Der Stachinsky-Fall (angelehnt an: BGHSt 18, 87)

Der Blutrausch-Fall (angelehnt an: BGHSt 7, 325)

Sachverhalt

S arbeitet beim sowjetischen Geheimdienst KGB und ist unter dem Decknahmen „Oleg“ zuständig für die „Beseitigung“ von Exilpolitikern im Ausland, die der Regierung gefährlich werden könnten.

Der Vorgesetzte des S beauftragt diesen für den KGB den nach Berlin geflüchteten L zu töten. L gehört einer Untergrundorganisation an, die oppositionelle Kräfte gegen die Regierung stärkt. S erhält aus seinem Heimatland immer wieder konkrete Informationen, wo er das Zielobjekt findet und wie er es ausschalten soll.

Da S seinem Regime treu ergeben ist und er dies als Vaterlandsaufgabe sieht, befolgt er alle Anweisungen seines Dienstherren. Dieser erklärt dem S nach ein paar Tagen Aufenthalt in Berlin, dass er den L in einem Hotel treffen wird. L wird unter einem Vorwand zu diesem Treffen gelockt. Als S den L in einem Hotel trifft, sprüht er ihm Blausäure ins Gesicht, welche aus eine pistolenähnlichen Waffe gesprüht wird. L verstirbt daraufhin. Wenig später wird S in West- Berlin gefasst.

Wie hat sich S strafbar gemacht?

Die Fallhistorie

Stachinsky (Deckname „Oleg“) war beim KGB in der Abteilung für Terrorakte im Ausland beschäftigt. Er wurde 1957 nach Berlin beordert, um „störende“ Exilpolitiker umzubringen. Was sich wie ein echter Agenten- Thriller liest, hatte der BGH am 19.10.1962 zu entscheiden. Dieses Urteil verdeutlicht auch sehr nachvollziehbar, warum der BGH damals die „animus- Theorie“ konstruierte, da er mit allen Mitteln wollte, dass S. nicht als Mittäter bestraft wird, sondern lediglich als Gehilfe.

Um dieser Rechtsprechung entgegenzutreten, verabschiedete der Gesetzgeber im Jahre 1969 den § 25 I StGB.

Dies ist auch den historischen Umständen des kalten Krieges geschuldet. Vollständig aufgegeben wurde die animus-Theorie zwar bis heute nicht, allerdings wird sie kaum noch vertreten. Auch die jüngere Rechtsprechung nähert sich der Tatherrschaftslehre an.

S lebt heute angeblich unter einer neuen Identität in den USA.

Der Problemkreis

Abgrenzung Täterschaft / Teilnahme

Lösungsskizze

Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211 I, II 2. Grup., 1. Var. StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Taterfolg: Tod eines anderen Menschen

b) Tathandlung: Versprühen der Blausäure

(P) Abgrenzung Täterschaft/ Teilnahme

aa) e.A. Formal- objektive Theorie

bb) a.A. (früher BGH) „Animus- Theorie“

cc) h.L. Tatherrschaftslehre

dd) Streitentscheid

Täterschaft (+)

c) Mordmerkmal der Heimtücke (+)

(P) besonderer Vertrauensbruch

2. Subjektiver Tatbestand (+)

II. Rechtswidrigkeit (+)

III. Schuld (+)

IV. Ergebnis (+)

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Gutachten

Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211 I, II 2. Grup., 1. Var. StGB

S könnte sich durch das Versprühen der Blausäure in das Gesicht des L gem. §§ 212 I, 211 I, II 2. Grup. , 1. Var. StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

Der Tatbestand müsste vorliegen.

1. Objektiver Tatbestand/p>

Zunächst müsste der objektive Tatbestand erfüllt sein.

a) Taterfolg: Tod eines anderen Menschen/p>

Ausweislich des Sachverhalts ist der L verstorben, sodass der Taterfolg zu bejahen ist.

b) Tathandlung: Versprühen der Blausäure/p>

Fraglich ist jedoch, ob eine Tathandlung vorliegt. Hier versprühte S die Blausäure in das Gesicht des L. Dies könnte jedoch auch eine reine Beihilfehandlung darstellen. Somit ist eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vorzunehmen. Wie dies abzugrenzen ist, ist umstritten.

aa) e.A. Formal- objektive Theorie/p>

Nach der formal- objektiven Theorie ist nur derjenige Täter, der die tatbestandliche Ausführungshandlung selbst vornimmt. Hier hat der S die Tötungshandlung selbst vorgenommen, sodass er als Täter bestraft werden würde.

bb) a.A. (früher BGH) „Animus- Theorie“/p>

Eine andere Ansicht grenzt die Täterschaft zur Teilnahme durch eine subjektive Komponente ab. Nach der sog. animus- Theorie soll nur derjenige Täter sein, der nach seiner inneren Willensrichtung Täter sein will (animus auctoris). Will er hingegeneine fremde Tat unterstützen, so ist er animus socii. Hier wollte S aber subjektiv nicht Täter sein, sondern führte nach seiner Willensüberzeugung nur die Tat der Regierung bzw. seines Vorgesetzten aus. Mithin wollte er nur eine fremde Tat unterstützen.

