Das Verhältnis von Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB)

Überblick

In der strafrechtlichen Literatur und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird darum gestritten, in welchem Verhältnis § 211 StGB (Mord) und § 212 StGB (Totschlag) zueinander stehen. Zum einen wird vertreten, dass § 211 StGB eine Qualifikation zu § 212 StGB darstellt.1 Demgegenüber konstatiert eine andere Auffassung, dass sowohl § 211 StGB als auch § 212 StGB zwei jeweils selbständige und voneinander unabhängige Tatbestände seien.2


Folgen und Auswirkungen des Meinungsstreites

Relevanz erlangt dieser Meinungsstreit insbesondere dann, wenn es um die Anwendbarkeit des § 28 StGB im Rahmen der Teilnahme am Mord geht.3 Fehlen nämlich besondere persönliche Merkmale (hier die Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe)4 welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, kann eine Strafe gemäß § 28 I StGB nur gemildert werden. Dies gilt immer dann, wenn die in Rede stehenden Merkmale die Strafbarkeit des Täters begründen. Nimmt man an, die §§ 211, 212 StGB seien jeweils eigenständige Tatbestände, müsste man bei der Beurteilung dessen, ob sich ein Teilnehmer des Mordes schuldig gemacht hat, daher § 28 I StGB anwenden, denn das Vorliegen der Mordmerkmale würde – neben den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen – die Strafbarkeit aus § 211 StGB erst begründen.5

Dies hätte zur Folge, dass sich ein Teilnehmer, der seinerseits keines der in Frage kommenden Mordmerkmale erfüllt, allein deshalb nach § 211 StGB strafbar macht, weil der Haupttäter ein bestimmtes Mordmerkmal verwirklicht und sich der Vorsatz des Teilnehmers darauf erstreckt. Die Strafbarkeit des Teilnehmers nach § 211 StGB wird also begründet und kann dann nur noch unter den Voraussetzungen des § 49 I StGB gemildert werden (sog. Strafrahmenverschiebung). 6.

Schließt man sich hingegen der Auffassung an, dass § 211 StGB als Qualifikation des § 212 StGB anzusehen ist, kommt bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Teilnehmers § 28 II StGB zur Anwendung. 7

Demnach gilt, soweit das Gesetz bestimmt, dass besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen (…), diese schärfere Strafe nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem die Merkmale tatsächlich auch vorliegen. Bei der Frage, ob sich der jeweilige Beteiligte des Mordes nach § 211 StGB schuldig gemacht hat, ist folglich allein darauf abzustellen, ob er selbst eines der fraglichen Mordmerkmale erfüllt hat oder nicht (Tatbestandsverschiebung von § 212 zu § 211 StGB oder umgekehrt). Insoweit wird der Grundsatz der limitierten Akzessorietät durchbrochen.


Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht - Rechtsprechung

§ 211 und § 212 StGB sind eigenständige Tatbestände mit jeweils unterschiedlichem und abschließend umschriebenem Unrechtsgehalt. 8

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut: „Totschläger“ und „Mörder“
Dafür, dass es sich um zwei unterschiedliche eigenständige Tatbestände handelt, spricht bereits das Gesetz, indem es eine unterschiedliche Terminologie verwendet.

Argument, dass § 212 in § 211 StGB enthalten ist, steht nicht entgegen
Es ist dem Gesetz nicht fremd, dass Tatbestände in anderen enthalten sein können, ohne Grundtatbestand und Qualifikation zu bilden. Theoretisch ist § 242 StGB auch in § 249 StGB enthalten, wobei § 249 StGB auch nicht als Qualifikation des § 242 StGB angesehen wird.9

Systematik: Stellung der §§ 211, 212 StGB innerhalb des Gesetzes
Dafür, dass §§ 211, 212 StGB jeweils eigenständige Tatbestände sind und § 211 keine Qualifikation des § 212 ist, spricht auch, dass der vermeintliche Grundtatbestand in diesem Fall systematisch hinter der Qualifikation stehen würde. Dies ist untypisch.


