Kann der Einsatz von Schusswaffen im Rahmen des § 127 I 1 StPO gerechtfertigt sein?

Überblick

Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen des § 127 I 1 StPO alle Mittel gestattet sind, die zwangsläufig mit der Festnahme verbunden sind, so z.B. auch leichte körperliche Misshandlungen nach § 223 StGB. Umstritten ist aber, ob auch schwerer wiegende körperliche Beeinträchtigungen oder gar Lebensgefährdungen von § 127 I 1 StPO gedeckt sind. Im Mittelpunkt der Diskussion steht vor allem der Einsatz von Schusswaffen, um den vermeintlichen Täter von der Flucht abzuhalten.

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht

Über leichte körperliche Misshandlungen hinaus, die mit der Festnahme zwangsläufig verbunden sind, sind schwerer wiegende Beeinträchtigungen von Leib und Leben nicht gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Tat.1

Argumente für diese Ansicht

Missachtung rechtsstaatlicher Grenzen

Würde man weitergehende Beeinträchtigungen von Leib und Leben im Rahmen des § 127 I 1 StPO für gerechtfertigt erachten, würde man damit rechtsstaatliche Grenzen, die das Reichsgericht jahrzehntelang eingehalten hat, einreißen.2

Umgehung des § 32 StGB

Andernfalls würde man die bei Privatpersonen beachtlichen Voraussetzungen des § 32 StGB (bei Dauergefahr diejenigen des § 34 StGB) unterlaufen.3

Staatliches Gewaltmonopol wird durchbrochen

Eine derartig enge Auslegung der einzusetzenden Mittel im Rahmen des § 127 I 1 StPO ist bereits deshalb zwingend erforderlich, weil die Norm eine ausdrückliche Durchbrechung des sonst geltenden staatlichen Gewaltmonopols ausnahmsweise zulässt.4 Daher sind allenfalls Warnschüsse legitim.

2. Ansicht

Ausnahmsweise können z.B. direkte Schüsse auf den flüchtigen Täter gerechtfertigt sein.5

Argumente für diese Ansicht

Schwere der Straftat

Es ist davon auszugehen, dass für das angemessene Verhältnis, in dem das angewendete Mittel zum Festnahmezweck stehen soll, auch die Schwere der vom Täter verübten Rechtsgutsverletzung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Daher ist die Durchbrechung des Grundsatzes, dass das Recht zur vorläufigen Festnahme durch Private die Abgabe von Schüssen auf einen fliehenden Täter nicht gestattet, denkbar. 6

  • 1. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 16f., Aufl. 7.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 15, Aufl. 57.
  • 2. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 3. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 4. Rengier, AT, § 22, Rn. 16, Aufl. 7.
  • 5. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).
  • 6. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).

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