Unter welchen Voraussetzungen liegt im Rahmen der Notwehr nach § 32 StGB ein Angriff durch Unterlassen vor?

Überblick

Geht man mit der wohl überwiegenden Ansicht davon aus, dass der Angriff iSd. § 32 StGB auch durch ein Unterlassen vorgenommen werden kann, stellt sich sodann die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solch strafbares Unterlassen vorliegt. Grundsätzlich kann ein Unterlassen nur dann eine strafbare Rechtsfolge auslösen, soweit dem Täter eine entsprechende Rechtspflicht zum Handeln oblag. Von diesem Ausgangspunkt aus wird darum gestritten, ob diese Rechtspflicht allein dann begründet ist, wenn eine Garantenstellung iSd. § 13 StGB vorliegt, oder bereits dann, wenn den Täter die allgemeine Handlungspflicht nach § 323c StGB trifft.

Die Ansichten und ihre Argumente

Auch die allgemeine Handlungspflicht aus § 323c StGB begründet eine Rechtspflicht zum Handeln, ihr Unterlassen mithin einen „Angriff“ iSd § 32 StGB.1

Argumente für diese Ansicht

Angriffscharakter

Auch die allgemeine Handlungspflicht aus § 323c StGB soll das Opfer vor Verletzungen schützen, sodass das Unterlassen der gebotenen und zumutbaren Handlung – ebenso wie bei § 13 StGB – den für die Notwehr erforderlichen „Angriffscharakter“ begründet.2

Allein das Unterlassen der aufgrund einer Garantenstellung nach § 13 StGB gebotenen und zumutbaren Handlung, kann einen „Angriff“ durch Unterlassen und mithin eine Notwehrsituation nach § 32 StGB begründen.3

Argumente für diese Ansicht

Die Handlungspflichten des Garanten einerseits, und des nach § 323c StGB Pflichtigen andererseits, können nicht auf eine Stufe gestellt werden.

Bereits der geringe Strafrahmen des § 323c StGB zeigt, dass die strafbewehrten Handlungspflichten des Garanten nicht auf eine Stufe mit der allgemeinen Hilfeleistungspflicht gestellt werden können. Vor allem wäre eine gegenüber einem bloß gemäß § 323c StGB zur Hilfeleistung Verpflichteten die Zubilligung der weitreichenden Notwehrbefugnisse unangemessen.4

Der Pflichtige nach § 323c StGB hat den Erfolgseintritt nicht zu verantworten.

Zwar mag sein, dass § 323c StGB dem Schutz der Rechtsgüter des Opfers dient. Im Gegensatz zu den unechten Unterlassungsdelikten iSv. § 13 StGB hat der Betroffene, also der Pflichtige, den Erfolgseintritt im Rahmen des § 323c StGB aber gerade nicht zu verantworten, als wenn er ihn aktiv herbeigeführt hätte.5


Argumente gegen diese Ansicht

Der Hinweis auf den geringen Strafrahmen des § 323c StGB überzeugt nicht.

Dieser Gesichtspunkt wäre nur dann von Relevanz, wenn die Notwehrbefugnisse von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen abhingen. Im Rahmen des § 32 StGB kommt es im Ausgangspunk aber gerade nicht darauf an; denn § 32 StGB behandelten alle Pflichtverstöße durch das Merkmal der Rechtswidrigkeit des Angriffs als formal gleichwertig.6

Der Hinweis darauf, dass der Pflichtige aus § 323c StGB nicht für das Ausbleiben des Erfolges einstehen muss, überzeugt nicht.

Darauf, ob die Nichterfüllung der Hilfspflicht von einem Erfolgsverletzungsdelikt oder nur einem Untätigkeitsdelikt erfasst wird, kann es im Rahmen der zwangsweisen Durchsetzung der Pflichterfüllung nicht ankommen. Entscheidend ist, dass der Angreifer die Vornahme einer zur Gefahrenbeseitigung geeigneten Handlung schuldet und dieser Pflicht nicht nachkommt.7

  • 1. LK/Rönau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 101ff., Aufl. 12.; Kühl, AT, § 7, Rn. 29ff., Aufl. 7.
  • 2. Insoweit zumindest anerkennend: Rengier, AT, § 18, Rn. 17, Aufl. 7.; Kühl, AT, § 7, Rn. 29ff., Aufl. 7.
  • 3. MüKo/Erb, § 32, Rn. 70, Aufl. 2.; Rengier, AT, § 18, Rn. 17. Aufl. 7.
  • 4. Rengier, AT, § 18, Rn. 17. Aufl. 7.; idS.: MüKo/Erb, § 32, Rn. 70, Aufl. 2.
  • 5. MüKo/Erb, § 32, Rn. 70, Aufl. 2.
  • 6. LK/Rönau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 103, Aufl. 12.
  • 7. LK/Rönau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 103, Aufl. 12.

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