Setzt der Tatbestand der Erpressung eine Vermögensverfügung voraus?
Überblick
Umstritten ist, ob der Tatbestand der Erpressung namentlich § 253 StGB ebenso wie der Betrug eine Vermögensverfügung voraussetzt. Unter einer Vermögensverfügung ist jedes willentliche Verhalten zu verstehen, durch das der Genötigte bewusst sein Vermögen unmittelbar vermindert. Letztlich geht es also um die Frage, ob es sich bei der Erpressung ebenso wie beim Betrug um ein Selbstschädigungsdelikt handelt oder ob jedes vermögensvermindernde Verhalten ausreicht. Konsequenzen hat dieser Meinungsstreit vor allem auch auf das angewendete Nötigungsmittel. Solange die Auffassung vertreten wird, dass es sich bei der Erpressung um ein Selbstschädigungsdelikt handelt, kommt als Mittel der Gewaltanwendung nur „vis compulsiva“ in Betracht, da „vis absoluta“ keinen Raum mehr für eine freiwillige Willensbetätigung und somit auch nicht für eine Vermögensverfügung lässt.1
Die Auffassungen und ihre Argumente
1. Ansicht - Der Tatbestand der Erpressung setzt immer eine Vermögensverfügung des Opfers voraus. 2
Argumente für diese Ansicht
Strukturmäßig ist die Erpressung wie der Betruges aufgebaut
Die Erpressung erfordert, wie der Betrug, den Eintritt eines Vermögensnachteils sowie eine entsprechende Bereicherungsabsicht. Insoweit stellt § 253 StGB ein dem Betrug ähnlich konstruiertes Vermögensdelikt dar. Dann erscheint es aber auch sinnig in gleicher Weise eine Vermögensverfügung zu verlangen.3
Jeder Raub würde eine Erpressung darstellen
In dem man auf das Erfordernis der Vermögensverfügung verzichtet und demgegenüber jede Duldung des Opfers ausreichen lässt (s. bereits M2), würde jeder Raub zugleich auch eine Erpressung darstellen. Dann wäre § 249 StGB lex specialis zu § 253 StGB, was der Gesetzessystematik zuwiderlaufen würde. Dagegen spricht vor allem auch die Überschrift des 20. Abschnittes „Raub und Erpressung“, die darauf hinweist, dass es sich bei den Delikten um solche mit eigenständiger Bedeutung handelt.4
Die Privilegierung der Gebrauchsanmaßung gemäß § 248b StGB würde ansonsten unterlaufen werden
Auch wenn das Gesetz die durch § 248b StGB geschützte Rechtsposition geringer bewertet als den dauerhaften Eingriff in das Eigentum, wird die mit Raubmitteln erfolgende Gebrauchsanmaßung über § 255 StGB dem Raub nach § 249 StGB gleichgestellt. Somit wird das Merkmal der Zueignungsabsicht unter der Voraussetzung, dass die Wegnahme einen Vermögensschaden zur Folge hat, eliminiert.5
Wortlaut steht nicht entgegen
Der Wortlaut des § 253 StGB steht dem nicht entgegen, da auch bei § 263 StGB eine Vermögensverfügung nicht ausdrücklich verlangt wird, es aber anerkannt ist, dass eine solches Verhalten zur Erfüllung des Tatbestandes notwendig ist.6
Gesetzessystematik führt zu einer Abgrenzung zwischen Vermögensdelikten und Wegnahmedelikten
Bereits die Systematik des Gesetzes ergibt, dass die Erpressung eine Vermögensverfügung voraussetzen muss und insoweit ein Selbstschädigungsdelikt ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Erpressung – würde man keine Vermögensverfügung verlangen – neben dem Raub keine eigenständige Bedeutung hätte. So ist eine Abgrenzung zwischen Erpressung sowie Raub und Diebstahl als Wegnahmedelikte möglich.7
Die Einordnung als Selbstschädigungsdelikt entspricht auch der gesellschaftlichen Vorstellung von einem erpresserischen Verhalten.8
Eine einfache Nötigung zu einem Diebstahl müsste ansonsten ebenfalls nach § 253 StGB bestraft werden, was zu einer Strafschärfung und somit zu einer Art „kleinem Raub“ führt
Wenn der Täter das Opfer mit einer einfachen Drohung nach § 240 StGB dazu zwingt, die Wegnahme zu dulden, muss man – wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Erpressung nicht um ein Selbstschädigungsdelikt handelt – davon ausgehen, dass der Täter auch aus § 253 StGB zu bestrafen ist. Dies führt allerdings zu einer Strafschärfung. Eine solche ist von Gesetzeswegen allerdings erst beim Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel gerechtfertigt.9
2. Ansicht - Es ist keine Vermögensverfügung erforderlich. Jedes vermögensmindernde Verhalten reicht aus, um den Tatbestand zu erfüllen.10
Argumente für diese Ansicht
Wortlaut des § 253 StGB
Der Wortlaut des § 253 StGB setzt eine Vermögensverfügung nicht ausdrücklich voraus.
