Folgt man der Meinung, dass die actio libera in causa zulässig ist, bleibt die Frage, unter welchen Voraussetzungen?
Überblick
Bei der Rechtsfigur der vorsätzlichen actio libera in causa (a.l.i.c.) handelt es sich um Konstellationen, in denen der Täter den Zustand der Schuldunfähigkeit vorab frei, d.h. schuldhaft, herbeigeführt hat. Fraglich ist, inwieweit sich der Täter noch auf seine Schuldunfähigkeit berufen kann, wenn er diese vorsätzlich herbeigeführt hat, um dann in diesem schuldausschließenden Zustand eine Straftat zu begehen. Zu diesem Zwecke wurde die Rechtsfigur der a.l.i.c. konstruiert, die dem Täter im Ergebnis die Berufung auf seine vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit versagt.
Die Rechtsfigur besagt, dass derjenige, der eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begeht, diesen Zustand aber vorsätzlich herbeigeführt und dabei jene Tat bereits in seinen Vorsatz aufgenommen hat, wegen vorsätzlicher und schuldhafter Begehung der fraglichen rechtswidrigen Tat strafbar ist. Dabei muss der Vorsatz neben der geplanten Tat auch die Herbeiführung der Schuldunfähigkeit umfassen (Doppelvorsatz). 1
Umstritten ist zum einen, ob die Rechtsfigur generell zulässig oder im Ganzen abzulehnen ist. Zum anderen ist – wenn man von einer Zulässigkeit ausgeht – weiterhin fraglich, auf welche Begründung sich dieses Ergebnis stützen lässt.
Die Ansichten und ihre Argumente
1. Ansicht - Das Ausnahmemodell
Nach dieser Ansicht ist die a.l.i.c. eine Ausnahme vom Koinzidenzprinzip, nach dem die Schuld bei Begehung der Tat vorliegen muss. Die bei der Tatbegehung fehlende Schuld wird dann durch das schuldhafte Vorverhalten ausgeglichen. Sprich: Das Verschulden wird auf den Zeitpunkt zurückbezogen, in dem der Täter noch schuldfähig war, aber bereits den Vorsatz gefasst hatte, im Zustand der alkoholbedingten Schuldunfähigkeit die mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen.2
Argumente für diese Ansicht
Einklang mit Art 103 II GG
Dieser Weg entspricht auch der Verfassung und dem darin verankerten Gesetzlichkeitsprinzip. Eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat ist schuldhaft, wenn weder Schuldausschließungs- noch Entschuldigungsgründe greifen. § 20 StGB ist in den Fällen der a.l.i.c. nicht einschlägig. Dem Gesetzgeber der Strafrechtsreform von 1969, auf welche § 20 StGB zurückgeht, war die Figur der a.l.i.c. wohl bekannt; er wollte sie keineswegs abschaffen. Daher sollte § 20 StGB die a.l.i.c. von vornherein nicht tangieren und diese auch nicht in den Normbereich dieser Vorschrift fallen. Die Figur der vorsätzlichen a.l.i.c. beruht mithin auf einer restriktiven Auslegung des § 20 StGB.3
Gedanke des Rechtsmissbrauchs
Dem Täter kann die Tat ohne Verstoß gegen das Schuldprinzip vorgeworfen werden, da er sich gerade bewusst selbst bzw. schuldhaft seiner Steuerungsfähigkeit beraubt hat. 4
Argumente gegen diese Ansicht
Verstoß gegen Art. 103 II GG
Die vorgehende Ansicht begründet sehr wohl einen Verstoß gegen Art. 103 II GG, indem sie sich über den Wortlaut des § 20 StGB hinwegsetzt. Art. 103 II GG verbietet strafbarkeitsbegründendes Gewohnheitsrecht.5
2. Ansicht - Das Ausdehnungsmodell