Argumente gegen diese Ansicht

Anwendung des § 28 I StGB
Insbesondere wird an der Ansicht des BGH kritisiert, dass zur Beurteilung der Strafbarkeit des Teilnehmers § 28 I StGB zur Anwendung gelangt, was zu dem oben stehenden „unbefriedigenden Ergebnis“ führt, dass sich der Teilnehmer auch dann eines Mordes nach § 211 StGB strafbar macht, wenn er selbst keines der Mordmerkmale der 1. oder 3. Gruppe erfüllt, der Haupttäter aber schon. 10

Keine Tätertypen „Mörder“ und „Totschläger“
Darin, dass das Gesetz in § 211 StGB vom „Mörder“ und in § 212 StGB vom „Totschläger“ spricht, liegt keine Anerkennung von normativen Tätertypen. Es sollte damit insbesondere nicht auf bestimmte kriminologische Tätertypen Bezug genommen werden. Vielmehr soll dem Richter dadurch bewusst gemacht werden, dass bei der Abgrenzung von Mord und Totschlag der Persönlichkeit des Täters und der Verwerflichkeit seiner Motivation eine besondere Rolle zukommt.11

2. Ansicht – Schrifttum und Lehre

§ 211 StGB stellt eine Qualifikation zu § 212 StGB dar, der seinerseits als Grundtatbestand anzusehen ist. 12

Argumente für diese Ansicht

Tatbeteiligung nach § 28 II StGB
Für die Auffassung, dass es sich bei § 211 StGB um eine Qualifikation zu § 212 StGB handelt, spricht vor allem, dass bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Beteiligten (also auch des Teilnehmers) allein auf § 28 II StGB abzustellen ist. Im Ergebnis können sich sowohl Täter als auch Teilnehmer nur des Mordes schuldig machen, wenn sie selbst auch entsprechende Mordmerkmale verwirklicht haben. Dadurch wird auch eine Akzessorietätslockerung ermöglicht. 13

Quantitativ graduelle Abstufung von Mord und Totschlag
Für diese Auffassung spricht weiterhin, dass die Unrechtsabstufung zwischen Mord und Totschlag nicht qualitativ, sondern allein quantitativ graduell erfolgt.14 Das heißt, dass eine Tötung nach § 211 StGB im Vergleich zu § 212 StGB besonders verwerflich erscheint. Die Einstufung als Qualifikation würde dem gerecht werden.

Unrechtsgehalt des § 212 ist in § 211 StGB enthalten


Argumente gegen diese Ansicht

Kein Folgeschluss
Zwar ist sicher, dass derjenige, der bei einer Tötung ein Merkmal des § 211 StGB verwirklicht, eine höhere Schuld aufweist als ein Totschläger. Daraus kann allerdings nicht automatisch gefolgert werden, dass die Merkmale des § 211 StGB Schulderhöhungsgründe im Vergleich zu § 212 StGB darstellen.15

  • 1. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Auflage 2019, vor §§ 211 ff. Rn. 5.
  • 2. BGHSt 30, 105.
  • 3. LK-StGB/Rosenau, 13. Auflage 2023, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 143.
  • 4. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Auflage 2017, Teil 5 B Rn. 1063.
  • 5. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Auflage 2019, § 28 Rn. 23.
  • 6. Zu dieser Terminologie zB: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis/Gercke: Wirtschaftsstrafrecht, § 46 Rn 11.
  • 7. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Auflage 2019, § 28 Rn. 23.
  • 8. BGHSt 1, 368 (370).; BGHSt 22, 375.; BGHSt 36, 231.; BGHSt 50, 1 (5).
  • 9. BGHSt 1, 368 (370).
  • 10. LK-StGB/Rosenau, 13. Auflage 2023, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 137a.
  • 11. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Auflage 2019, Vorbem. §§ 211ff. Rn. 6.
  • 12. AK-StGB/Mitsch, 3. Auflage 2020, § 212 Rn. 1; Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, Vor § 211, Rn. 2.
  • 13. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Auflage 2019, Vorbem. §§ 211ff. Rn. 5.
  • 14. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Auflage 2019, Vorbem. §§ 211ff. Rn. 3.
  • 15. BGHSt 1, 368 (370f.)

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