Fluglärm - BVerwG, 28.06.2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 275
Sachverhalt
A ist Eigentümer eines Wohngrundstücks nordöstlich des Verkehrsflughafens B im Bundesland C. Mit der 122. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrsordnung, bekannt gegeben im Bundesanzeiger Nr. 159/1995, hat das Luftfahrtbundesamt die An- und Abflugstrecke „SÜD“ des Flughafens neu bestimmt, mit der Folge, dass die Flugbahn unmittelbar über dem Grundstück des A verläuft. Dieser macht geltend, dass er insbesondere zur Nachtzeit erheblichem Mehrlärm durch die Flugzeuge ausgesetzt sei. Die Behörde hätte übersehen, dass die neue Flugroute über dicht besiedeltes Stadtgebiet führe und sie habe zudem nicht ausreichend ermittelt, wie viele Bürger betroffen seien.
Das Luftfahrtbundesamt (L) hat eine von A vorgeschlagene Änderung der Flugroute abgelehnt. Es verweist auf den Umstand, dass bei der Abwägung neues Kartenmaterial zugrunde gelegen habe und das statistische Material über die betroffenen Orte sorgfältig und zutreffend ausgewertet wurden. Eine Einzelprüfung des Grundstück des A sei dabei allerdings nicht erfolgt. Die L hat die neuen Flugrouten aufgrund der § 32 LuftVG und § 27a LuftVO erlassen.
A möchte vor dem Oberverwaltungsgericht gegen die Planungsentscheidung klagen, wird er damit Erfolg haben?
§ 32 LuftVG
(1) Der Bundesminister für Verkehr erlässt […] Rechtsverordnungen über
1. das Verhalten im Luftraum und am Boden, insbesondere Flugvorbereitungen, Verhalten bei Start und Landung, die Benutzung von Flughäfen […|
(3) Der Bundesminister für Verkehr kann die Befugnis auf die Bundesanstalt für Flugsicherung […] übertragen.
§ 27a LuftVO
(1) Der Luftfahrzeugführer hat bei An- und Abflügen die vorgeschriebenen Flugverfahren zu befolgen.
(2) Das Luftfahrtbundesamt wird ermächtigt, die Flugverfahren durch Verordnung festzulegen und in dem Bundesanzeiger bekannt zu machen. Zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs kann das Flugsicherungsunternehmen im Einzelfall Flugverfahren durch Verfügung festlegen; die Dauer des Festlegung darf jedoch 3 Monate nicht überschreiten.
Die Fallhistorie
Der Kläger machte geltend durch die Flugroutenplanung besonders zur Nachtzeit erheblichem Fluglärm ausgesetzt zu sein. Der Instanzenzug begann vor dem OVG NRW und wurde vom Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Der Problemkreis
Feststellungsklage, Bundesrechtsverordnungen, Drittschutz
Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
II. Statthafte Klageart
1. Anfechtungsklage
2. allgemeine Leistungsklage
3. Allgemeine Feststellungsklage
III. Sachliche Zuständigkeit des OVG
IV. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
V. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
VI. Zwischenergebnis
B. Begründetheit
C. Ergebnis
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Gutachten
A. Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechts
A wendet sich gegen die Festlegung der An- und Abflugstrecke „SÜD“ durch das Luftfahrtbundesamt (L). Mangels aufdrängender Zuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist gegeben, da die streitentscheidenden Normen solche des Öffentlichen-Rechts sind, nämlich die LuftVG und die LuftVO. Diese Normen berechtigen ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt und sind damit unstreitig Normen des Öffentlichen Rechts. Eine abdrängende Zuweisung ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg ist damit eröffnet.
II. Statthafte Klageart
Die Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO. A möchte im Ergebnis eine Änderung der An- und Abflugstrecke erreichen. Damit kommen mehrere Klagearten in Betracht.
