Welche Rechtsfolgen zieht ein Erlaubnistatbestandsirrtum nach sich?

Überblick

Soweit das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums zu bejahen ist, fragt sich auf einer zweiten Stufe, welche Folgen sich hieraus ergeben. Diese Farge ist umstritten. Dabei lassen sich kategorisch zwei grundsätzliche Auffassungen unterscheiden; zum einem die strenge und zum anderen die eingeschränkte(n) Schuldtheorie(n). Nachdem man sich die unterschiedlichen Ansätze beider Auffassungen vergegenwärtigt hat, gelangt man zu weiteren Auffassungen innerhalb der eingeschränkten Schuldtheorie, die diese mit anderen Argumenten und Ansätzen begründen. Bei der strengen Schuldtheorie entfällt u.U. die Schuld, wobei es in der Regel aber zu einer Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt kommt. Den eingeschränkten Schuldtheorien ist hingegen gemein, dass sie – mit unterschiedlicher Begründung – eine Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt grundsätzlich verneinen, soweit der Täter einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterliegt.

Die Ansichten und ihre Argumente

Die strenge und eingeschränkte Schuldtheorie

1. Ansicht - Die strenge Schuldtheorie.1

Nach dieser Auffassung ist das Unrechtsbewusstsein kein Bestandteil des Vorsatzes, sondern ein selbständiges Element der Schuld. Aufgrund der vorsätzlichen Verwirklichung des Tatbestandes, führt ein Erlaubnistatbestandsirrtum nicht dazu, dass die Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt generell auszuschließen ist. Vielmehr werden die Regeln über den Verbotsirrtum nach § 17 StGB angewendet. Das bedeutet, dass der Täter dann aus dem Vorsatzdelikt bestraft wird, wenn der Erlaubnistatbestandsirrtum vermeidbar gewesen ist.

Argumente für diese Ansicht

Der Einwand der Gegenmeinung lautet, dass es zumindest dann kein Handlungsunrecht gibt, wenn der Erlaubnistatbestandsirrtum unvermeidbar gewesen ist.

Der vermeidbare Irrtum hingegen sei typisches Fahrlässigkeitsunrecht. In diesem Fall ist aber nicht erkennbar, wieso dann, wenn eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung auf eine vermeintliche Verwirklichung eines Rechtfertigungsgrundes stößt, der verbleibende Rest plötzlich seine Unrechtsqualität wechseln und zu einem Fahrlässigkeitsunrecht werden soll.2

Für eine Anwendung des § 16 I 1 StGB fehlt es aufgrund der Existenz des § 17 StGB an einer planwidrigen Regelungslücke.

Der Gesetzgeber hat zwei Typen von Irrtümern geregelt: Den Tatbestandsirrtum nach § 16 und den Verbotsirrtum nach § 17 StGB. Wenn man in § 16 StGB nur die Irrtümer in Bezug auf die unrechtsbegründenden Umstände geregelt sieht, müsste man mittels einer Analogie des § 16 StGB zur Anwendung auf den Erlaubnistatbestandsirrtum gelangen. Für eine solche Analogie ist jedoch mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum. Sie besteht aufgrund der Existenz des § 17 StGB nicht.3

2. Ansicht - Eingeschränkte Schuldtheorie.

Die strenge Schuldtheorie kann nach dieser Auffassung nicht uneingeschränkt bestehen. Für die einzelnen Ansätze und Begründungen siehe unten. Jedoch ist festzuhalten, dass alle Auffassungen im Ergebnis eine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt ablehnen.

Argumente für diese Ansicht

Täter will sich rechtstreu verhalten.

Gegen die strenge Schuldtheorie und ihrer Konsequenz, dass der Täter in der Regel mangels Unvermeidbarkeit aus dem Vorsatzdelikt zu bestrafen ist, spricht, dass sich der Täter, der sich die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vorstellt, eigentlich rechtstreu verhalten will.4

Appellfunktion des Tatbestandes erreicht den Täter nicht.

Durch die rechtliche Fehlwertung, dehnt der Täter die Rechtsordnung auch nicht zu seinen Gunsten aus. Er wird von der Appellfunktion des Tatbestandes gar nicht erreicht, da er glaubt, sich rechtmäßig zu verhalten.5


Die eingeschränkten Schuldtheorien im Einzelnen.

1. Ansicht - Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (eingeschränkte Schuldtheorie).6

Nach dieser Auffassung stellen die objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen negative Merkmale des objektiven Tatbestandes dar, sodass die objektiven Tatbestandsmerkmale und die objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen einen Gesamtunrechtstatbestand bilden, auf den sich dann auch der Vorsatz erstrecken muss. Unterliegt der Täter bezüglich der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen einem Irrtum, kommt § 16 I 1 StGB zur Anwendung und der Vorsatz und die Strafbarkeit aus dem entsprechenden Delikt müssen verneint werden.

