Ist eine Sache abhandengekommen, wenn sie von einem Besitzdiener unterschlagen, veruntreut oder unbefugt an einen Dritten weitergegeben wurde?
Überblick
Streitig ist, ob eine Sache abhandenkommt, die der Besitzdiener mit Willen des Besitzherren erlangte, dann aber ohne dessen Erlaubnis an einen Dritten weitergibt.
Die Auffassungen und ihre Argumente
1. Ansicht - Theorie des Abhandenkommens
Wird eine Sache ohne den Willen des Eigentümers vom Besitzdiener an einen Dritten weitergeben, kommt sie damit dem Besitzherrn abhanden. Die Sache kommt hingegen nicht abhanden, wenn der Besitzdiener mit Vertretungsmacht handelt. 1
Argumente für diese Ansicht
Abhandenkommen liegt vor
Bei Auslegung des Begriffs „Abhandenkommen“ ist der Schluss zu ziehen, dass ein Abhandenkommen dann vorliegt, wenn der Besitzdiener ohne das Einverständnis des Besitzherrn an einen Dritten übergibt. Denn dann hat der Besitzer seinen Besitz unfreiwillig verloren. Damit ist auch ein gutgläubiger Erwerb zulasten des ehemaligen Besitzers ausgeschlossen.
Systematik des BGB
Die Entscheidung über den freiwilligen oder unfreiwilligen Besitzverlust kann nicht von einem Dritten, sondern nur vom Willen des Besitzers selbst abhängen.
Andere Schutzzweckrichtung
Zwar ist es sinnvoll, im Bereich des Besitzschutzes allein den Besitzherrn als Besitzer anzusehen und daher dem Besitzdiener keinen Schutz gegenüber diesem zu gewähren. Das bedeutet aber nicht, dass der Rechtsverkehr keines Schutzes bedarf.
§ 935 I BGB
§ 935 I BGB lässt einen gutgläubigen Erwerb nur an solchen Sachen zu, die der Eigentümer oder eine von ihm beauftrage Person willentlich weggegeben hat. Agiert der Besitzdiener außerhalb des Gewahrsamsbereichs des Eigentümers, hat dieser die Sache gerade nicht freiwillig aus der Hand gegeben.
2. Ansicht - Enge Theorie des Nichtabhandenkommens
Veräußert ein Besitzdiener die Sache des Besitzherrn, ist ein gutgläubiger Erwerb nicht ausgeschlossen, weil kein Abhandenkommen vorliegt. Jedoch ist diese Lösung nicht anwendbar, wenn der Besitzdiener die Sache außerhalb des räumlichen Herrschaftsbereichs des Besitzherrn in Gewahrsam hatte und er als Besitzdiener nach außen nicht erkennbar war. Dann ist § 935 BGB anwendbar und ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich.2
Argumente für diese Ansicht
Veranlassungsprinzip
Da der Eigentümer seine Sachen einem Besitzdiener anvertraut, muss er auch das Risiko tragen, dass dieser seine Rechtsstellung missbraucht. Dies gilt erst recht, wenn der Besitzdiener zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt außerhalb der räumlichen Sphäre des Besitzherrn bemächtigt wird.
Rechtsscheinsbasis ist tatsächliche Gewalt
Die Rechtsscheinsbasis der §§ 884-872 BGB ist nicht der Besitz, sondern die tatsächliche Gewalt über die Sache. Der Besitzdiener übt über die Sache die tatsächliche Gewalt aus, auch wenn er sich damit außerhalb der Gewahrsamssphäre des Besitzherrn befindet. Außenstehende Dritte sind nicht immer in der Lage, die Nichtberechtigung des Besitzdieners ohne weiteres zu erkennen und daher schutzbedürftig.
Gefährdung des Rechtsverkehrs
Würde man die Veruntreuung einer Sache durch den Besitzdiener, welcher als solcher nicht erkennbar ist und sich dem Einfluss des Besitzherrn entzogen hat, unter § 935 I BGB subsumieren, würde dies den Geschäftsverkehr gefährden. Die Interessen des Eigentümers sind gerade nicht so schutzwürdig wie die des Rechtsverkehrs, denn er ist für das Risiko seiner Entscheidung und damit auch für ein etwaiges Fehlverhalten des von ihm beauftragten Besitzdieners selbst verantwortlich.
3. Ansicht - Weite Theorie des Nichtabhandenkommens
Gibt ein Besitzdiener ohne den Willen des Eigentümers eine Sache ab, ist sie dem Eigentümer auch dann nicht abhandengekommen, wenn der Besitzdiener als solcher nach außen erkennbar ist. 3
Argumente für diese Ansicht
Risiko des Eigentümers
Es mangelt bereits an einem triftigen Grund, warum der Eigentümer das Risiko einer Veruntreuung durch den Besitzdiener nicht tragen soll. Er geht bewusst das in der Person des Besitzmittlers liegende Loyalitätsrisiko ein, wenn er diesem die Sache überlässt.
Auch bei Erkennbarkeit des Besitzdieners kein Abhandenkommen
Selbst wenn der Besitzdiener in seiner vom Eigentümer abhängigen Stellung erkennbar war und er die Sache im Alleingewahrsam hatte, kann § 935 I BGB nicht angewandt werden. Es kann zwar zum Ausschluss der Gutgläubigkeit des Erwerbers führen, hat aber für die nachfolgenden Veräußerungsgeschäfte keine Bedeutung.
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