F. Konsens und Dissens

I. Konsens

Bei einem Vertrag, der mindestens zwei Personen betrifft, ist es zuerst einmal nötig, dass beide Parteien am Vertragsschluss beteiligt sind, damit die Privatautonomie nicht durch Fremdbestimmung ausgehebelt wird. Die zwei Willenserklärungen, die vonnöten sind, also Angebot und Annahme, führen gem. §§ 145 ff. BGB dazu, dass ein Vertrag zustande kommt. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn sie sich inhaltlich decken, wobei der innere Wille maßgebend ist.1
Die Übereinstimmung der beiden Willenserklärungen wird Konsens (von lat. consentire = übereinstimmen) genannt. Dafür müssen sich die Parteien über die essentialia negotii einigen. Eine Einigung und somit ein Vertrag kommt aber nur zustande, wenn die Annahme gegenüber dem Antrag keine Änderungen oder Erweiterungen bzw. Einschränkungen enthält, vgl. § 150 II BGB. Die Art des Vertrages und der Parteiwille ergibt dann, für welche Punkte eine Einigung notwendig ist.2 Selbst wenn das Gesetz eine Regelung bereithält, können sich die Parteien auch anders entscheiden; die Entscheidung ist wirksam, solange sie nur von dispositivem Recht (im Gegensatz zu zwingendem Recht) abweicht. Eine Vereinbarung, die von zwingendem Recht abweicht, führt zur Nichtigkeit des betroffenen Punktes und im Zweifel nach § 139 dazu, dass der gesamte Vertrag nichtig ist, falls nicht beispielsweise nach § 306 ausnahmsweise etwas anderes gilt.3

II. Vorrang der Auslegung

Teilweise ist es nicht ersichtlich, ob ein Konsens, also eine Übereinstimmung der Willenserklärungen zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Ob die inneren Willen oder die Erklärungen der Parteien übereinstimmen oder ob der Konsens nur objektiv bewertet werden kann, muss gegebenenfalls durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB bestimmt werden. Dabei kann eine subjektive oder objektive Übereinstimmung gegeben sein.
Im ersten Fall erklären die Parteien objektiv etwas anderes als sie eigentlich subjektiv wollten. Legt man die Willenserklärungen aus, ist ein Konsens entstanden. In diesem Fall schadet die falsche Bezeichnung nicht (falsa demonstratio non nocet - zur Vertiefung der falsa demonstratio non nocet der Haakjöringsköd - Fall (RGZ. 99, 147)). Wichtig ist nur der Wille der Erklärenden; dass sie etwas anderes sagen, als gewollt, hindert den Vertragsschluss nicht.4
Stimmen die inneren Willen der Erklärenden nicht überein, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der Sinn der Erklärungen beider Parteien gleich ist. Stimmt dieser überein, ist ein objektiver Konsens gegeben.5

III. Dissens

Die Nichtübereinstimmung der Willenserklärungen der Vertragsparteien nennt man Dissens (von lat. dissentire = verschiedener Meinung sein). In der ersten Fassung des BGB regelte diesen Fall eine Norm, die besagte, dass die Uneinigkeit über die zum Wesen des zu schließenden Vertrages gehörenden Teile nicht zum Abschluss eines Vertrags führe.6 Heute ergibt sich aus dem Gesetz in den §§ 154, 155 BGB nicht ausdrücklich, welche Bestandteile das sind. Nach h. M. kommen diese Normen nur dann zur Anwendung, wenn sich die Parteien zwar über die essentialia negotii, jedoch nicht über alle vertraglichen Nebenpunkte (accidentalila negotii) des Vertrages geeinigt haben. Diese Einigung nennt man Teildissens.7
Besteht kein Konsens über die vertragswesentlichen Punkte (essentialia negotii), ist der Vertrag auch nicht geschlossen (Totaldissens).8