Argumente für diese Ansicht

Es besteht keine hinreichende Begründung für eine etwaige Trennung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit.

Eine Trennung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit lässt sich weder mit dem Wortlaut noch mit der Systematik noch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes rechtfertigen. Soweit sie dazu führt, dass der Erlaubnistatbestandsirrtum eine andere Rechtsfolge hat als der Tatbestandsirrtum, ist die unterschiedliche Behandlung der Irrtümer widersprüchlich. Sie entbehrt eines hinreichenden Grundes.7

2. Ansicht - Die vorsatzunrechtverneinende eingeschränkte Schuldtheorie.8

Nach dieser Auffassung entfällt aufgrund einer analogen Anwendung des § 16 I 1 StGB ebenfalls der Vorsatz und mithin die Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt.

Argumente für diese Ansicht

Kein qualitativer Unterschied zwischen den Merkmalen des Tatbestandes und denen des Erlaubnistatbestandes.

Auf Basis eines dreigliedrigen Verbrechensystems besteht zwischen den Merkmalen des Tatbestandes und denen des Erlaubnistatbestandes insoweit kein qualitativer Unterschied, als sie beide für die Entscheidung der Frage, ob die Tat rechtswidrig ist, die gleiche sachliche Bedeutung haben. Materielles Unrecht bestimmt sich im Zusammenspiel von unrechtsbegründenden Tatbestandsmerkmalen und unrechtsaufhebenden Rechtfertigungsgründen. Daher muss der Irrtum über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu den gleichen Konsequenzen führen wie der Tatbestandsirrtum.9

Analogie

Es kommt allerdings nur eine analoge Anwendung des § 16 I 1 StGB in Betracht, da gesetzlicher Tatbestand nur der Unrechtstatbestand, nicht jedoch der Gesamtunrechtstatbestand sein kann. Das Gesetz selbst unterscheidet zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit.10

3. Ansicht - Vorsatzschuldverneinende eingeschränkte Schuldtheorie.11

Nach dieser Auffassung bleibt im Falle eines Erlaubnistatbestandsirrtums der Tatbestandsvorsatz erhalten, dafür entfällt der Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit auf der Schuldebene.
Früher waren alle subjektiven Elemente in der Schuld zu prüfen. Mittlerweile wird der Vorsatz im Hinblick auf die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale als Tatbestandselement im Rahmen des subjektiven Tatbestandes geprüft. Weitere subjektive Elemente verbleiben auf der Ebene der Schuld. So auch der Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit. Hierfür wird auch der Begriff der Vorsatzschuld verwendet, welche ein eigenständiges Schuldmerkmal darstellt. Im Falle eines Erlaubnistatbestandsirrtums bleibt also der Tatbestandsvorsatz erhalten, dafür entfällt jedoch der Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit auf der Schuldebene.12

Argumente für diese Ansicht

Der Gedanke einer besonderen Vorsatzschuld ist plausibel, wie auch die Redeweise von den Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit zeigt.13

Teilnahme bleibt möglich.

Würde man den Vorsatz im Rahmen des Tatbestandes verneinen, wäre mangels Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat die Möglichkeit einer Teilnahme ausgeschlossen. Da diese Auffassung den Tatbestandsvorsatz nicht berührt, liegt weiterhin eine Haupttat vor, die eine Erfassung von bösgläubigen Teilnehmern ermöglicht.14

  • 1. NK/Paeffgen, StGB, vor § 32, Rn. 103ff. (108, 113ff.), Aufl. 4.
  • 2. NK/Paeffgen, StGB, vor § 32, Rn. 103ff. (114), Aufl. 4.
  • 3. NK/Paeffgen, StGB, vor § 32, Rn. 103ff. (118), Aufl. 4.
  • 4. Rengier, AT, § 30, Rn. 14, Aufl. 7.; BGHSt 3, 105 (107).
  • 5. Rengier, AT, § 30, Rn. 14, Aufl. 7.
  • 6. MüKo/Schlehofer, StGB, vor § 32, Rn. 100ff., Aufl. 2.
  • 7. MüKo/Schlehofer, StGB, vor § 32, Rn. 101, Aufl. 2.
  • 8. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 16 Rn. 17f., Aufl. 29.; Kühl, AT, § 13, Rn. 71, Aufl. 7.
  • 9. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 16 Rn. 18, Aufl. 29.
  • 10. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, § 16 Rn. 18, Aufl. 29.
  • 11. Rengier, AT, § 30, Rn. 20, Aufl. 7.; Heinrich, AT, Rn. 1133f., Aufl. 4.
  • 12. Heinrich, AT, Rn. 1133f., Aufl. 4.
  • 13. Rengier, AT, § 30, Rn. 20, Aufl. 7.
  • 14. Rengier, AT, § 30, Rn. 20, Aufl. 7.

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