Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)
Bei der Gefährdungshaftung tritt die Schadensersatzpflicht verschuldensunabhängig ein. Gehaftet wird bereits bei Verwirklichung eines bestehenden Risikos, nicht erst bei Sorgfaltswidrigkeit. Positive Voraussetzung der Gefährdungshaftung ist das Vorliegen einer Gefahr, also eines hinreichend wahrscheinlichen Schadenseintritts (Definition).
Die Gefahr muss das allgemeine Lebensrisiko übersteigen. Das Risiko muss sich außerdem verwirklicht, die Gefahr sich also realisiert haben.
Höhere Gewalt (s.o.) schließt die Gefährdungshaftung regelmäßig aus.
Entbehrliche Merkmale der Gefährdungshaftung sind:
- Die Rechtswidrigkeit, denn die Gefährdungshaftung ist grundsätzlich erlaubt. Ist sie rechtswidrig, kumulieren Gefährdungs- und Verschuldenshaftung.
- Das Verschulden, denn die Gefährdungshaftung ist objektiv. Die Haftungsschwelle ist niedriger. Es wird nicht erst für eine Sorgfaltswidrigkeit, sondern bereits für die Verwirklichung eines Risikos gehaftet.
Die Gefährdungshaftung ist nach h.M. durch Gesetz anzuordnen (nicht analogiefähig).
1. Die Halterhaftung gem. § 7 Abs. 1 StVG (eigene Anspruchsgrundlage)
Skriptaufbau ist zugleich Prüfungsschema:
a. Anspruchsgegner = Halter
Definition:
Der Halter ist derjenige, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug besitzt. Entscheidend ist nicht das rechtliche, sondern das tatsächliche Herrschaftsverhältnis (Verfügungsgewalt nicht Verfügungsmacht), das von gewisser Dauer sein muss.
Beachte die Legaldefinition des Kraftfahrzeugs in § 1 Abs. 2 StVG.
b. Rechtsgutsverletzung
Die Rechtsgutsverletzung besteht in einer Tötung, Körperverletzung, Gesundheitsbeeinträchtigung oder Sachbeschädigung, vgl. § 7 Abs. 1 StVG.
c. Beim Betrieb des Kfz
„Beim Betrieb“ wird nach h.M. weit verstanden, also nicht motor- bzw. maschinentechnisch, sondern verkehrstechnisch. Maßgeblich ist, ob sich die Gefahr realisiert hat, die von dem Fahrzeug bei der Teilnahme am bewegten oder ruhenden Verkehr ausgeht.
Die Zurechnung zur Betriebsgefahr erfordert, dass bei der „gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist“.
Der Unfall muss in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Fahrzeugs (das zur Beförderung bestimmt sein muss) stehen.
Die Betriebsgefahr endet nicht mit dem Abstellen des Fahrzeugs.
d. Haftungsausfüllende Kausalität
Beim Betrieb des Kfz und die eingetretene Rechtsgutsverletzung müssen in einem kausalen Zusammenhang stehen. Nicht erforderlich ist die Adäquanz der Handlung für die Rechtsgutsverletzung. Ausreichend ist, dass sich die Gefahr realisiert hat.
Sind schädigendes Kfz und beschädigte Sache identisch, scheitert die Haftung aus § 7 StVG laut BGH. So fehlt z. B. beim Leasingvertrag der nötige Zurechnungszusammenhang, da nur der Eigentümer des in den Unfall verwickelten Kfz betroffen ist.
e. Haftungsausschluss (§§ 7 Abs. 2, 8 StVG)
Die haftungsausschließende höhere Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG muss außergewöhnlich und derart betriebsfremd sein, dass man es nicht mehr zu den versicherungsrechtlich aufzufangenden Betriebsrisiken von Kraftfahrzeugen rechnen kann.
Beachte weiterhin die Ausschlussgründe in § 8 StVG.
f. Schaden (wie in § 823 Abs. 1 BGB zu bestimmen)
g. Haftungsausfüllende Kausalität (wie in § 823 Abs. 1 BGB zu bestimmen)
h. Rechtsfolge
Die Rechtsfolge bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB, ist aber durch §§ 9, 12, 12 A, 17 StVG gemindert/begrenzt.
