Kommt es bei der Beurteilung dessen, ob ein niedriger Beweggrund vorliegt auf die Anschauung des Täters bzw. seines Kulturkreises an?

Überblick und Relevanz:

Es wird insbesondere darum gestritten, ob bei der Bewertung, ob das Handeln des Täters auf tiefster Stufe steht und mithin einen niedrigeren Beweggrund darstellt, die heimatlichen Anschauungen und Wertvorstellungen des Kulturkreises, dem der Täter angehört, berücksichtigt werden müssen.1 Relevanz erlangt dieser Streit vor allem, soweit es sich um ausländische Täter bzw. Täter handelt, die einer anderen Religion angehören und anderen Kulturen unterliegen. Insoweit stellt sich diese Frage primär im Zusammenhang mit der sog. Blutrache oder dem Ehrenmord.2

Die Auffassungen und ihre Argumente

1. Ansicht - Die Weltanschauungen des Kulturkreises, dem der Täter angehört können nicht berücksichtigt werde.3

Die Beurteilung dessen, ob ein niedriger Beweggrund vorliegt, erfolgt mithin ausschließlich nach den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland.4 Berücksichtigung findet dieser Umstand allenfalls innerhalb der inneren bzw. subjektiven Tatseite. Verneint werden kann das Vorliegen eines niedrigere Beweggrundes dann, wenn der Täter seinem Kulturkreis so verhaftet ist, dass er die Bewertung der Tat nach den deutschen Anschauungen nicht nachvollziehen kann.5

Argumente für diese Ansicht

Viele dieser „ehrenhaften“ Straftaten führen auch in den Herkunftsländern zu Strafschärfungen.6

Tötung aus Blutrache besonders verwerflich

Bei der Tötung aus Blutrache erhebt sich der Täter in besonders verwerflicher Weise über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen.7

Lebensrecht des Menschen als höchstes Gut

Die Blutrache gilt als besonders verwerflich in einer Rechtsgemeinschaft, die das Lebensrecht des Menschen so hoch einschätzt, dass sie es selbst dem Täter nicht aberkennt, der schwerste Schuld auf sich geladen hat.8

Täter verfehlt das sozial-ehtische Minimum der Gesellschaft9

Damit würde ansonsten der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz berührt werden10

Es käme zu einer Diskriminierung durch Einführung eines „Ausländerprivilegs“ 11

2. Ansicht - Die Anschauungen des Täter bzw. seines Kulturkreises müssen bei der Beurteilung des niedrigen Beweggrundes einbezogen werden.12

Diese Auffassung bezieht diese Umstände bereits bei dem objektiven Vorliegen des niedrigen Beweggrundes mit ein. Dies soll allerdings nur dann gelten, wenn diese Verhaltensweisen in dem fraglichen Kulturkreis tatsächlich prägend und nicht etwa geächtet sind.13 Zudem soll es darauf ankommen, inwieweit es es dem Täter möglich war, sich über die in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden Vorstellungen zu informieren.14

Argumente für diese Ansicht

Missachtung des Schuldprinzips

Das Schuldprinzip würde ansonsten missachtet werden, da dieses gerade auf einer fairen Zurechnung der Schuld fußt.15

Verantwortung des Täters für Weltanschauungen des Kulturkreises

Zudem würde man den Täter ansonsten für die fehlerhafte Sozialsituation seines Kulturkreises verantwortlich machen.16

Missachtung von anderen Kulturen17

Missachtung des Prinzips der Gesamtwürdigung

Die Beurteilung des Mordmerkmals erfordert immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände. Hierin gehört dann auch die Frage, inwieweit der Täter einer anderen Kultur verhaftet ist.18

  • 1. Rengier, BT II, § 4, Rn. 22, Aufl. 13.
  • 2. Rengier, BT II, § 4, Rn. 22, Aufl. 13.v
  • 3. Fischer, StGB, § 211, Rn. 29ff., Aufl. 62.; MüKo/Schneider, § 211, Rn. 104ff., Aufl. 2.; BGH NJW 95, 602.; Kindhäuser, LPK-StGB, § 211, Rn. 14, Aufl. 6.
  • 4. Gundsätzlich in diesem Punkt zustimmend: Fischer, StGB, § 211, Rn. 29, Aufl. 62.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen, StGB, § 211, Rn. 31, Aufl. 2.; BGH NStZ 06, 284.
  • 5. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, § 211, Rn. 19a., Aufl. 29.; Rengier, BT II; § 4, Rn. 22, Aufl. 13.
  • 6. Joecks, StGB, § 211, Rn. 26, Aufl. 11.; Fischer, StGB, § 211, Rn. 29a, Aufl. 62.
  • 7. MüKo/Schneider, § 211, Rn. 107, Aufl. 2.
  • 8. MüKo/Schneider, § 211, Rn. 107, Aufl. 2.; BGH v. 07.10.94 – II StR 319/94.
  • 9. MüKo/Schneider, § 211, Rn. 108, Aufl. 2.
  • 10. MüKo/Schneider, § 211, Rn. 108, Aufl. 2.
  • 11. MüKo/Schneider, § 211, Rn. 108, Aufl. 2.
  • 12. NK/Neumann, § 211, Rn. 30af., Aufl. 3.; Dafür i.E. auch Fischer, StGB, § 211, Rn. 29b, Aufl. 62.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen, StGB, § 211, Rn. 31, Aufl. 2.
  • 13. Fischer, StGB, § 211, Rn. 29b, Aufl. 62; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen, StGB, § 211, Rn. 31, Aufl. 2.
  • 14. Fischer, StGB, § 211, Rn. 29b, Aufl. 62.
  • 15. NK/Neumann, § 211, Rn. 30a, Aufl. 3.
  • 16. NK/Neumann, § 211, Rn. 30a, Aufl. 3.; m.w.N.: Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen, StGB, § 211, Rn. 32, Aufl. 2.
  • 17. NK/Neumann, § 211, Rn. 30a, Aufl. 3.
  • 18. NK/Neumann, § 211, Rn. 30b, Aufl. 3.

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