Erfasst § 33 StGB nur den intensiven oder auch den extensiven Notwehrexzess?

Überblick

Gemäß § 33 StGB wird der Täter nicht bestraft, wenn er die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet (Notwehrexzess). Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang der intensive und der extensive Notwehrexzess, wobei strittig ist, ob auch letzterer von § 33 StGB erfasst wird. Der intensive Notwehrexzess bezeichnet die Situation, in der der Täter das angegriffene Rechtsgut zu intensiv verteidigt und damit mehr tut, als im Rahmen des § 32 StGB erforderlich oder geboten ist. Kurzum: Der Täter überschreitet die Grenzen der Erforderlichkeit und/oder der Gebotenheit.
Bei dem extensiven Notwehrexzess hingegen, hält sich der Täter nicht an die zeitlichen Grenzen der Gegenwärtigkeit des rechtswidrigen Angriffs iSd. § 32 StGB. Der Täter verteidigt sich also zeitlich schon vor dem Eintritt der Notwehrlage oder erst nach ihrer Beendigung (vorzeitiger bzw. nachzeitiger Notwehrexzess).

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht - Der extensive Notwehrexzess wird von § 33 StGB nicht erfasst.1

Argumente für diese Ansicht

Rechtsprechung zu § 53 III StGB a.F.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung (NJW 62, 308 (309)) für die § 33 StGB im wesentlichen entsprechende Regelung des § 53 III StGB a.F. ausgesprochen, dass eine Strafbefreiung nach dieser Vorschrift ihrem Wesen nach nur ein schuldhaftes Handeln umfassen kann, das ausschließlich mit der unmittelbaren Abwehr des Angriffs zusammenhängt. Die Vorschrift dürfe nicht zur Ausräumung eines vorwerfbaren Verhaltens herangezogen werden, das bereits vor dem Eintritt der Notwehrlage eingesetzt habe.2

Es liegt bereits keine Notwehr vor.

Bei fehlender Gegenwärtigkeit des Angriffs liegt schon keine Notwehr vor, deren Grenze überschritten werden könnte.3

2. Ansicht - Sowohl der nachzeitige als auch der vorzeitige Notwehrexzess werden von § 33 StGB erfasst.4

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut des § 33 StGB

Eine Einschränkung auf den intensiven Notwehrexzess ergibt sich schon nicht aus dem Wortlaut des § 33 StGB. Die „Grenzen“ der Notwehr können begrifflich auch in zeitlicher Hinsicht überschritten werden, indem der Täter zu einem Zeitpunkt handelt, in dem ein bevorstehender bzw. bereits abgeschlossener Angriff noch nicht bzw. nicht mehr gegenwärtig ist.5

Kein sachlicher Unterschied, aus welchen Gründen der Täter die Notwehr überschreitet.

Ob der Täter die Grenzen einer rechtmäßigen Verteidigung in Intensität oder in zeitlicher Hinsicht überschreitet, macht grundsätzlich keinen Unterschied. Einerseits gilt dies in Bezug auf Schuldgesichtspunkte, weil die durch den Affekt bedingte Erschwerung einer normgemäßen Willensbildung in beiden Fällen die gleiche sein kann. Andererseits gilt dies auch bezüglich Unrechtsgesichtspunkten, weil das Unrecht auch gemindert sein kann, wenn der Täter bei einem tatsächlich bevorstehenden Angriff einen Augenblick zu früh losschlägt, oder wenn der nachträgliche Exzess in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der vorausgegangenen Verteidigung steht und sich beide, wäre nicht die im Wegfall der Rechtfertigung liegende Zäsur, als eine Bewertungseinheit darstellen würden.6

Die Unrechtsminderung und der Wegfall präventiver Schutzbedürfnisse liegen sowohl bei einem intensiven als auch bei einem extensiven Notwehrexzess vor.

Die Unrechtsminderung, die für § 33 StGB charakteristisch ist, sowie der Wegfall präventiver Schutzbedürfnisse, können bei einem extensiven Notwehrexzess ebenso wenig geleugnet werden, wie bei einem intensiven Exzess. Auch bei der zeitlichen Überschreitung der Grenze von § 32 StGB richtet sich die Tat gegen einen Angreifer, der die Situation aufgrund seines rechtswidrigen Verhaltens selbst zu vertreten hat, mag der eigentliche Bruch des Rechtsfriedens auch erst bevorstehen oder schon abgeschlossen sein.7

3. Ansicht - Nur der nachzeitige Notwehrexzess wird von § 33 StGB erfasst.8

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut.

Im Falle des vorzeitigen Notwehrexzesses greift der Einwand des Wortlauts des § 33 StGB durch, der ein Überschreiten der „Grenzen der Notwehr“ voraussetzt. Bei einem vorzeitigen Notwehrexzess würde es allerdings erst gar nicht zu einer Notwehrlage kommen, sodass auch keine Grenzen der Notwehr überschritten werden können.9

Enger zeitlicher Zusammenhang

Ansonsten spricht für die Einbeziehung des nachzeitigen Notwehrexzesses, dass mit der vorangegangenen Notwehrlage noch ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Von einem „Überschreiten“ der Notwehrgrenzen kann auch gesprochen werden, wenn sich das angegriffene Opfer gegen den Angreifer erst unmittelbar nach dem beendeten Angriff verteidigt. 10

  • 1. BGHSt 39, 133 (138f.); Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 33 Rn. 5.
  • 2. BGHSt 39, 133 (139).
  • 3. LK-StGB/Zieschang, 13. Auflage 2019, § 33 Rn. 13.
  • 4. Schönke/Schröder/Perron/Eisele, StGB, 30. Auflage 2019, § 33 Rn. 7.
  • 5. Schönke/Schröder/Perron/Eisele, StGB, 30. Auflage 2019, § 33 Rn. 7.
  • 6. Schönke/Schröder/Perron/Eisele, StGB, 30. Auflage 2019, § 33 Rn. 7.
  • 7. Schönke/Schröder/Perron/Eisele, StGB, 30. Auflage 2019, § 33 Rn. 7.
  • 8. LK-StGB/Zieschang, 13. Auflage 2019, § 33 Rn. 9.
  • 9. LK-StGB/Zieschang, 13. Auflage 2019, § 33 Rn. 14.
  • 10. LK-StGB/Zieschang, 13. Auflage 2019, § 33 Rn 9, 11.

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