Ergibt sich aus der sogenannten Abwehrprovokation eine im Rahmen der Gebotenheit zu berücksichtigende Einschränkung für den Notwehrverübenden?

Überblick

Die unter dem Begriff der Abwehrprovokation behandelten Fälle beschreiben Situationen, in denen sich der Notwehrverübende im Vorhinein und in Erwartung der späteren Notwehrsituation statt mit dem mildesten effektiven Abwehrmittel bewusst mit einem gefährlicheren Mittel ausrüstet. So zum Beispiel, wenn er sich statt mit einem Messer bewusst oder absichtlich mit einer Schusswaffe bewaffnet, deren Einsatz dann in der späteren Situation mangels anderer milderer und gleich effektiver Mittel erforderlich ist. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob ein solches Verhalten – parallel zur Notwehrprovokation – zu einer Einschränkung des Notwehrrechts auf der Ebene der Gebotenheit führen muss.

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht

Das bewusste „Hochrüsten“ des Täters im Vorhinein (Abwehrprovokation) führt nicht zur Einschränkung seines Notwehrrechts.1

Argumente für diese Ansicht

Notwehrprovokation und Abwehrprovokation basieren auf unterschiedlichen Gedanken. Im Ergebnis überwiegen daher die Interessen des Abwehrverübenden, sodass der Angreifer die Verteidigungssituation so annehmen muss, wie sie sich ihm darbietet.

In den Fällen der Abwehrprovokation stellt sich allein die Schärfe der Notwehrhandlung als eine dem Notwehrverübenden zuzurechnende Folge dar. Anders als bei der Angriffsprovokation führt der Angegriffene die Notwehrsituation nicht bewusst herbei. Die Einschränkungen des Notwehrrechts auf der Ebene der Gebotenheit resultieren gerade aus dem Gedanken, dass der Angegriffene die Situation selbst geschaffen hat und damit auch für die Gefährdung seiner Rechtsgüter teilweise selbst verantwortlich ist. Der Abwehrprovokateur hat hingegen nichts zur Entstehung der Notwehrsituation beigetragen, sodass seine Interessen schutzwürdiger sind als die desjenigen, der die Notwehrsituation provoziert. 2

2. Ansicht

Das bewusste „Hochrüsten“ des Täters im Vorhinein (Abwehrprovokation) führt zur Einschränkung seines Notwehrrechts, wenn von Vorhinein mit entsprechender Absicht gehandelt worden ist. 3 Es sind dann zunächst ein Ausweichen und Schutzwehr geboten. 4

Argumente für diese Ansicht

Beurteilung der Erforderlichkeit

Eigentlich handelt es sich im Ergebnis nicht um eine Einschränkung des Notwehrrechts, sondern um eine stringente Anwendung der Kriterien, die innerhalb der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung aufgestellt wurden. Insoweit handelt es sich um eine Vorverlegung, die im Ergebnis zur Einschränkung zwingt.5

  • 1. LK-StGB/Rönnau/Hohn, 13. Auflage 2019, § 32 Rn. 189 ff., 248.
  • 2. LK-StGB/Rönnau/Hohn, 13. Auflage 2019 § 32, Rn. 190.
  • 3. Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Auflage 2019, § 32 Rn. 61b.
  • 4. Vgl. LK-StGB/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Auflage 2019, § 32 Rn. 189.
  • 5. Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Auflage 2020, § 15 Rn. 46.

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