Muss die Straftat bei § 127 StPO tatsächlich begangen worden sein?
Überblick
Die Vorschrift des § 127 I 1 StPO gewährt jedem Bürger ein Recht zur vorläufigen Festnahme und dient dabei allein dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Demnach ist jeder Bürger befugt, jemanden vorläufig festzunehmen, soweit er auf frischer Tat betroffen wird. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Täter die Tat tatsächlich begangen haben muss oder ein dringender Tatverdacht ausreicht, der sich hinterher als falsch herausstellt. Letzteres liegt vor, wenn der Festnehmende aufgrund der äußeren Umstände und bei pflichtgemäßer Prüfung von einer Straftat ausgehen durfte bzw. hiergegen keine vernünftigen Zweifel sprechen.
Die Ansichten und ihre Argumente
1. Ansicht - Die Straftat muss tatsächlich begangen worden sein.1
Der Festnehmende unterliegt insoweit ggf. einem Erlaubnistatbestandsirrtum.
Argumente für diese Ansicht
Wortlaut der Norm
Bereits der Wortlaut des § 127 I 1 StPO spricht dafür, dass die Tat tatsächlich begangen worden sein muss, indem er er ohne Einschränkung von einer „Tat“ spricht.2
Systematischer Vergleich zu § 127 II StPO
Auch aus dem systematischen Vergleich mit dem behördlichen Festnahmerecht nach § 127 II StPO folgt, dass die Tat im Rahmen des § 127 I 1 StPO tatsächlich begangen worden sein muss, da der Abs. 2 als Grundlage der Festnahme ausdrücklich einen dringenden Tatverdacht iSd. § 112 I StPO ausreichen lässt.3 (Zum Verständnis: § 127 II StPO verweist auf den Haftbefehl und konstatiert, dass die Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug und bei Vorliegen der Voraussetzungen des Haftbefehls (§ 112 StPO) den Beschuldigten festnehmen darf. Eine Voraussetzungen des Haftbefehls ist dem Gesetzeswortlaut entsprechend ein dringender Tatverdacht). Andernfalls wäre Abs. 2 obsolet und seine Beschränkung auf Staatsanwälte und Polizeibeamte würde leer laufen.4
Duldungspflicht des Festgehaltenen
Es ist dem zu Unrecht Verdächtigten nicht zumutbar, sich gegen eine irrtümliche, aber dennoch rechtmäßige, weil gerechtfertigte, Festnahme nicht mittels Notwehr zu Wehr setzen zu dürfen und diesem insoweit eine Duldungspflicht aufzuerlegen.5 Es geht nicht an, einem Unschuldigen das Recht der Notwehr gegen freiheitsbeschränkende Angriffe von Privatpersonen zu nehmen.6
Kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko des Festnehmenden.
Dem gutgläubig eingreifenden Bürger droht auch kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko, da insoweit noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht kommt.7
2. Ansicht - Auch der dringende Tatverdacht einer Straftat genügt.
Demnach muss die Tat nicht tatsächlich begangen worden sein.8
Argumente für diese Ansicht
Prozessualer Charakter des § 127 StPO
Dafür, dass für das Festnahmerecht des § 127 I 1 StPO bereits dringender Tatverdacht ausreicht, spricht bereits der prozessuale Charakter der Norm. Vorläufige strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen können zwangsläufig nur an einen (dringenden) Tatverdacht anknüpfen, weil zum Zeitpunkt des Eingriffs hinsichtlich der Täterschaft keine absolute Gewissheit bestehen kann.9 Es wäre daher bedenklich die Frage der Rechtmäßigkeit solange offen zu lassen, bis der Festgenommene rechtskräftig verurteilt wird.
Die Privatperson agiert stellvertretend für den Staat.
Es leuchtet nicht ein, wieso die stellvertretend für die Obrigkeit handelnde Privatperson schlechter gestellt werden sollte, als das Strafverfolgungsorgan.10
Aufklärung des Sachverhalts könnte sonst vereitelt werden.
In der Regel ist es der Verdächtige, der den Schlüssel zur Aufklärung des Tatgeschehens in der Hand hat.11
- 1. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.; Krey/Esser, Rn. 643, Aufl. 5.
- 2. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Krey/Esser, Rn. 646, Aufl. 5.
- 3. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
- 4. Krey/Esser, Rn. 647, Aufl. 5.
- 5. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
- 6. Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.
- 7. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
- 8. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.; LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; BGH NJW 81, 745.
- 9. LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
- 10. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
- 11. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
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