die der Sphäre des Betriebsrates zuzuordnen sind, so bleibt dies ebenfalls ohne Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung, es sei denn, der Fehler hat sich dem Arbeitgeber offensichtlich aufgedrängt.1

  6. Anzeigebedürftigkeit: Massenentlassungen müssen gemäß § 17 KSchG der Agentur für Arbeit angezeigt werden
  7. Voraussetzungen nach dem KSchG (allgemeiner Kündigungsschutz)
    1. Anwendbarkeit des KSchG, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG
      • Nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG müssen mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sein; bei Neueinstellung nach dem 01.01.2004 jedoch mehr als zehn Arbeitnehmer erforderlich gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG
      • Das Arbeitsverhältnis muss länger als sechs Monate bestanden haben, § 1 Abs. 1 KSchG
    2. Soziale Rechtfertigung i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG
      Sozial gerechtfertigt kann eine Kündigung nur sein, wenn ein in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG vorliegt. Zwar ist das AGG nach § 2 Abs. 4 AGG nicht unmittelbar anwendbar, allerdings sind die dort geregelten Benachteiligungsverbote bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Rahmen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes zu berücksichtigen.
      1. Kündigungsgrund i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG: Grund, der an sich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen (s.u. erweiterte Übersichten zu den einzelnen Gründen)
        1. Verhaltensbedingte Kündigung: Verhalten des Arbeitnehmers, insb. schuldhafte Verletzung von Vertragspflichten, die auf künftige Vertragsstörungen schließen lässt (Prognoseprinzip). 2
        2. Personenbedingte Kündigung: Umstände, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden Störquelle beruhen, die mit einiger Sicherheit auch auf künftige Störungen schließen lässt (Prognoseprinzip) und eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bedeutet. 3
        3. Betriebsbedingte Kündigung: Betriebliche Erfordernisse, die künftig das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers entfallen lassen. 4
      2. Ultima – ratio – Prinzip: Es darf kein gleichwirksames, milderes Mittel als die Kündigung geben (Beachtung dringender betrieblicher Erfordernisse)
        • Abmahnung bei verhaltensbedingter Kündigung
        • Keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit
        • Sonstige Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung, z.B. Abbau von Überstunden; Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen bei entsprechend freiem Arbeitsplatz u.ä.
      3. Interessenabwägung im Einzelfall
        • Dauer der Betriebszugehörigkeit
        • Alter des Arbeitnehmers
        • Unterhaltsverpflichtungen / sonstige persönliche Verhältnisse
        • Bei betriebsbedingter Kündigung Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 – 5 KSchG
        • Bei verhaltensbedingter Kündigung Intensität und Beharrlichkeit der Vertragsverletzung und Maß des Verschuldens
    3. Kündigungsfrist, § 622 BGB, soweit nichts anderes vereinbart § 622 Abs. 4 BGB: Ereignisfrist, deren Berechnung sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB richtet.

Problem: Zugang der Kündigung während urlaubsbedingter Abwesenheit 5

Auch wenn dem Arbeitgeber die urlaubsbedingte Abwesenheit bekannt ist, ist der Zugang zu bejahen. Allerdings kann die Kündigungsschutzklage bei Versäumen der Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG nach § 5 KSchG nachträglich zugelassen werden.

Problem: Angabe eines Kündigungsgrundes in der Kündigung

Die Angabe eines Kündigungsgrundes ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Ausnahme: § 9 Abs. 3 MuSchG und § 626 Abs. 2 S. 3 BGB. Sofern das KSchG im Rahmen der Kündigung beachtet werden muss, gilt § 626 Abs. 2 S. 3 BGB analog. Der Arbeitnehmer hat dann einen Mitteilungsanspruch auf Auskunft des Kündigungsgrundes zum Zwecke der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage.

Problem Nachschieben von Kündigungsgründen

Bei Betrieben ohne Betriebsrat können Kündigungsgründe, die objektiv bereits im Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, in den Prozess eingeführt werden. Denn die Wirksamkeit der Kündigung bestimmt sich nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs.

Aus Gründen der Prozessökonomie darf der Arbeitgeber nach Ansicht des BAG 6 nur solche Kündigungsgründe nachschieben, die bei Ausspruch der Kündigung zwar vorlagen, aber dem Arbeitgeber bis dahin unbekannt waren.

Gründe, die erst später entstanden sind, können lediglich eine neue Kündigung rechtfertigen.

Zudem ergeben sich weitere Einschränkungen, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist oder eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde:

  • In Unternehmen mit einem Betriebsrat ist dieser vor Kündigung nach § 102 BetrVG anzuhören. Sollen Gründe nachgeschoben werden, die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits vorlagen, ist dieser unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung bereits Kenntnis von diesen hatte oder nicht, erneut anzuhören. War dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung der weitere Grund noch nicht bekannt, muss keine erneute Kündigung ausgesprochen werden und der Grund kann nach erfolgter Anhörung nachgeschoben werden. 7 War dem Arbeitgeber der weitere Grund zum Zeitpunkt der Kündigung bereits bekannt, kann der Grund nicht einfach nachgeschoben werden. Dem Arbeitnehmer muss in diesen Fällen erneut gekündigt werden, da es dem Sinn und Zweck des § 102 BetrVG widerspräche, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat bereits bekannte Kündigungsgründe vorenthält, diese aber erst im Falle eines Rechtsstreits zur zusätzlichen Begründung „nachschieben“ will. 8
  • Im Falle einer außerordentlichen Kündigung ist die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu beachten. 9
  • 1. U. Koch in: Schaub/Koch ArbR.
  • 2. H. Oetker in: ErfK/ArbR, § 1 KSchG Rn. 188.
  • 3. H. Oetker in: ErfK/ArbR, § 1 KSchG Rn. 98.
  • 4. H. Oetker in: ErfK/ArbR, § 1 KSchG Rn. 211.
  • 5. BAG, Urt. v. 22.08.2019 – 2 AZR 111/19.
  • 6. BAG Urt. v. 04.06.1997 – 2 AZR 362/96.
  • 7. BAG Urt. v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13; BAG Urt. v. 23.05.2013 – 2 AZR 102/12, Rn. 32; BAG Urt. v. 11.04.1985 – 2 AZR 239/84.
  • 8. BAG Urt. v. 16.12.2010 – 2 AZR 576/09, Rn. 11; BAG Urt. v. 11.04.1985 – 2 AZR 239/84; BAG Urt. v. 10.04.2014 – 2 AZR 684/13 Rn. 21.
  • 9. BAG Urt. v. 23.05.2013 – 2 AZR 102/12.