I. Die Leistungskondiktion

1. Allgemeines

Das Bereicherungsrecht kennt insgesamt fünf Leistungskondiktionen. Sie alle setzen voraus, dass etwas durch Leistung ohne Rechtsgrund erlangt wurde.

Grundsätzlicher Prüfungsaufbau der Ansprüche aus Leistungskondiktion:

    1. etwas erlangt
    2. durch Leistung (zum Leistungsbegriff s.u.)
    3. ohne Rechtsgrund
    4. kein Ausschluss gem. §§ 814, 815 oder 817 S. 2 BGB

Definition: „Etwas“ i.S.d. §§ 812 ff. BGB ist jeder Vermögensvorteil. Was erlangt wurde, ist in der Klausur immer genau herauszuarbeiten, z. B. erlangt der Anspruchsgegner nicht nur die Armbanduhr, sondern das Eigentum (und den Besitz) an der Armbanduhr.

Worin der fehlende Rechtsgrund für die Vermögensverfügung liegt, unterscheidet sich je nach Anspruchsgrundlage der Leistungskondiktion1:
  • in § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB fehlt der Rechtsgrund von Anfang an
  • in § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB fällt der Rechtsgrund erst später weg
  • in § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB tritt der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht ein
  • in § 813 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Leistungspflicht von Anfang an einredebehaftet
  • in § 817 S. 1 BGB verstößt die Leistungsannahme gegen ein Gesetz oder gegen die guten Sitten

2. Der Leistungsbegriff

Definition: Leistung i.S.v. §§ 812 ff. BGB ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Zweckgerichtet bedeutet, dass die Leistung zur Erfüllung einer Verbindlichkeit erfolgte (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Eine Verbindlichkeit kann sich aus einem Rechtsgeschäft (z. B. § 433 Abs. 2 BGB) oder kraft Gesetzes (§ 823 Abs. 1 BGB) ergeben.

Die Leistung erfordert zunächst die Zuwendung des Vermögensgegenstandes in der Art und Weise, die das Sachenrecht vorsieht, z. B. § 929 S. 1 BGB für bewegliche Sachen.

Diese Zuwendung allein genügt i.d.R. für die Erfüllung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB (Theorie der realen Leistungsbewirkung). Hin und wieder kann die Zuordnung einer Leistung zu einer bestimmten Schuld schwierig sein, sodass der Schuldner klar zu erkennen geben muss, welche Schuld er durch die Zuwendung begleichen will. Die Erklärung, die der Schuldner hierfür abgibt, ist die sog. Tilgungs- oder Zweckbestimmung (vgl. § 366 Abs. 1 BGB). Da es sich dabei um eine Willenserklärung handelt, ist ihr Inhalt nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen, und zwar i.S.d Lehre vom objektiven Empfängerhorizont. Auslegungsfähig ist ebenfalls, ob überhaupt eine Tilgungsbestimmung erfolgt ist.

Daraus folgt für die Leistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1. BGB, dass der Anspruch nur dem Leistenden zusteht. Schuldner ist der, an den geleistet wurde. Daher ist für jeden Anspruch zu bestimmen, wer überhaupt an wen geleistet hat.

Ob der Bereicherungsgläubiger an den Bereicherungsschuldner geleistet hat, folgt aus der (auslegungsfähigen) Tilgungsbestimmung, die für einen objektiven Beobachter aus der Sicht des Bereicherungsschuldners erkennbar erklärt worden sein muss (ausdrücklich oder – zumeist – konkludent aufgrund tatsächlichen Verhaltens).

Der objektive Empfängerhorizont ist nicht immer allein entscheidend: Leistender ist nur, wer den Leistungsvorgang willentlich (nicht schuldhaft) in Gang setzt. Dieses für das Bereicherungsrecht entwickelte Veranlassungsprinzip ergänzt die Lehre vom objektiven Empfängerhorizont für die Fälle von Fehlverständnissen des Empfängers.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist in der Klausur wie folgt vorzugehen2:

1. Frage, ob A an B geleistet hat.
2. Definition der Leistung und Herstellung der Verbindung zwischen der Zweckrichtung und der Willenserklärung nach § 366 Abs. 1. BGB Hinweis auf das Auslegungsbedürfnis nach den §§ 133, 157 BGB.
3. Auslegung des Verhaltens von A aus der Sicht eines objektiven Empfängers in der Position des B auf die Frage nach der Tilgungsbestimmung.
4. Ist 3. bejaht, dann Prüfung des Veranlassungsprinzips.
5. Das Ergebnis ist anhand von Wertungsüberlegungen zu überprüfen.

