1. Die verhaltensbedingte Kündigung § 1 Abs. 2 S. 1 2. Fall KSchG

Mit der Unterstützung von KLIEMT.Arbeitsrecht

Betrachten wir die Wirksamkeitsvoraussetzungen der verhaltensbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 Fall 2 KSchG

I. Abstrakte Eignung

Vorliegen eines Fehlverhaltens, das abstrakt dazu geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden:

  • grundlose Arbeitsverweigerung
  • Vortäuschen einer Krankheit
  • Alkoholmissbrauch (ohne krankhafte Abhängigkeit s.u. krankheitsbedingte Kündigung)
  • Verletzung der Betriebsordnung
  • Wiederholtes unentschuldigtes Fehlen
  • Beleidigungen und Denunziation von Kollegen und Vorgesetzten
  • Straftaten bei Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses
  • Auerdienstliches Verhalten nur sofern Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird

II. Konkrete Eignung

Vollständige Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers unter Berücksichtigung des ultima ratio sowie des Prognoseprinzips. Das Ergebnis dieser Abwägung muss eine zukünftige vertrauensvolle Fortführung des Arbeitsverhältnisses ausschließen.

  • Schutz der übrigen Belegschaft
  • Wiederholungsgefahr
  • Verschuldensgrad
  • Art, Schwere und Häufigkeit der Verfehlung
  • Mitverschulden des Arbeitgebers
  • Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit

III. Abmahnung

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist grundsätzlich erst nach Aussprache einer Abmahnung zulässig. Aufgrund des Prognoseprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann eine Kündigung wegen einer einmaligen Verfehlung nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein.

Sollte aufgrund der schwere der Pflichtverletzung ohne weiteres offensichtlich sein, dass der Arbeitnehmer trotz Ausspruchs einer Abmahnung sein Verhalten nicht ändern wird, ist ausnahmsweise eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich. BAG Urt. v. 19.04.2012 – 2 AZR 258/11.

Sinn und Zweck der Abmahnung: U. Koch in: Schaub/Koch, ArbR.

  • Rüge und Hinweisfunktion: Dem Arbeitnehmer soll sein Fehlverhalten aufgezeigt und zu pflichtgemäßer Erfüllung seiner Arbeit angehalten werden. Dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechend, ist dem Arbeitnehmer der vorgehaltene Sachverhalt genau zu beschreiben.
  • Warnfunktion: Drohen mit Kündigung. Eine bestimmte Anzahl an vorgeschalteten Abmahnungen ist nicht erforderlich.
  • Dokumentationsfunktion: Dient dem Nachweis, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur pflichtgemäßen Erfüllung seiner Arbeit aufgefordert hat. Die Abmahnung kann auch mündlich erfolgen, sollte zu Nachweiszwecken aber stets schriftlich fixiert werden.

IV. Wirksamkeitsvoraussetzungen

  1. Schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers
  2. sofern tarifvertraglich vorgeschrieben: vorherige Anhörung des Arbeitnehmers
  3. Arbeitnehmer muss vom Inhalt der Abmahnung tatsächlich Kenntnis erhalten; liegt nicht bereits mit Zugang der Erklärung vor.
  4. Abmahnungsberechtigte Person: Muss nicht kündigungsberechtigt sein, aber Person muss nach Aufgabenstellung berechtigt sein, Anweisungen zur Art und Weise sowie zu Ort und Zeit der Tätigkeit zu erteilen.
  5. Frist: Grundsätzlich nicht fristgebunden aber ggf. Verwirkung aufgrund des Zeit- und Umstandsmoments.
  6. Rüge der begangenen Pflichtverletzung + Aufforderung zu vertragstreuem Verhalten (Beschreibung des vorgehaltenen Sachverhalts)
  7. Eindeutige Ankündigung, dass Fehlverhalten im Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen hat.

Ist die Abmahnung nicht wirksam erfolgt, also lag insbesondere kein schuldhaftes Verhalten vor, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte §§ 12, 862, 1004 BGB analog i.V.m. § 242 BGB.BAG Urt v. 27.11.2008 NZA 2009, 842; Urt. v. 23.06.2009 NZA 2009, 1011. Zudem hat der Arbeitnehmer nach § 83 Abs. 2 BetrVG ein Recht zur Gegendarstellung, welche ebenfalls zur Personalakte gereicht werden muss.

Verdachtskündigung als Sonderform der Verhaltensbedingten Kündigung

Zwar rechtfertigt grundsätzlich der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens keinen verhaltensbedingten Kündigungsgrund, jedoch lässt das BAG so zuletzt BAG Urt. v. 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 Rn. 20 f. m.w.N.; BAG Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 256/14, Rn. 20. dies unter bestimmten Voraussetzungen zu:

  • Verdacht muss durch objektive Umstände begründet sein
  • Negative Zukunftsprognose: Für die Zukunft müssen aller Wahrscheinlichkeit nach Auswirkungen auf den Betrieb vorausgesehen werden können.
  • Erhebliche Störung des Vertrauensbereichs und erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
  • Dringender Verdacht: Muss mit hoher Wahrscheinlichkeit der Realität entsprechen.
  • Ultima – ratio – Prinzip: Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Kündigung versuchen, den Sachverhalt mit sämtlichen ihm zumutbaren Mitteln aufzuklären. Weiterhin muss er dem Arbeitgeber den konkreten Verdacht nennen und ihm Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern.
  • Interessenabwägung, die dazu führt, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.

Sind die Verdachtsmomente so schwerwiegend, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar erscheint, kommt auch eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB in Betracht.