Der „Playboyheft- Fall“(OLG Hamm 5 RVs 56/13)
Sachverhalt
A begab sich in einen nahe gelegenen Supermarkt. A wusste, dass dort Selbstbedienungskassen stehen. Zielgerichtet ging A zum Zeitschriftenregal und entnahm dort die neueste Ausgabe des „Playboy“. Auf diesem stand ein Preis von 6,90 €. Da A diesen Preis nicht zahlen wollte, hielt er einen mitgebrachten „Barcode“ an die Selbstbedienungskasse, den er zuvor aus einer „WAZ- Zeitschrift“, die ihm gehörte, ausschnitt. Die Kasse zeigte daraufhin einen Preis von 1,20 € an, die der A sodann bezahlte.
Als A den Supermarkt verließ, wurde er von einem hauseigenen Detektiv angehalten.
Wie hat sich A nach dem StGB strafbar gemacht?
Bearbeitervermerk: Erforderliche Strafanträge wurden gestellt.
Die Fallhistorie
Der vorliegende Fall wurde am 08.08. 2013 vom OLG Hamm entschieden.
Der Problemkreis
Der Fall weist Ähnlichkeiten zu den „Selbstbedienungskassen- Fällen“ und „Tankstellen- Fällen“ auf. Insbesondere ist die Abgrenzung des (Computer-) Betrugs vom Diebstahl vorzunehmen. Im weiteren Verlauf ist zu erörtern, ob die Voraussetzungen des § 263a I StGB überhaupt vorliegen. Dabei ist die Kenntnis der Definitionen zwingend erforderlich. Auch an Urkundsdelikte ist zu denken. Hier ergibt sich nämlich die Besonderheit, dass der Barcode des Playboyheftes nicht „überklebt“ wurde.
Lösungsskizze
A. Strafbarkeit nach § 263 I StGB (-)C. Strafbarkeit nach § 242 I StGB
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Gutachten
A. Strafbarkeit nach § 263 I StGBA könnte sich durch das Scannen des WAZ- Barcodes zunächst wegen Betruges nach § 263 I StGB strafbar gemacht haben. Dafür müsste A jedoch einen Menschen getäuscht haben. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, da A den Barcode an einer Selbstbedienungskasse eingescannt hat.
B. Strafbarkeit nach § 263a I StGB durch Scannen des WAZ- Barcodes
A könnte sich durch das Scannen des WAZ- Barcodes und der Mitnahme des Playboyheftes gem. § 263 a StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Zunächst müsste der objektive Tatbestand erfüllt sein.
a) Tathandlung
A müsste eine Tathandlung iSd § 263 a StGB erfüllt haben.
aa) Unrichtiges Gestalten des Programms (Var.1)
Es kommt zunächst das unrichtige Gestalten eines Programms in Betracht. Ein Programm ist eine durch Daten fixierte Arbeitsanweisung an den Computer. Daten sind codierte Informationen. Unrichtig ist die Programmgestaltung, wenn die Arbeitsanweisung auf betrugsrelevante Tatsachen bezogen ist und wenn sie bewirkt, dass die Daten zu einem Ergebnis bearbeitet werden, das objektiv unrichtig ist.
Dies setzt voraus, dass auf das Programm der Gestalt eingewirkt wird, dass es verändert, überschrieben oder gelöscht wird.
Hier hat der A jedoch nur den Barcode gescannt. Dadurch hat er das Programm an sich nicht unrichtig „gestaltet“. Damit ist die Var. 1 zu verneinen.
bb) Verwenden unrichtiger oder unvollständiger Daten (Var. 2)
A könnte unrichtige oder unvollständige Daten verwendet haben. Daten sind codierte Informationen, also solche die elektronisch gespeichert und übertragen werden können. Unrichtig sind die Daten, wenn sie nicht der Wirklichkeit entsprechen; unvollständig, wenn relevante Informationen einfach weggelassen werden. Wann eine Verwendung vorliegen soll, ist umstritten.
Nach einer engen Auslegung bedeutet Verwenden die Einbringung der Daten in den Computer.
Nach einer weiten Auslegung liegt Verwendung bei jeder Nutzung von Daten vor.
Der Streit kann jedoch dahinstehen, wenn schon keine unrichtigen oder unvollständigen Daten vorliegen. Hier hat der A nämlich den WAZ- Barcode gescannt, sodass die Selbstbedienungskasse den richtigen und vollständigen Kaufpreis von 1, 20 € angezeigt hat. Damit war der eingescannte Barcode, der eine Datei darstellt, nicht unrichtig oder unvollständig. Damit scheidet auch die Tathandlung der 2. Variante aus.
cc) Unbefugtes Verwenden von Daten (Var. 3)
A könnte Daten unbefugt verwendet haben. Was unter „unbefugt“ zu verstehen ist, ist umstritten.
(1) computerspezifische Ansicht
Nach einer Ansicht soll die unbefugte Verwendung so verstanden werden, dass eine Einwirkung auf das System stattfinden muss, sodass eine bereits bestehende Sicherung durch ein nicht ordnungsgemäßes Bedienen überwunden werden muss. Nach dieser Ansicht hätte A die Daten nicht unbefugt verwendet, da er keine vorinstallierte Sperre im System überwunden hat. Er hat die Selbstbedienungskasse durch den Scan so benutzt, wie sie auch üblicherweise benutzt wird. Nämlich indem ein Barcode unter das Lesegerät gehalten und eingescannt wird.
(2) subjektive Ansicht
Nach einer anderen Meinung soll das Tatbestandsmerkmal „unbefugt“ vorliegen, wenn sie dem Willen des Verfügungsberechtigten (hier der Supermarktbetreiber) über die Datenverarbeitungsanlage widerspricht, also das vertraglich vereinbarte Dürfen überschreitet.
Hier kann davon ausgegangen werden, dass der Supermarktbetreiber nicht wollte, dass der A als Kunde einen anderen Barcode, als den des Playboys, einscannt, um dadurch dem höheren Kaufpreis zu entgehen. Nach dieser Meinung hätte A also die Daten unbefugt verwendet.
(3) betrugsspezifische Auslegung
Die Gegenauffassung vertritt hingegen, dass eine unbefugte Verwendung nur dann vorliegt, wenn sie täuschungsäquivalent (oder betrugsspezifisch) ist. Das bedeutet, dass wenn eine vergleichbare Handlung einer natürlichen Person gegenüber vorgenommen würde, eine zumindest konkludente Täuschung oder eine Täuschung durch Unterlassen bezüglich einer vorhandenen Befugnis vorliegen würde. Hier prüft das Lesegerät der Selbstbedienungskasse jedoch lediglich den eingescannten Barcode und nicht, ob dieser auch richtigerweise zur mitgenommen Ware gehört. Insoweit würde auch ein fiktiver Kassenmitarbeiter nur das prüfen, was auch die Selbstbedienungskasse geprüft hat. Nach dieser Ansicht hätte A hier keine Daten unbefugt verwendet.
(4) Streitentscheid
Da der Streit zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, ist er zu entscheiden. Gegen die subjektive Ansicht spricht schon der Wille des Gesetzgebers, der mit der Schaffung des § 263 a StGB lediglich die Strafbarkeitslücke schließen wollte, die dadurch entsteht, dass bei § 263 StGB nur ein Mensch getäuscht werden kann. Der subjektive Wille ist zudem in der Praxis nur sehr schwer nachweisbar.
Überdies würde die computerspezifische Auslegung dazu führen, dass die Grenzen der 2. und der 3. Tatvariante verwischen würden und keine Eigenständigkeit der Tatvarianten mehr gegeben wäre.
Die betrugsspezifische Auslegung ist vorzugswürdig. Insbesondere berücksichtigt sie den Fall, den der Gesetzgeber vor Augen hatte, als er den § 263 a StGB geschaffen hat.
Damit hat der A die Tatvariante des unbefugten Verwendens von Daten nicht verwirklicht.
dd) Sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf (Var. 4)
A könnte eine sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf vorgenommen haben. Dieses Tatbestandsmerkmal dient als so genannter Auffangtatbestand. Auf Grund des Bestimmtheitsgrundsatzes (§ 103 Abs. 2 GG) ist diese Alternative daher sehr eingeschränkt auszulegen.
Die 4. Variante setzt nicht zwingend unrichtige Daten voraus. Vielmehr reicht eine sonstige Einwirkung auf den Verarbeitungsvorgang oder den Ablauf des Programms aus, in der das Programm verändert wird. Solch eine Einwirkung ist hier jedoch nicht ersichtlich. A hat hier lediglich den WAZ- Barcode eingescannt. Dieser Scannvorgang hatte keinerlei Einfluss auf den Datenverarbeitungsvorgang oder den Datenfluss der Selbstbedienungskasse. Damit scheidet auch diese Tatbestandsvariante aus.
ee) Zwischenergebnis
Damit liegt schon keine taugliche Tathandlung i.S.d. § 263 a I StGB vor.
b) Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs
[Anmerkung: Eigentlich kommt es auf dieses TB- Merkmal nicht mehr an, es ist aber sinnvoll diesen Punkt trotzdem anzusprechen, da der SV auch auf dieses Problem hinaus will. Alternativ könnte hier auch ein Hilfsgutachten angefertigt werden.]
Überdies könnte es auch zusätzlich an der Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs fehlen. Dieses Tatbestandsmerkmal ersetzt die „Vermögensverfügung“, die in § 263 I StGB entsprechend gefordert wird. Auch § 263 a I StGB stellt insoweit ein Vermögensverschiebungsdelikt dar.
Voraussetzung ist daher, dass die Manipulation des Vorgangs unmittelbar eine vermögensrelevante Disposition der Selbstbedienungskasse verursacht. Die Vermögensminderung muss unmittelbar, d.h. ohne weitere Zwischenakte des Täters, des Opfers oder eines Dritten durch den Datenverarbeitungsvorgang selbst eintreten. Daran fehlt es, wenn durch die Manipulation der Datenverarbeitung nur die Voraussetzungen für eine vermögensmindernde Straftat geschaffen werden, wie z.B. beim Ausschalten oder Überwinden elektronischer Schlösser.
Hier hat der A den Barcode der günstigeren „WAZ“ eingescannt. Dadurch ist dem Supermarkt zwar eine Vermögenseinbuße entstanden. Fraglich ist allerdings, ob diese Vermögensdisposition auch unmittelbar durch die Manipulation entstanden ist.
Vorliegend hat die Kasse zwar den niedrigeren Preis angezeigt, allerdings trat dazu, dass A das Playboyheft in seine Sachgewalt nahm und damit aus dem Supermarkt gegangen ist. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die Vermögensdisposition tatsächlich eingetreten, sodass ein weiterer Zwischenakt des A erforderlich war. Damit fehlt es vorliegend an dem Merkmal der „Unmittelbarkeit“ als Äquivalent zum § 263 I StGB.
Damit fehlt es zusätzlich an der Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs.
II. Ergebnis
Damit hat sich A nicht gem. § 263 a I StGB strafbar gemacht.
C. Strafbarkeit nach § 242 I StGB
A könnte sich jedoch durch die Mitnahme des Playboyheftes gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Dafür müsste der objektive Tatbestand vorliegen.
a) fremde bewegliche Sache
Zunächst müsste eine fremde bewegliche Sache vorliegen. Das Playboyheft ist ein körperlicher Gegenstand und damit eine Sache (eigenständiger strafrechtlicher Sachbegriff) und kann tatsächlich fortbewegt werden, sodass es auch beweglich ist.
Fraglich ist, ob das Playboyheft auch fremd ist. Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist.
Es ist daher nach den Eigentumsverhältnissen zu fragen. Das Playboyheft stand zunächst im Eigentum des Supermarktbetreibers. Das Eigentum könnte jedoch durch Verfügung gem. § 929 S. 1 BGB auf den A übergegangen sein. Dafür ist zunächst eine Einigung über den Eigentumsübergang erforderlich. Durch den Bezahlvorgang an der Selbstbedienungskasse könnte eine solche Einigung angenommen werden. Problematisch ist jedoch, dass der A hier den Barcode der WAZ eingescannt und entsprechend den niedrigeren Preis bezahlt hat. Der Preis für das Playboyheft betrug dagegen 6, 90 €. Hier ist gem. §§ 133, 157 BGB auf den Willen des Supermarktbetreibers abzustellen, ob dieser mit einem anderen, als den für das Playboyheft ausgewiesenen Preises, einverstanden wäre. Es ist davon auszugehen, dass der Supermarktbetreiber das Eigentum nicht übereignen will, solange das Playboyheft nicht ordnungsgemäß eingescannt und bezahlt wird. Daher liegt keine Eigentumsübertragung vor. Der Supermarktbetreiber ist Eigentümer geblieben, sodass das Playboyheft für A fremd war.
b) Wegnahme
Es könnte eine Wegnahme vorliegen. Wegnahme ist der Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams, welcher sich nach der objektiven Verkehrsahnsschauung bestimmt.
aa) Gewahrsam
Der Supermarktbetreiber müsste Gewahrsam gehabt haben. Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Sachherrschaft. Diese bestimmt sich nach der objektiven Verkehrsanschauung. Hier hat nach der objektiven Verkehrsanschauung der Supermarktbetreiber regelmäßig die natürliche Sachherrschaft über seine Waren.
bb) Bruch
A müsste diesen fremden Gewahrsam gebrochen haben. Bruch ist die Aufhebung des Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers. Durch die Mitnahme des Heftes nach draußen, hat der A diesen Gewahrsam aufgehoben. Dies geschah auch ohne den Willen des Supermarktbetreibers.
cc) Begründung neuen Gewahrsams
A müsste neuen, nicht notwendig eigenen Gewahrsam begründet haben. Indem A das Playboyheft an sich nahm, hat er neuen und eigenen Gewahrsam an der Sache begründet.
Damit liegt eine Wegnahme vor.
Somit ist der objektive Tatbestand zu bejahen.
2. Subjektiver Tatbestand
Es müsste auch der subjektive Tatbestand vorliegen.
a) Vorsatz
A müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände. Hier wusste der A, dass er eine fremde bewegliche Sache wegnimmt. Dies wollte er auch. Damit handelte er vorsätzlich.
b) Zueignungsabsicht
A müsste auch mit Zueignungsabsicht gehandelt haben. Das ist die Absicht zumindest vorübergehender Aneignung plus Vorsatz dauernder Enteignung der Sache selbst oder des in der Sache verkörperten Sachwerts.
Indem A sich eine eigentümerähnliche Stellung anmaß, indem er das Playboyheft aus dem Supermarkt mitnahm, handelte er mit der Absicht zumindest vorübergehende Aneignung. A wollte den Supermarktbetreiber auch dauerhaft aus ihrer Eigentümerposition verdrängen, sodass er mit dauerndem Enteignungsvorsatz handelte.
Damit ist auch der subjektive Tatbestand erfüllt.
II. Rechtswidrigkeit
Er müsste auch rechtswidrig gehandelt haben. Nach der Lehre vom Erfolgsunrecht wird die Rechtswidrigkeit tatbestandlich indiziert. A handelte rechtswidrig.
III. Schuld
A handelte auch schuldhaft.
IV. Ergebnis
Damit hat sich A gem. § 242 I StGB strafbar gemacht.
D. Strafbarkeit nach § 267 I StGB
A könnte sich weiterhin gem. § 267 I StGB strafbar gemacht haben, indem er den WAZ- Barcode eingescannt hat.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Dafür müsste der objektive Tatbestand vorliegen.
(P) Urkunde
Zunächst müsste eine Urkunde vorliegen. Eine Urkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen und ihren Aussteller erkennen lässt.
Der abgetrennte Barcode könnte eine Urkunde sein. Problematisch ist allerdings, dass der Barcode nicht mit dem Heft verbunden war, sodass sich durch den Barcode alleine noch keine Beweisfunktion ergeben kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn der Barcode mit dem Heft als so genannte zusammengesetzte Urkunde verbunden wäre, sodass der Barcode den Preis für dieses Heft wiedergeben würde. Hier scannte der A jedoch nur einen bereits abgetrennten WAZ- Barcode. Eine Verbindung fand nicht statt, sodass keine Urkunde vorliegt.
2. Zwischenergebnis
Damit ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt.
[Anmerkung: Etwas anderes würde dann gelten, wenn der Barcode des Playboyheftes mit dem „WAZ- Barcode“ überklebt worden wäre (= zusammengesetzte Urkunde). Eine Urkundenunterdrückung bzgl. des WAZ- Barcodes scheidet offensichtlich aus, da dieser ausweislich des Sachverhalts dem A gehörte.]
II. Ergebnis
A hat sich nicht gem. § 267 I StGB strafbar gemacht.
Du hast noch Fragen zu diesem Fall? Dann lass Dir das Thema vom Profi erklären - und das kostenlos für drei Tage auf Jura Online
Vielen Dank an Sinan Akcakaya (Dipl.iur.) für die Zusendung dieses Falls!
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