Die Rede des Bundespräsidenten (angelehnt an: BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014, 2 BvE 4/13)
Sachverhalt
Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl nimmt der Bundespräsident A an einer Gesprächsrunde der B- Universität teil. Dabei hält er eine Rede zur Wichtigkeit von demokratischen Wahlen und versucht insbesondere die jungen Studenten zu mehr politischem Engagement zu motivieren.
Der Bundespräsident geht dabei auch kritisch auf die rechtspopulistische Partei AVD ein. A kritisiert jedoch, dass die Wahlplakate der AVD beschädigt werden würden und dies nicht der richtige Weg sei.
Weiterhin ergänzt A seine Rede mit den Worten:
„Ich finde es beschämend, dass in unserer Gesellschaft wieder der Rechtspopulismus einen Nährboden findet. Wir müssen geschlossen gegen die Hetze von Rechts vorgehen und weiterhin für eine offene Gesellschaft plädieren. Aber unsere Demokratie muss auch solche Meinungen zulassen und darf sie nicht verbieten. Das wäre ein fatales Signal und ist nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar. Aber zugleich brauchen wir Bürger, die entschieden gegen diese Hetzer auf den Straßen mit Demonstrationen vorgehen und zeigen, dass sie nicht willkommen sind. Niemand braucht diese Spinner. Lasst uns als freies Deutschland gegen diese rechten Spinner Geschlossenheit zeigen“
Die AVD ist entsetzt über diese Rede. Ihrer Ansicht nach wurden die Rechte der AVD verletzt. Der Bundespräsident müsse Neutralität zeigen und dürfe sich nicht in den politischen Wahlkampf einmischen. Solch eine Warnung vor einer Partei gehe entschieden zu weit und überschreite die Äußerungsrechte des Bundespräsidenten. Indem der Bundespräsident die Anhänger der AVD als „Spinner“ bezeichnete, hätte er bloße Schmähkritik üben wollen. Die Anhänger der AVD seien lediglich „besorgte Bürger“ und würden die Demokratie ohnehin besser verteidigen als die „Altparteien“.
Die AVD legt form und fristgerecht einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein und erbittet Rechtsschutz gegen die Aussagen des Bundespräsidenten.
Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg?
Die Fallhistorie
Die Entscheidung des zweiten Senats stammt vom 10. Juni 2014. Hintergrund war die Äußerung des Bundespräsidenten Joachim Gauck vor mehreren hundert Berufsschülern in Berlin, die sich gegen die NPD richtete. Aufgrund der politischen Brisanz, ist eine solche Konstellation auch in zukünftigen (Examens-) Klausuren denkbar.
Der Problemkreis
Staatsorganisationsrecht/ Organstreitigkeit/ Chancengleichheit bei Wahlen / Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG/ Repräsentationsfunktion des Bundespräsidenten
Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG
II. Verfahrensgegenstand, § 64 I BverfGG
III. Parteifähigkeit, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG
1. Antragsstellerin (AVD)
(P) anderer Beteiligter i.S.d Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG (+)
2. Antragsgegner ( BundesPrä) (+)
IV. Antragsbefugnis, § 64 I 1. Alt. BverfGG
V. Frist und Form, § 64 III BverfGG, § 23 BverfGG
VI. Zwischenergebnis (+)
B. Begründetheit Organstreitverfahren, § 67 BverfGG
I. Verletzung von Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG (Chancengleichheit bei Wahlen)
1. Anforderungen an die Chancengleichheit während Wahlen
2. Verfassungsrechtliche Ermächtigung für die Äußerungen des Bundespräsidenten
a) Ausdrücklich durch GG (-)
b) Repräsentations- und Integrationsfunktion des Bundespräsidenten(+)
(P) Neutralitätspflicht und angemessene Distanz
(P) Grenze zur unzulässigen Einwirkung auf politischen Wahlkampf
(P) „Spinner“ als Schmähkritik?
c) Zwischenergebnis
Äußerungen des Bundespräsidenten vom Grundgesetz gedeckt.
II. Zwischenergebnis zu B
Antrag unbegründet.
C. Endergebnis
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Gutachten
Der Antrag der AVD - Partei hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BverfGG.
II. Verfahrensgegenstand, § 64 I BverfGG
Es müsste ein tauglicher Verfahrensgegenstand vorliegen. Dies ist gem. § 64 I BverfGG jede rechtserhebliche Maßnahme des Antragsgegners, die geeignet ist die Rechtsstellung des Antragsstellers zu beeinträchtigen.
Hier äußerte sich der Bundespräsident A kritisch gegenüber der AVD - Partei. Diese Äußerungen waren so formuliert, dass sie geeignet waren, die Rechtsstellung der AVD als Partei im aktuellen Wahlkampf zu beeinträchtigen. Damit liegt der Verfahrensgegenstand vor.
III. Parteifähigkeit, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG
Im Rahmen des kontradiktorischen Verfahrens müssten sowohl der Antragssteller, als auch der Antragsgegner parteifähig sein gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BverfGG.
1. Antragsstellerin (AVD)
Die AVD müsste als Antragsstellerin parteifähig sein. Eine Parteifähigkeit nach § 63 BverfGG scheidet aus, da die AVD als Partei kein Organteil ist. Die AVD könnte jedoch ein „anderer Beteiligter“ i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sein. Dies ist der Fall, soweit die AVD als Partei mit anderen Verfassungsorganen um Rechte aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status streitet. Hier streitet sich die AVD mit dem Bundespräsidenten über ihre Rechte aus Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG. Damit ist sie parteifähig.
2. Antragsgegner ( BundesPräsident)
Der Bundespräsident A ist als Antragsgegner gem. § 63 BverfGG ausdrücklich parteifähig.
IV. Antragsbefugnis, § 64 I 1. Alt. BverfGG
Die AVD müsste gem. § 64 I 1. Alt. BverfGG auch antragsbefugt sein. Es müsste die Möglichkeit der Verletzung von Organrechten bestehen. Hier erscheint es zumindest möglich, dass die AVD in Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG verletzt ist, sodass sie auch antragsbefugt ist.
V. Frist und Form, § 64 III BverfGG, § 23 BverfGG
Ausweislich des Sachverhalts ist von der Einhaltung der sechsmonats- Frist und der Form auszugehen.
VI. Zwischenergebnis
Der Antrag ist damit zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag müsste auch begründet sein. Dies ist der Fall, wenn die rechtserhebliche Maßnahme gegen das Grundgesetz verstößt und die Antragsstellerin in ihren Rechten verletzt, vgl. § 67 BverfGG.
I. Verletzung von Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG
Es könnte eine Verletzung von Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG vorliegen (Chancengleichheit bei Wahlen).
1. Anforderungen an die Chancengleichheit während Wahlen
Fraglich ist, welche Anforderungen an die Chancengleichheit während der Wahlen gestellt werden. Die Chancengleichheit der Parteien während des politischen Wahlkampfs ergibt sich aus dem Gedanken des Art. 21 I GG, dass Parteien als wesentliches Element der demokratischen Grundordnung maßgeblich zur politischen Willensbildung beitragen sollen. Um dies zu verwirklichen, dürfen die Parteien keinem politischen Einfluss von Staatsorganen ausgesetzt sein. Insbesondere darf in den Willensprozess nicht durch negative und positive Werturteile oder sonstige Kampagnen eingegriffen werden.
2. Verfassungsrechtliche Ermächtigung für die Äußerungen des Bundespräsidenten
Daher ist fraglich, ob der Bundespräsident überhaupt ermächtigt war solche Äußerungen vorzutragen.
a) Ausdrücklich durch Grundgesetz
Es könnte an eine ausdrückliche Ermächtigung durch das Grundgesetz gedacht werden. Insoweit könnte der Amtseid aus Art. 56 GG eine ausdrückliche Ermächtigung enthalten. Dagegen lässt sich jedoch hervorbringen, dass der Amtseid keine ausdrückliche Ermächtigung für Äußerungen enthält. Er formuliert vielmehr abstrakt den Eid des Bundespräsidenten, seine „Kraft dem Wohle des Deutschen Volkes zu widmen.“ Eine ausdrückliche Ermächtigung liegt nicht vor.
b) Repräsentations- und Integrationsfunktion des Bundespräsidenten
Eine Ermächtigung könnte sich allerdings aus der Repräsentations- und Integrationsfunktion des Bundespräsidenten ergeben. Die Repräsentationsfunktion ergibt sich aus Art. 59 GG und beinhaltet die Funktion, den Staat nach außen hin zu repräsentieren. Dies geschieht beispielsweise durch regelmäßige Auslandsbesuche, den öffentlichen Empfang von Staatsgästen, Eröffnungszeremonien oder durch Halten von Reden zu Anlässen von bedeutendem öffentlichem Interesse. Durch die Integrationsfunktion bekundet der Bundespräsident den staatlichen Willen nach außen, der sich aus einer Vielzahl politischer Meinungen bildet.
Auch hier hat der Bundespräsident in seiner Rolle als solcher eine Rede gehalten. Problematisch ist allerdings, inwieweit er sich im Rahmen seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion gehalten hat und ob die Grenze zur unzulässigen Einwirkungen auf den politischen Wahlkampf überschritten wurde. Die AVD bringt vor, der Bundespräsident hätte sich durch die kritische Äußerung nicht neutral verhalten. Dies könnte zu einer Beeinflussung von schwankenden Wählern führen. Der Bundespräsident muss jedoch eine angemessene Distanz zu politischen Parteien halten und ist zu einer gewissen Neutralität verpflichtet. Freilich muss dem Bundespräsidenten jedoch als höchstes Staatsorgan ein gewisser Spielraum erhalten bleiben. Anderenfalls würde er sonst erheblich eingeschränkt werden vor seinen Reden und müsste vor jeder Äußerung umfassend abwägen, ob seine Äußerung komplett wertneutral gegenüber einer Partei ist. Dies würde jedoch eine zu große Einschränkung bedeuten. Daher ist es interessengerechter solche Äußerungen nur auf evidente Vernachlässigungen der Repräsentations- und Integritätsfunktion zu überprüfen.
Gegen solch eine evidente Vernachlässigung spricht vorliegend jedoch, dass der Bundespräsident seine Äußerungen nicht alleine gegen Anhänger der AVD richtete, sondern gegen all jene, die die demokratische Grundordnung ablehnen und den Rechtspopulismus verherrlichen.
Aus der Aussage wurde nicht explizit deutlich, dass sie motiviert war um primär die AVD als politische Partei zu verurteilen. Der Bundespräsident wies im Gegenteil daraufhin, dass eine Demokratie auch solche Meinungen aushalten muss.
Fraglich ist allerdings, ob der Bundespräsident durch die Äußerung „Spinner“ die Linie der sachlichen Auseinandersetzung verlassen hat und nur Schmähkritik ausüben wollte.
Da der Bundespräsident in seiner Funktion als solcher die Rede gehalten hat und nicht als Privatmann, kann er sich nicht auf Grundrechte und damit nicht auf Art.5 I GG berufen (Konfusionsargument). Seine Äußerung muss jedoch im Gesamtkontext betrachtet werden, um eine Abgrenzung von noch zulässiger Auseinandersetzung und unzulässiger Schmähkritik vorzunehmen. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass aufgrund der aktuellen politischen Brisanz auch eine überspitzte Wortwahl hinzunehmen ist.
Seine Äußerung „Spinner“ kann insoweit nur eine Verletzung von Art. 21 I GG bedeuten, wenn sie primär nicht dem Gemeinwohl verpflichtet war, sondern nur darauf abzielen sollte die AVD als Partei auszugrenzen und als solche zu diffamieren.
Die Aussage geschah insoweit im Kontext, dass Bundespräsident A in seiner Rede die Wichtigkeit der Demokratie betonte und all diejenigen kritisierte, die gegen eine solche Demokratie sind und ein freies und weltoffenes Deutschland ablehnen. Im Laufe seiner Rede wird nicht deutlich, dass A primär nur die AVD zum Ziel der Kritik hatte. Ein solcher Hinweis auf Missstände in der Gesellschaft und Kritik am sozialen Miteinander sind daher von der Befugnis, die sich aus der Repräsentations- und Integrationsfunktion ergibt, gedeckt.
c) Zwischenergebnis zu 2.
Damit war A verfassungsrechtlich ermächtigt sich in dieser Form zu äußern. Damit verstößt die Äußerung auch nicht gegen Art. 21 I i.V.m Art. 38 I GG. Die AVD ist nicht in ihren Rechten verletzt.
II. Zwischenergebnis zu B
Damit ist der Antrag unbegründet.
C. Endergebnis
Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet. Er hat daher keine Aussicht auf Erfolg
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Vielen Dank für die Zusendung dieses Falls an (Dipl.iur.) Sinan Akcakaya!
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