Vergleich mit § 240 StGB ergibt, dass auch vis absoluta erfasst wird
Ein Vergleich mit dem hinsichtlich der Nötigungsmittel identischen § 240 StGB (Nötigung) ergibt, dass der Täter auch vis absoluta einsetzten kann, da auch § 240 StGB ein willentliches Verhalten des Opfers nicht voraussetzt. So kann der Täter, der vis absoluta anwendet auch aus § 253 StGB bestraft werden. Es leuchtet nämlich nicht ein, wieso der Täter, der mit der massiveren vis absoluta vorgeht besser gestellt werden soll, als der der nur vis compulsiva anwendet.11
Zwischen Erpressung und Betrug besteht lediglich eine „hinkende“ Parallele
Es ist missverständlich Erpressung und Betrug als Selbstschädigungsdelikt einzuordnen. Die Teilnahme an einer Selbstschädigung ist grundsätzlich straflos. Etwas anderes gilt, wenn sich die Selbstschädigung als mittelbare Fremdschädigung darstellt. Beim Betrug ist dies der Fall, wenn die Täuschung mittelbare Täterschaft kraft Irrtumsherrschaft begründet. Eine unmittelbare Täterschaft ist beim Betrug allerdings nicht möglich, weil ein Irrtum in der Außenwelt nichts bewirkt. Bei der Erpressung liegt dies anders. Es kommt nicht nur mittelbare Täterschaft kraft Nötigungsherrschaft in Betracht, sondern auch unmittelbare Täterschaft, wenn der Täter vis absoluta anwendet, die ihrerseits eine Außenwirkung hat. Zwang ist insoweit eine ganz andere Methode, um auf den Willen Einfluss zu nehmen als Täuschung.12
§ 253 StGB ist Grundtatbestand aller mit Nötigungsmitteln begangener Angriffe auf fremdes Vermögen
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Die Konsequenz hieraus ist, dass die Erpressung auch dann vorliegen kann, wenn die Voraussetzungen eines Eigentumsdelikts wie Diebstahl oder Raub vorliegen. Darin liegt auch keine Umgehung dieser Voraussetzungen.13
- 1. Rengier, BT I, § 11, Rn. 13, Aufl. 13.
- 2. Wessels/Hillenkamp, BT II, § 17, Rn. 709, Aufl. 33.; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, § 253, Rn. 8, Aufl. 29.; Rengier, BT I, § 11, Rn. 13, 25, Aufl. 13.; MüKo/Sander, StGB, § 252, R. 13ff., Aufl. 2.
- 3. Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, § 253, Rn. 8, Aufl. 29.; ähnlich auch: MüKo/Sander, StGB, § 253, Rn. 14, Aufl. 2.
- 4. Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, § 253, Rn. 8, Aufl. 29.; ähnlich: MüKo/Sander, StGB, § 253, Rn. 14, Aufl. 2.
- 5. Schönke/Schröder/Eser/Bosch, StGB, § 253, Rn. 8, Aufl. 29.; Rengier, BT I, § 11, Rn. 25, Aufl. 13.; Brand in JuS 09, 901.
- 6. MüKo/Sander, StGB, § 253, Rn. 14, Aufl. 2.
- 7. MüKo/Sander, StGB, § 253, Rn. 14, Aufl. 2.; Rengier, BT II, § 11, Rn. 29, Aufl. 13.
- 8. Rengier, BT I, § 11, Rn. 28, Aufl. 13.
- 9. Rengier, BT I, § 11, Rn. 28, Aufl. 13.
- 10. BGHSt 41, 123 (125).; LK/Vogel, StGB, Vor §§ 249, Rn. 55Ff, § 253, Rn.13ff.; BGHSt, 25, 224 (228).
- 11. In diesem Punkt zustimmend: MüKo/Sander, StGB, § 253, Rn. 14, Aufl. 2.
- 12. LK/Vogel, StGB, Vor §§ 249, Rn. 59, Aufl. 12.
- 13. LK/Vogel, StGB, Vor §§ 249, Rn. 60, Aufl. 12.
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