Grundsätzlich gilt, dass Verträge nur zwischen den Parteien (inter partes) gelten (Relativität der Schuldverhältnisse). Daraus folgen für die Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverfügungen im Rahmen der Leistungskondiktion die folgenden Grundsätze, die als eine Art Leitfaden immer zu beachten sind:

  • Ein Vertragspartner soll nur das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners tragen, ihm darf kein fremdes Insolvenzrisiko aufgebürdet werden.
  • Die Einwendungen, die einem Vertragspartner aus dem Vertrag mit dem anderen Teil zustehen, sollen ihm bleiben.
  • Er soll auch nicht neuen Einwendungen ausgesetzt werden, die ihre Begründung nicht im Vertrag mit seinem Vertragspartner finden.
  • Ein Vertragspartner soll sich nur mit seinem Vertragspartner vor Gericht auseinandersetzen müssen (Verteilung der Prozessrolle).

Beachte: Es ist immer entlang der Leistungsbeziehungen rückabzuwickeln.

3. § 812 Abs. 1 S. 1. Alt. 1 BGB – condictio indebiti

Bei der condictio indebiti liegt von Anfang an kein Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung vor. Dieser Anspruch ist klassisch für Fälle, in denen ein Vertrag mit einem beschränkt Geschäftsfähigen, z. B. einem Minderjährigen geschlossen wird. Denn hier ist die Wirksamkeit der schuldrechtlichen Verpflichtung von der Zustimmung oder Genehmigung der – im Falle des Minderjährigen – Eltern abhängig. Liegt beides nicht vor, ist der Vertrag unwirksam, die dingliche Verfügung an den Minderjährigen nicht.

Das bereits Geleistete kann dann mit der condictio indebiti herausverlangt werden.

Leistet der Leistende, obwohl dem Anspruch eine dauerhafte Einrede gegenübersteht, kann er das Geleistete zurückfordern, vgl. § 813 Abs. 1 S. 1 BGB3. Dies gilt nicht im Fall, dass der Anspruch verjährt ist, vgl. § 813 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 214 Abs. 2 BGB.

Achtung: Der Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn:

  • der Leistende vom Fehlen des rechtlichen Grundes wusste, § 814 BGB und
  • gem. § 817 S. 2 BGB, wenn durch die Leistung (nicht durch Leistungsannahme, vgl. § 817 S. 1 BGB) gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen wird. § 817 S. 2 BGB ist nach herrschender Auffassung ein allgemeiner Rechtsgedanke, der für alle bereicherungsrechtlichen Ansprüche gilt.

4. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB – condictio ob causam finitam

Diese Kondiktion unterscheidet sich von der condictio indebiti darin, dass der Rechtsgrund am Anfang noch bestand, jedoch später wegfällt.

Beispielsfälle sind solche, in denen der Vertrag auflösend bedingt oder befristet ist und in denen der Eigentümer einer Sache diese wiedererlangt, nachdem ein anderer dafür Schadensersatz geleistet hat oder eine Versicherung dafür aufgekommen ist.

Umstritten ist, welche Anspruchsgrundlage heranzuziehen ist, wenn ein zunächst wirksamer Vertrag erfolgreich angefochten wurde. Die "ex tunc"-Wirkung der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB führt dazu, dass der Vertrag von Anfang an nichtig ist, weswegen eine Ansicht (u. a. der BGH) die condictio indebiti als Anspruchsgrundlage heranzieht (fehlen des Rechtsgrundes von Anfang an). Die Gegenansicht sieht § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB als die richtige Anspruchsgrundlage und verweist auf den Wortlaut des § 142 Abs. 1 BGB, nach dem das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist, es aber tatsächlich gar nicht ist. Da beide Ansichten zum selben Ergebnis kommen, ist der Streit letztlich nur für den Prüfungsaufbau relevant. Daher ist sich, ohne Begründung für eine Anspruchsgrundlage zu entscheiden (beide sind vertretbar).

Beachte, dass § 817 S. 2 BGB den Anspruch ausschließt.

5. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB – condictio ob rem

Ein weiterer fehlender Rechtsgrund ist der Fall, dass der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht eintritt. Die condictio ob rem ist jedoch nur anwendbar, wenn das mit der Leistung Bezweckte kein vertraglich geschuldetes Verhalten ist, denn andernfalls wäre das allgemeine Leistungsstörungsrecht anwendbar. Außerdem muss der Leistende den bezweckten Erfolg dem anderen Teil auch offenbaren und dieser muss übereinstimmen, sonst bleibt der erstrebte Erfolg lediglich ein Motiv des Leistenden. Die einseitige Erwartung des Leistenden genügt also nicht für eine erfolgreiche Kondiktion.