1.Anfechtungsklage
A könnte möglicherweise eine Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO erheben. Dann müsste es sich bei der Festlegung der Flugstrecken um einen Verwaltungsakt handeln. Hierbei kommt es darauf an, wie die Behörde tatsächlich gehandelt hat. Bei der Bestimmung der Flugstrecke handelt es sich um eine Verordnung des Bundes, bei der entsprechend der Ermächtigung im LuftVG der zuständige Bundesminister gem. Art. 80 I 1 GG, die Befugnis zum Erlass der Verordnung auf das Luftfahrtbundesamt delegiert hat, Art. 80 I 4 GG. L wiederum hat diesen Rechtsakt als Durchführungsverordnung bezeichnet und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Darüber hinaus wird aus § 27a II LuftVO deutlich, dass das Flugverfahren grundsätzlich durch Verordnung, nur in Ausnahmefällen durch Verwaltungsakt, zu erfolgen hat. Damit wäre eine Anfechtungsklage des A mangels Verwaltungsakt nicht statthaft.
2. Allgemeine Leistungsklage
A könnte jedoch mit der allgemeinen Leistungsklage begehren L zur Aufhebung seiner Maßnahme zu verurteilen. Die Leistungsklage ist auf den actus contrarius gerichtet. Demnach würde es sich vorliegend um eine Normaufhebungsklage handeln, da die Bestimmung der Flugstrecken durch Verordnung erfolgte. Jedoch ist die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO als Feststellungsverfahren ausgestaltet und zudem bestünde hier schon kein Bedürfnis am Leistungsanspruch, denn der Antrag auf Aufhebung einer nichtigen und damit rechtlich nicht existenten Norm liefe ins Leere. Damit kommt auch eine Leistungsklage nicht in Betracht.
3. Allgemeine Feststellungsklage
Es kommt weiterhin die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I 1. Alt VwGO in Betracht. Dann müsste A die Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses begehren. Vorliegend ist jedoch fraglich, welches Rechtsverhältnis Gegenstand des Feststellungsantrags sein soll. A hält im Ergebnis die Norm als solches für unwirksam. Aber die Gültigkeit einer Norm allein begründet noch kein Rechtsverhältnis. Jedoch kann sich ein Kläger auch darauf berufen, durch die Norm selbst in seinen Rechten verletzt zu sein. Das Rechtsverhältnis wird dabei nicht allein durch Norm und Adressat, sondern durch die Rechtsbehauptung konkretisiert, durch die Norm selbst in subjektiven Rechten verletzt zu sein.
Einem solchen Antrag des A könnte jedoch § 47 VwGO entgegenstehen, welcher eine Normenkontrolle als Prinzipale Normenkontrolle beim Oberverwaltungsgericht ausgestaltet hat. Dann müsste jedoch eine direkte Umgehung des § 47 VwGO vorliegen. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die streitgegenständliche Verordnung als Rechtsverordnung des Bundes nicht nach § 47 VwGO angreifbar ist. Aufgrund dessen könnte möglicherweise der Feststellungsantrag jedoch gesperrt sein, da solche Anträge grundsätzlich in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen und ein stattgebendes Urteil letztlich nur Wirkung zwischen den Parteien haben könnte. Dann könnte der Betroffene jedoch untergesetzliche Normen, die nicht unter § 47 VwGO fallen nur noch mit der Verfassungsbeschwerde angreifen. Dem steht aber wiederum der Grundsatz der Subsidarität entgegen, weil die Überprüfung untergesetzlicher Rechtsnormen im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten in die Prüfungskompetenz der Fachgerichte fällt. Würde man nun eine Sperrwirkung des § 47 VwGO annehmen, würde dies zu einer mit Art. 19 IV GG unvereinbaren Rechtsschutzlücke führen. Damit ist der Antrag des A auf Feststellung, dass dieser durch die 122. Durchführungsverordnung in seinen Rechten verletzt ist, statthaft. Da der A sein Begehren auch nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann, steht der Feststellungsklage auch nicht der Grundsatz der Subsidarität aus § 43 II 1 VwGO entgegen.