Nach dieser Ansicht wäre der S vielmehr als Gehilfe zu sehen.

cc) h.L. Tatherrschaftslehre/p>

Nach der Tatherrschaftslehre ist Täter, wer als Zentralgestalt die planvoll- lenkende oder mitgestaltende Tatherrschaft besitzt und die Tatbestandverwirklichung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann.

S ist als „Mann vor Ort“ die zentrale Figur, um die Tötung des L überhaupt ausführen zu können. Insoweit hält er den tatbestandsmäßigen Geschehensablauf in den Händen und kann selbst entscheiden, ob er die Tat ausführt oder nicht. Damit wäre der S nach dieser Ansicht als Täter anzusehen.

dd) Streitentscheid/p>

Da eine Ansicht (animus- Theorie) zu einem anderen Ergebnis kommt, ist der Streit zu entscheiden.

Gegen die animus- Theorie spricht heute der § 25 I 1. Alt. StGB. Nach dessen Wortlaut ist Täter, wer die Straftatselbst oder durch einen anderen begeht. Auch führt diese Ansicht zu mehr Rechtsunsicherheit, da es dem Richter im Einzelfall überlassen wird, ob er den Angeklagten als Täter oder Teilnehmer ansehen will.

Somit ist die animus -Theorie, schon aufgrund des eindeutigen Wortlautes abzulehnen.

Mithin ist der S Täter.

c) Mordmerkmal der Heimtücke /p>

S könnte auch das Mordmerkmal der Heimtücke gem. § 211 II, 2. Grup. , 1. Var. StGB erfüllt haben.

Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt. Dabei beruht die Wehrlosigkeit auf der Arglosigkeit.

Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat, keines Angriffs versieht

Der L war bei dem Treffen völlig ahnungslos und versah sich keines Angriffs. Nach der Vorstellung des S sollte sich der L zum Tatzeitpunkt nicht verteidigen können und dadurch wehrlos sein. Auch wollte S dies bewusst zur Tat ausnutzen.

Teilweise vertritt eine Ansicht, mit Blick auf die absolute Strafandrohung, dass zusätzlich ein Vertrauensbruch zwischen Täter und Opfer vorliegen muss. L kannte hier den KGB Agenten S nicht, sodass nach dieser Ansicht eine Heimtücke ausscheiden würde.

Nach einer anderen Ansicht bedarf es eines solchen Vertrauensbruches nicht. Nach dieser Ansicht läge Heimtücke vor.

Da die Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen führen, ist ein Streitentscheid durchzuführen.

Für die erste Ansicht spricht die absolute Strafandrohung der Mordmerkmale. Es wäre demnach eine restriktivere Auslegung des Mordmerkmals Heimtücke vorzunehmen.

Dagegen spricht jedoch, dass bei der Forderung eines zusätzlichen besonderen Vertrauensbruches, so gut wie nie Heimtücke bejaht werden könnte. Dies entspricht nicht dem gesetzgeberischen Willen. Ein besonderer Vertrauensbruch wird vom Gesetzeswortlaut schon nicht vorausgesetzt, sodass die zweite Ansicht vorzugswürdig ist.

Damit liegt das Mordmerkmal der Heimtücke vor (a.A. vertretbar).

2. Subjektiver Tatbestand /p>

Es müsste auch der subjektive Tatbestand vorliegen. S müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände. Ausweislich des Sachverhalts handelte S mit Tötungsabsicht. Auch bzgl. des Mordmerkmals der Heimtücke handelte S zumindest mit dolus eventualis. Damit liegt der subjektive Tatbestand vor.

II. Rechtswidrigkeit /p>

Nach der Lehre vom Erfolgsunrecht wird die Rechtswidrigkeit tatbestandlich indiziert. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, sodass S auch rechtswidrig handelte.

III. Schuld /p>

Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich. S handelte auch schuldhaft.

IV. Ergebnis /p>

Mithin hat sich S gem. §§ 212 I, 211 I, II 2. Grup. , 1. Var. StGB strafbar gemacht.

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Vielen Dank an Sinan Akcakaya (Dipl.iur.) für die Zusendung dieses Falls!

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