1. Offener Dissens

Haben sich die Parteien nicht über Nebenpunkte des Vertrages geeinigt und sind sie sich darüber im Klaren, dass keine Einigung besteht, nennt man dies einen offenen Dissens. Gemäß § 154 BGB ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen worden, wenn auch nur eine Partei den Punkt für klärungsbedürftig hielt. Das gilt gem. § 154 I 2 BGB selbst dann, wenn die Punkte schon aufgezeichnet (zum Beispiel schriftlich niedergelegt) wurden. Jedoch ist § 154 BGB eine Auslegungsregel, die nur im Zweifel zu keinem Vertragsschluss führt. Ergibt sich aus irgendwelchen Tatsachen, dass die Parteien sich trotz eines Dissenses binden wollen, wird auch der Vertrag geschlossen. Die Parteien können entscheiden, ob sie sich über die noch nicht geregelten Punkte des Vertrags erst später einigen oder gar eine Partei nach §§ 315, 316 BGB darüber bestimmen lassen wollen. In diesem Fall ist der Vertragsteil, über den sich die Parteien schon geeinigt hatten, für beide bindend. Diese Einigung kann ausdrücklich oder aber konkludent erfolgen; letzteres ist beispielsweise dann gegeben, wenn die Parteien schon anfangen, den Vertrag auszuführen. Dies muss gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden. Haben die Parteien eine Beurkundung des Vertrages (notariell oder privatschriftlich) vereinbart, so ist in Zweifelsfällen der Vertrag bis zur Vollziehung der Beurkundung gem. § 154 II nicht geschlossen.9

Beispiel 6: Sybille bietet dem Maik ihre wertvolle internationale Vasensammlung für 10.000 Euro in Ratenzahlung an. Maik will sich dieses Angebot auf keinen Fall entgehen lassen. Noch sind die beiden sich allerdings uneinig über die Höhe der monatlichen Rate. Trotzdem übereignet Sybille dem Maik die Vasensammlung. Wurde ein Kaufvertrag geschlossen?

Lösung zu Beispiel 6: Sybille und Maik haben sich über die für einen Kaufvertrag wichtigen essentialia negotii (Kaufgegenstand und Kaufpreis) geeinigt. Allerdings sind die vertraglichen Nebenpunkte (accidentalia negotii) noch nicht abschließend geregelt worden, da sich die beiden uneinig über die Höhe der Raten pro Monat sind. Im Zweifel wäre der Vertrag zwischen den beiden gem. § 154 BGB nicht geschlossen. Jedoch zeigen sie durch die Tatsache, dass Sybille dem Maik die Vasen schon übereignet hat, dass sie von einer bindenden Vereinbarung ausgehen und den Vertrag schließen wollen. Da § 154 BGB nur eine Auslegungsregel ist und hier kein Zweifel besteht, dass der Vertrag geschlossen werden soll, kommt es trotz der Regel des § 154 BGB zu einem Vertragsabschluss. Der Kaufvertrag zwischen Sybille und Maik über die Vasensammlung wurde geschlossen.

2. Versteckter Dissens

Beim versteckten Dissens haben es die Parteien versäumt, sich über einen vertraglichen Nebenpunkt zu einigen, nehmen jedoch beide irrtümlicherweise an, dass sie alle relevanten Fragen vollständig geregelt hätten. Sie bemerken also nicht, dass sie keinen Konsens miteinander haben. Bezieht sich der versteckte Dissens auf die essentialia negotii, ist der Vertrag aufgrund eines Totaldissens nicht geschlossen. Für den Fall, dass sich die Parteien nur über die accidentialia negotii nicht geeinigt haben und dies ihnen nicht bewusst war, spricht man vom versteckten Dissens. Nach § 155 BGB soll das Vereinbarte gelten und der Vertrag trotzdem geschlossen sein, sofern der vertragliche Nebenpunkt zwar ursprünglich geregelt werden sollte, die Parteien den Vertrag aber auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt schließen wollen. Da die Parteien ja irrtümlich glauben, ein Vertrag wäre zustande gekommen, kann man annehmen, dass sie auf den Bestand des Vertrages vertrauen.

  • 1. Medicus, Rn. 430 ff.
  • 2. Jung JuS 1999, 28
  • 3. Medicus, Rn. 430 ff; Boemke/Ulrici, § 7, Rn. 89 f.
  • 4. vgl. hierzu den Klassiker: Haakjöringsköd - Fall (RGZ. 99, 147)
  • 5. Brox/Walker, Rn. 244; Schmidt, Rn. 495 ff.
  • 6. Brox/Walker, Rn. 255; Boemke/Ulrici, § 7, Rn. 93
  • 7. BGH NJW 1997, 2671; Staudinger/Bork, § 155, Rn. 14; Medicus, Rn. 434
  • 8. MüKo-BGB/Busche, § 154, Rn. 3
  • 9. BGH NJW 1983, 1727, 1728; Staudinger/Bork, § 154, Rn. 2 f.; Rüthers/Stadler, § 19, Rn. 39 f; Boemke/Ulrici, §7, Rn. 94