Wann wird die Notwehrlage „schuldhaft“ provoziert?

Überblick

Aufgrund der Schärfe des Notwehrrechts bedarf dieses in bestimmt Situationen einer normativen Einschränkung, die unter dem Stichpunkt der Gebotenheit abzuhandeln ist. Innerhalb der Lehre und Rechtsprechung hat sich eine gewisse Kasuistik herausgebildet, wobei in allen Fallgruppen der gleiche Grundgedanke wurzelt: Der Angegriffene soll in gewissen Situationen nicht unverzüglich von der gewöhnlich gerechtfertigten Trutzwehr ausgehend handeln, sondern in drei Stufen namentlich Ausweichen, Schutzwehr und sodann Trutzwehr vorgehen.
Es besteht Einigkeit darüber, dass eine vorangegangene schuldhafte Provokation der Notwehrlage durch das spätere, sich wehrende Opfer, eine solche Einschränkung begründet. Allerdings ist umstritten, nach welchen Kriterien sich die Schuldhaftigkeit der Provokation bemisst.

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht

Nur ein rechtswidriges Vorverhalten begründet eine schuldhafte Provokation, die zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führt.1 Dazu gehören vor allem gegen den späteren Angreifer gerichtete Straftaten, von denen keine gegenwärtige Angriffe ausgehen, sowie andere Verhaltensweisen, die objektiv sorgfaltspflichtwidrig sind.2

Argumente für diese Ansicht

Ausufernde Einschränkungen des Notwehrrechts.

Würde man unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit auch sozialethisch zu missbilligendes Verhalten für eine schuldhafte Provokation ausreichen lassen (so M2), würde die Gefahr bestehen, alle irgendwie störende Verhaltensweisen als hinreichend provozierend einzustufen und damit eine weitgehende Einschränkung des Notwehrrechts in Kauf zu nehmen.3

Parallel zur Absichtsprovokation

Bereits bei der Absichtsprovokation führt lediglich ein rechtswidriges Vorverhalten zu einer Einschränkung des Notwehrrechts. Dies muss dann erst recht für die Fälle der schuldhaften Notwehrprovokation gelten, bei denen der Notwehrübende die Notwehrlage zuvor nur vorsätzlich oder bewusst fahrlässig provoziert hat.4

Erhebliche Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit.

Die allgemeine Handlungsfreiheit würde in einem nicht mehr hinnehmbaren Maß beeinträchtigt werden,wenn ein rechtmäßiges Verhalten allein wegen seines Provokationspotentials zum Anlass für Einschränkungen des Notwehrrechts genommen würde.5

2. Ansicht

Bereits ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten begründet eine schuldhafte Provokation, die zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führt.6 Gemeint sind vor allem Hänseleien, Anspielungen und Belästigungen außerhalb des strafbaren Rahmens.

Argumente für diese Ansicht

Das schneidige Notwehrrecht darf nicht zu weit reichen.

Wer einen Angriff vorwerfbar verursacht hat, dem ist eine Flucht ebenso zuzumuten wie leichte Beeinträchtigungen seiner körperlichen Integrität, wenn diese nur durch eine schwerwiegende Verletzung oder gar Tötung des Angreifers abgewendet werden können.7

  • 1. MüKo/Erb, StGB, § 32, Rn. 234, Aufl. 2.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32, Rn. 59, Aufl. 29.; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 255, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 18, Rn. 78, Aufl. 7.
  • 2. Rengier, AT, § 18, Rn. 75, Aufl. 7.
  • 3. Rengier, AT, § 18, Rn. 78, Aufl. 7.
  • 4. LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 255, Aufl. 12.
  • 5. LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32, Rn. 255, Aufl. 12.
  • 6. BGHSt 42, 97.; Heinrich, AT, Rn. 379f., Aufl. 4.
  • 7. Heinrich, AT, Rn. 380, Aufl. 4.

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