Die Ansicht dehnt den Begriff der „Tat“ iSd. § 20 StGB aus, deren Grenzen nicht allein durch das Ende des Versuchs und die Vollendung markiert werden, sondern die auch das schuldhafte Vorverhalten einbezieht.6
Argumente für diese Ansicht
Anlehnung an §§ 17, 35 II StGB
Schuld wird wertend zugeschrieben und bestimmt sich nicht nach der inneren Einstellung des Täters zu seiner Tat. Eine solche Wertung lässt sich in ihrer Beurteilungsgrundlage aber nicht nur auf den Zeitpunkt der Tathandlung begrenzen. Dies wird vor allem bei § 17 StGB und § 35 II StGB deutlich, in denen das Vorverschulden des Irrenden in die Bewertung seines Handelns einbezogen wird, aber nicht notwendig durch das tatzeitlich innere Verhältnis des Täters zu seiner vorsätzlichen Tat geprägt wird. 7
Argumente gegen diese Ansicht
Terminologischer Trick
Dieser Auffassung wendet lediglich einen terminologischen Trick an, mit dem scheinbar die Koinzidenz von Tatbegehung und Schuld hergestellt werden soll.8
3. Ansicht - Das Tatbestandsmodell/Vorverlagerungstheorie9
Nach dieser Auffassung ist bereits das Sichberauschen im Zustand der Schuldfähigkeit tatbestandsrelevant, sodass dies bereits als Teil der Tatbegehung anzusehen ist. Auch setzt das Merkmal „bei Begehung der Tat“ nicht voraus, dass die Schuldfähigkeit während der gesamten Tat vorliegen muss. Es reicht aus, wenn der Täter zumindest bezüglich eines Teils der Tat schuldfähig ist. Der Täter, der sich vorsätzlich in den Zustand des § 20 StGB versetzt und dabei die spätere Begehung einer Vorsatztat im Visier hat, überschreitet dann schon vor dem Erreichen des Defektzustandes die Schwelle des § 22 StGB. 10
Argumente für diese Ansicht
Parallele zur mittelbaren Täterschaft
Der frühzeitige Versuchsbeginn wird damit begründet, dass der seine Schuldunfähigkeit bewusst herbeiführende Täter sich selbst als schuldlos handelndes Werkzeug zur Tatbegehung benutzt und es keinen Unterschied machen kann, ob er sich selbst oder einen schuldunfähigen Dritten als Werkzeug einsetzt.11
Koinzidenzprinzip nicht betroffen
Indem es bereits auf der Tatbestandsebene zu einer Vorverlagerung kommt, besteht bereits hinsichtlich des Vorverhaltens Koinzidenz von Tat und Schuld.12
Argumente gegen diese Ansicht
Wortlaut des § 25 I Var. 2 StGB
Der Vergleich mit der mittelbaren Täterschaft geht bereits deswegen fehl, weil § 25 I Var. 2 StGB die Begehung durch einen „anderen“ voraussetzt. Auch scheitert diese Begründung bei eigenhändigen Delikten. 13
- 1. AK-StGB/Mitsch, 3. Auflage 2020, § 212 Rn. 14.
- 2. LK-StGB/Verrel/Linke/Koranyi, 13. Auflage 2021, § 20 Rn. 198.
- 3. Rönnau, JuS 2010, 300 (301).
- 4. Schönke/Schröder/Perron/Weißer, StGB, 30. Auflage 2019, § 20 Rn. 35a.
- 5. BGHSt 42, 235.
- 6. LK-StGB/Verrel/Linke/Koranyi, 13. Auflage 2021, § 20 Rn. 200.
- 7. Rönnau, JuS 2010, 300 (301).
- 8. AK-StGB/Conen, 3. Auflage 2020, § 20 Rn. 104.
- 9. BGHSt 17, 333; LK-StGB/Verrel/Linke/Koranyi, 13. Auflage 2021, § 20 Rn. 198.
- 10. LK-StGB/Verrel/Linke/Koranyi, 13. Auflage 2021, § 20 Rn. 198.
- 11. Ambos, NJW 1997, 2296.
- 12. AK-StGB/Conen, 3. Auflage 2020, § 20 Rn. 102.
- 13. Ambos, NJW 1997, 2296.
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