Im Ergebnis ist die Feststellungsklage gem. § 43 I 1. Alt VwGO statthaft.
III. Sachliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts
Fraglich ist, ob das Oberverwaltungsgericht abweichend von § 45 VwGO als Eingangsgericht sachlich zuständig ist. Es entscheidet jedoch gem. § 48 I Nr. 6 VwGO im ersten Rechtszug auch über sämtliche Streitigkeiten, die den Betrieb von Verkehrsflughäfen zum Gegenstand haben. Darunter fällt auch die Festlegung von An- und Abflugswegen.
IV. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
1. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
Da die Feststellungsklage keine Popularklage ist, gilt § 42 II VwGO entsprechend. A müsste es um die Verwirklichung seiner Rechte gehen, wobei er entweder selbst am Rechtsverhältnis beteiligt ist, oder aber von dem Rechtsverhältnis seine eigenen Rechte abhängen.
Vorliegend ist die Änderung von Abflugstrecken aufgrund einer Planungsermessensentscheidung ergangen. Diese muss aus rechtsstaatlichen Gründen die abwägungserheblichen privaten Belange des durch den Flugbetrieb Betroffenen berücksichtigen und somit zumindest auch seinen Interessen dienen. A macht geltend in seiner Gesundheit und seinem Eigentum, mithin in verfassungsrechtlich geschützten Belangen verletzt zu sein. Diese Belange wären in der Abwägungsentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen gewesen.
2. Feststellungsinteresse, § 43 I VwGO
Das erforderliche Feststellungsinteresse gem. § 43 I VwGO ergibt sich aus der Belastung des A mit mehr Lärm durch die Änderung der Flugstrecke.
V. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
Die Beteiligtenfähigkeit des A ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO, die der beklagten Bundesrepublik Deutschland aus § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO.
Die Prozessfähigkeit des A folgt aus § 62 I Nr. 1 VwGO, die der Bundesrepublik Deutschland richtet sich nach § 62 III VwGO.
VI. Zwischenergebnis
Die Feststellungsklage des A ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn die 122. Durchführungsverordnung zur LuftVO subjektive Rechte des K verletzt. Dies wäre dann der Fall, wenn die angegriffene Verordnung wegen Verstoßes gegen drittschützende Normen rechtswidrig ist.
Entscheidend ist hierbei, ob die Behörde materiell-rechtlich das ihr nach § 32 LuftVG iVm § 27a II 1 LuftVO zustehende Planungsermessen ordnungsgemäß unter Berücksichtigung der Belange des Klägers getätigt hat. Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, hat bei der Festlegung von An- und Abflugstrecken lediglich eine Überprüfung dahingehend zu erfolgen, ob das Amt von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, dabei den gesetzlich bestimmten Rahmen erkannt und die Lärmschutzinteressen des Betroffenen in die gebotene Abwägung gestellt hat, ohne diese ohne sachlichen Grund zurückzusetzen. Eine Klage wäre demnach nur dann erfolgreich, wenn die Behörde das Interesse des A am Schutz vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen willkürlich unberücksichtigt gelassen hat.
Dabei ist es zulässig, dass sich die Behörde auf aktuelles Kartenmaterial und Statistiken stützt, Ermittlungen vor Ort bedarf es in der Regel nicht. Die Verordnung ist damit als rechtmäßig anzusehen, da die Behörde die Interessen des nicht willkürlich unberücksichtigt gelassen hat, auch wenn sie keine Einzelfallprüfung am Grundstück des A vorgenommen hat.
C. Ergebnis
Die Klage des A wäre zwar zulässig, jedoch im Ergebnis nicht begründet.
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Vielen Dank für die Zusendung dieses Falls an Dipl.iur. Jessica Große-Wortmann!
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