Der bezweckte Erfolg darf außerdem keine Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 2 BGB sein.

Meist liegt der bezweckte Erfolg in der (Nicht-)Abgabe der Willenserklärung bzw. in der Begründung eines Schuldverhältnisses.

Beispiel:
N umsorgt die alleinstehende, verwitwete W, indem er für sie einkauft, den Rasen mäht und kleine Reparaturarbeiten im Haus erledigt. Tut er dies heimlich, um im Testament begünstigt zu werden, so hat er später keinerlei Ansprüche über die condictio ob rem. Weiß W, dass N in ihrem Testament begünstigt werden will, und sagt ihm, dass sie dies vorhabe, so hat N später einen Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 2. Alt. 2 BGB gegenüber der Erben, sollte W ihn nicht eingesetzt haben (e.A., a.A. arbeitet mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage).

Beachte: § 815 BGB, der einen Ausschlussgrund für den Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB bildet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn der Eintritt des Erfolgs von Anfang an unmöglich war und der Leistende dies gewusst hat oder wenn der Leistende den Eintritt des Erfolgs wider Treu und Glauben verhindert.

Umstritten ist weiter der Fall, dass mit einem wirksamen Vertrag zwischen den Parteien ein Zusatzzweck verfolgt wird.

Beispiel:
K will das alte Holzschaukelpferd seines Freundes F kaufen, um es zu restaurieren und dann dem Waisenhaus zu schenken. F verkauft ihm das Schaukelpferd, damit K seiner Absicht nachkommen kann.

Die Rechtsprechung möchte die condictio ob rem zulassen, wenn K seiner Absicht nicht nachkommt. Abgelehnt wird das von einer anderen Ansicht wie folgt: Hat K sich vertraglich zur Schenkung des Schaukelpferds verpflichtet, kann F das einklagen oder vom Vertrag zurücktreten, denn dann ist die Nichtschenkung eine Vertragsstörung und entsprechend zu behandeln. War die Schenkung nur auflösende Bedingung, wäre die condictio ob causam finitam die richtige Anspruchsgrundlage. Ist das nicht der Fall, bleibt noch der Wegfall der Geschäftsgrundlage, wenn die Schenkung erkennbar auch die Grundlage des Vertrags bildet. Sind alle drei Möglichkeiten nicht einschlägig, bleibt die Schenkung ein unverbindliches Motiv, das keine Rechtsfolgen auslöst.

6. § 817 S. 1 BGB – condictio ob turpem vel iniustam causam

Über diesen Anspruch ist eine Bereicherung herauszugeben, wenn der Empfänger bei der Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.

Die Anwendungsfälle des § 817 S. 1 BGB sind jedoch gering, denn im Falle eines Gesetzes- oder Sittenverstoßes ist meist schon der Vertrag nach §§ 134, 138 BGB nichtig, sodass die richtige Anspruchsgrundlage § 812 Abs. 1 S. 1. Alt. 1 BGB ist.

Außerdem ist der Anspruch als solches gänzlich ausgeschlossen, wenn auch der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, vgl. § 817 S. 2 BGB. Dieser allgemeine Rechtsgedanke findet nach h.M. auch dann Anwendung, wenn entgegen seines Wortlauts nur den Leistenden ein Gesetzes- oder Sittenverstoß trifft.

Der Rechtsgedanke in § 817 S. 2 BGB findet ausschließlich im Bereicherungsrecht Anwendung. Darüber hinaus ist er nach h.M. nicht anwendbar, denn dann würde der Vorschrift „Strafcharakter“ zukommen, was zivilrechtlichen Wertungen widerspricht.

Der klausur- und examensrelevanteste Anwendungsfall von § 817 S. 2 BGB ist die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Verstoß gegen das Schwarzarbeits-Verbot (unbedingt ansehen): Der Schwarzarbeiterfall.

  • 1. Die korrekte Zitierweise der einzelnen Anspruchsgrundlagen muss in der Klausur beherrscht werden.
  • 2. Oechsler, Skript Bereicherungsrecht, Universität Mainz, S. 3.
  • 3. Umstritten ist, ob § 813 Abs. 1 S. 1 BGB eine eigene Anspruchsgrundlage oder nur ein Unterfall der Leistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist.