Wie wirkt sich das umstrittene Verhältnis von Mord und Totschlag bei Vorliegen von gekreuzten Mordmerkmalen auf Seiten des Teilnehmers aus?

Überblick

Vorliegend wird darum gestritten, welche Auswirkungen das unterschiedlich beurteilte Verhältnis von Mord und Totschlag hat, wenn der Haupttäter ein anderes besonderes persönliches Merkmal verwirklicht als der Teilnehmer (sog. gekreuzte Mordmerkmale).

Die Auffassungen und ihre Argumente

1. Ansicht - §§ 211, 212 StGB sind zwar eigenständige Tatbestände, sodass hinsichtlich der Strafbarkeit des Teilnehmers grundsätzlich § 28 I StGB Anwendung findet.

Dies gilt jedoch nicht, im Falle von gekreuzten Mordmerkmalen. Die Vergünstigung des § 28 I StGB, namentlich die Strafmilderung nach § 49 I StGB, soll entfallen, wenn der Teilnehmer zwar nicht das vom Haupttäter erfüllt Mordmerkmal, aber ein anderes verwirklicht. Dabei muss sich der Teilnehmervorsatz trotzdem auch auf das durch den Täter verwirklichte Mordmerkmal erstrecken.1

Argumente für diese Ansicht

Kein „fehlen“ iSd. § 28 I StGB

Es wird vor allem argumentiert, dass dann, wenn der Teilnehmer eigens ein Mordmerkmal verwirklicht, dann nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass ein solches „fehlt“, nur weil es nicht das gleiche ist, welches vom Haupttäter erfüllt wird.2


Argumente gegen diese Ansicht

Wortlaut des § 28 I StGB

Dagegen spricht allerdings bereits der Wortlaut des § 28 I StGB, der nicht vom Fehlen eines Mordmerkmals generell spricht, sondern vom Fehlen gerade des Merkmals, das die Strafbarkeit des Haupttäters begründet.3

Verstoß gegen die Regeln der limitierten Akzessorietät

Die Rechtsprechung verschafft dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät durch seine Auffassung, dass §§ 211, 212 StGB jeweils eigenständige Tatbestände sind und der damit einhergehenden Konsequenz, dass auf den Teilnehmer § 28 I StGB Anwendung findet, gerade Geltung. Hängt doch die Strafbarkeit des Teilnehmers dem Grunde nach von der Tat des Haupttäters ab und kann der Höhe nach lediglich gemildert werden.
Mit der nun zu Grunde gelegten Ausnahme wird den Regeln der Akzessorietät jedoch widersprochen. Bei konsequenter Anwendung dieser Grundsätze würde das vom Täter verwirklichte Mordmerkmal beim Teilnehmer fehlen, gleichgültig, ob er seinerseits ein anderes Mordmerkmal erfüllt. Die Strafe müsste demnach gemildert werden.
Diese Umgangsweise erscheint daher wenig plausibel und inkonsequent.4

2. Ansicht - § 211 StGB ist als Qualifikation des § 212 StGB anzusehen, weswegen bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Teilnehmer § 28 II StGB Anwendung findet.5

Nach dieser Auffassung kommt es zu keinen Komplikationen bei Vorliegen gekreuzter Mordmerkmale, da gemäß § 28 II StGB allein danach gefragt wird, ob ein die Strafbarkeit schärfendes Mordmerkmal (generell) bei dem Beteiligten vorliegt. Welches Mordmerkmal der Haupttäter und welches der Teilnehmer konkret verwirklicht, ist unerheblich.

Argumente für diese Ansicht

Zu den Argumenten für die generelle Einordnung des § 211 als Qualifikation des § 212 StGB vgl. bereits den vorigen Meinungsstreit über das Verhältnis der beiden Normen

Konsequente Anwendung

Zudem beansprucht diese Auffassung für sich ein stringente und konsequente Anwendung des § 28 II StGB vorweisen zu können, die auf keine Ausnahmetatbestände zurück greifen muss.


Argumente gegen diese Ansicht

Zur generellen Kritik dieses Ansatzes vgl. abermals den vorigen Meinungsstreit

  • 1. BGH NJW 05, 996 (997).; BGHSt 23, 39 (40)
  • 2.
  • 3. IdS.: Kindhäuser, LPK-StGB, § 211, Rn. 47, Aufl. 6.; Rengier, BT II, § 5, Rn. 11, Aufl. 13.
  • 4. Kindhäuser,LPK-StGB, § 211, Rn. 47, Aufl. 6.; Rengier, BT II, § 5, Rn. 11, Aufl. 13.
  • 5. Lackner/Kühl, StGB, Vor § 211, Rn. 22, Aufl. 28.; Rengier, BT II, § 14, Rn. 1ff., Aufl. 13.; m.w.N.: Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 211, Rn. 8ff., Aufl. 6.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen, StGB, Vor §§ 211ff., Rn. 8, Aufl. 2.; Fischer, StGB, Vor § 211, Rn. 2, Aufl. 61.; Wessels/Hettinger, BT I, § 2, Rn. 70, Aufl. 34.

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