Muss das Täterverhalten im Rahmen des § 35 I 2 StGB schuldhaft herbeigeführt worden sein?
Überblick
Soweit die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes nach § 35 I 1 StGB vorliegen, ist in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob der Täter die Gefahr nach § 35 I 2 StGB hinzunehmen hat (Zumutbarkeitsklausel). Dies ist vor allem der Fall, wenn der Täter die Gefahr selbst verursacht hat.
Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob dem Täter die Hinnahme der Gefahr nur dann zuzumuten ist, wenn er die Gefahr zuvor auch schuldhaft herbeigeführt hat.
Die Ansichten und ihre Argumente
1. Ansicht - Schuldhafte Gefahrenverursachung ist nicht zwingend erforderlich1
Es genügt, dass der Täter die Gefahr pflichtwidrig in objektiv zurechenbarer Weise verursacht hat oder sich der Täter ohne hinreichenden Grund in die Gefahr begeben hat, die in voraussehbarer Weise zu einer Notstandslage führen konnte und die den Ausschluss von Rettungsmöglichkeiten herbeiführt.2Ein bloßer Kausalzusammenhang reicht für eine Gefahrenverursachung nicht aus.
Argumente für diese Ansicht
Gesetzeswortlaut und Gesetzeshistorie
Aus dem Wortlaut des § 35 I 2 StGB ergibt sich kein Erfordernis schuldhafter Gefahrverursachung. Das Wort „Verursachung“ zeigt vielmehr, dass gerade kein „Verschulden“ notwendig ist. Wenn man zusätzlich die Gesetzeshistorie betrachtet, ergibt sich auch aus dieser keine Erforderlichkeit einer schuldhaften Verursachung.3
Zuweisung von Verantwortungsbereichen
Bei der Regelung des § 35 I 2 StGB geht es vor allem um die Zuweisung von Verantwortungsbereichen. Wer für die Notstandslage verantwortlich ist, muss sehen, wie er mit der Gefahr zurechtkommt und darf den Konflikt nicht durch Aufopferung anderer lösen.4
Das Erfordernis eines etwaigen Verschuldens ist sachlich nicht überzeugend
Die Zumutbarkeit der Gefahrtragung erwächst hier bereits aus einer – durch pflichtwidriges Vorverhalten entstandenen – besonderen Pflichtenstellung.5
2. Ansicht - Dem Täter ist die Hinnahme der Gefahr nur zumutbar, wenn er die Gefahr schuldhaft herbeigeführt hat6
Argumente für diese Ansicht
§ 54 StGB a.F.
§ 54 StGB a.F. hat einen „unverschuldeten“ Notstand vorausgesetzt. Sprich: Sobald die Situation verschuldet herbeigeführt wurde, kam der entschuldigende Notstand nicht mehr in Betracht. Die Neufassung, namentlich § 35 I 2 StGB, der das Notstandsprivileg ausschließt, soweit der Täter die Gefahr selbst verursacht hat, bedeutet in der Sache aber keine Änderung. Eine solche ist nach den Gesetzesberatungen nicht gewollt gewesen. Auch die Rechtsprechung zu § 54 StGB a.F. hat daher ihre Bedeutung beibehalten.7
- 1. AK/Hauck, StGB, 3. Auflage 2020, § 35 Rn. 7.; LK/Zieschang, StGB, 13. Auflage 2019, § 35 Rn. 70.
- 2. LK/Zieschang, StGB, 13. Auflage 2019, § 35 Rn. 71.
- 3. Zieschang, JA 2007, 679.
- 4. Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Roxin, Handbuch des Strafrechts Bd. 3, 1. Auflage 2021, § 52 Rn. 160.
- 5. LK/Zieschang, StGB, 13. Auflage 2019, § 35 Rn. 71.
- 6. Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Auflage 2019, § 35 Rn. 20.
- 7. Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Auflage 2019, § 35 Rn. 20.
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