Welche Reichweite hat die Vermutungswirkung von § 477 BGB?

Überblick

Eine insbesondere früher sowohl für die Theorie als auch für die Praxis relevante Streitigkeit ist die Thematik rund um die Regelung der Beweislastumkehr des § 477 BGB. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Frage dem EuGH vorgelegt wurde, der im Jahr 2015 eine Entscheidung entgegen der Ansicht des BGH traf.

Die Meinungen und ihre Argumente

1. Ansicht - Vermutung in rein zeitlicher Hinsicht1

Nach früherer Ansicht des BGH galt nur eine rein zeitliche Vermutungswirkung, sodass der vom Verkäufer zu beweisende Mangel (dh der Umstand, der zur Zeit des Gefahrübergangs einen Sachmangel darstellen würde) als bei Gefahrübergang vorhanden galt. Das Vorliegen des Mangels selbst war nicht Gegenstand der Vermutung. Trat dieser unstreitig erst nach Gefahrübergang auf, war die Vermutung widerlegt.

Argumente für diese Ansicht

Auslegung des Art. 5 III Verbrauchsgüterkaufrichtlinie

Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie will auch nur eine rein zeitliche Vermutung gelten lassen. Dafür spricht insbesondere, dass dieser unter der Überschrift „Fristen“ zu finden ist, sowie seine Formulierung: „vermutet, dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden“.


Argumente gegen diese Ansicht

Richtlinie muss erst umgesetzt werden

Selbst wenn man diese Auslegung der Richtlinie bevorzugt, so regelt sie doch nur ein Mindestmaß, welches der nationale Gesetzgeber umzusetzen hat. Dabei steht es ihm frei, eine Regelung zu treffen, die über dieses Maß hinausgeht. Dies ist hier geschehen.

2. Ansicht - Über zeitliche Komponente hinausgehende Vermutung2

Die Gegenauffassung vertritt die Ansicht, dass § 477 BGB nicht nur eine Vermutung in zeitlicher Hinsicht aufstellt, sondern auch, dass ein behaupteter bzw. nachweislich erst nach Gefahrübergang entstandener Sachmangel auf einem anderen, bereits bei Gefahrübergang vorhandenen sog. Grundmangel beruht. Diese Interpretation geht damit weiter als die rein zeitliche Komponente.

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut des § 477 BGB

Der Wortlaut des § 477 BGB spricht dafür, dass der Gesetzgeber eine über die Richtlinie hinausgehende Vermutungswirkung regeln wollte. Die Norm ist so formuliert, dass „ein von den Anforderungen nach § 434 oder § 475b BGB abweichender Zustand der Ware“, also „irgendein“ Mangel, bei Gefahrübergang vorlag. Damit ist ein möglicher Grundmangel gemeint, der sich innerhalb von 6 Monaten zeigt und auf den Zeitpunkt des Gefahrenübergangs zurückdatiert werden kann.

Wille des Gesetzgebers und rechtspolitische Rechtfertigung

Auch in der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass der Käufer schutzbedürftig ist, da ihm erst nach Übergabe der Sache eine Untersuchung auf Mängel möglich ist.3Damit hat der Verbraucher im Vergleich zum Unternehmer schlechtere Beweis- und Erkenntnismöglichkeiten. Die Vorschrift des § 477 BGB würde dem Verbraucher wenig helfen, wenn er auch den Grundmangel nachweisen müsste.

  • 1. BGH, NJW 2004, 2299 ff.; MüKoBGB/Lorenz, 8. Auflage 2018, § 477 Rn. 5.
  • 2. EuGH, NJW 2015, 2237.; Lorenz, NJW 2004, 3020; BGH vom 10.11.2021 VIII ZR 187/20.
  • 3. Vgl. BT- Drs. 14/6040, S. 245; MüKoBGB/Lorenz, 8. Auflage 2018, § 477 Rn. 5.

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