Beachte den Schadensausgleich zwischen den Haltern gem. § 17 StVG (insb. Abs. 3). Der Anspruch unterliegt der Verjährung §§ 15, 14 StVG.
2. Die Produkthaftung gem. § 1 ProdHaftG
§ 1 ProdHaftG begründet eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Herstellers von Produkten für Rechtsgutsverletzungen bei seinen Verwendern.
Das ProdHaftG ist neben den allgemeinen deliktischen Anspruchsgrundlagen (insbesondere neben der deliktischen Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1) anwendbar.
Skriptaufbau ist zugleich Prüfungsschema:
a. Rechtsgutsverletzung
Nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG sind nur die Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit sowie das Eigentum geschützt, wobei beim Eigentum der Schutz enger gefasst ist als i.R.d. § 823 Abs. 1 BGB. Es werden nur Schäden an anderen Sachen als dem fehlerhaften Produkt erfasst, damit ist der sog. Weiterfresserschaden von § 1 ProdHaftG nicht erfasst. Das gilt zumindest dann, wenn der Hersteller am defekten Einzelteil auch der Hersteller vom Endprodukt ist. Umstritten ist der Fall, dass ein defektes zugeliefertes Teil zur Zerstörung des Endprodukts führt. Die wohl h.L. argumentiert, dass eine Haftung nach dem ProdHaftG ausgeschlossen ist, um die Schranken des Gewährleistungsrechts nicht durch das Gefährdungsrecht zu umgehen.
b. Produkt i.S.v. § 2 ProdHaftG
c. Produktfehler i.S.v. § 3 Abs. 1 ProdHaftG
Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es hinsichtlich Konstruktion, Fabrikation und gegebenenfalls beizugebender Instruktion nicht die Sicherheit für die von § 1 Abs. 1 ProdHaftG geschützten Güter bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden. Was erwartet werden kann, ist objektiv zu ermitteln.
Folgende Gesichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen:
- Der Preis des Produkts. Je günstiger, desto geringere Sicherheitserwartungen dürfen/können an das Produkt gestellt werden.
- Die Darbietung des Produkts. Werbemaßnahmen können z. B. Erwartungen an bestimmte Eigenschaften des Produkts beeinflussen.
- Es ist mit bestimmungsgemäßem Gebrauch sowie bestimmungswidrigen Gebrauch zu rechnen, nicht jedoch mit dem Missbrauch des Produkts.
- Der Käufer/Nutzer des Produkts (Fachmann oder Laie).
Das Produkt soll im Übrigen hinsichtlich Konstruktion, Fabrikation und Instruktion dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik (im Zeitpunkt des Inverkehrbringens) entsprechen, soweit dieser objektiv ermittelbar ist.
d. Haftungsbegründende Kausalität
Ein Ursachenzusammenhang, zwischen dem/der Fehler des Produkts und der Rechtsgutsverletzung muss bestehen. Die Adäquanztheorie wird nicht angewendet, denn § 1 Abs. 1 ProdHaftG will gerade bei unvorhersehbaren Schäden Ersatz gewähren. Teilweise wird vertreten, höhere Gewalt vom Schutzzweck des § 1 Abs. 1 ProdHaftG ebenfalls auszuschließen, um Wertungswidersprüche mit anderen Tatbeständen der Gefährdungshaftung zu vermeiden. In der Praxis wird dies kaum einmal der Fall sein.
e. Hersteller i.S.v. § 4 ProdHaftG
Der Herstellerbegriff ist legal in § 4 f. ProdHaftG definiert.
Beachte, dass mehrere Hersteller gem. § 5 ProdHaftG als Gesamtschuldner haften.
f. Ausschluss der Produkthaftung nach § 1 Abs. 2 ProdHaftG
Die Haftung kann nach Gründen des § 1 Abs. 2 ProdHaftG ausgeschlossen sein, so z. B. wenn der Hersteller sein Produkt nicht willentlich in den Verkehr gebracht hat, das Produkt im Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht fehlerhaft war oder der Fehler im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik (noch) nicht erkannt werden konnte (Entwicklungsfehler). Die Beweislast für das Vorliegen von Ausschlussgründen trägt der Hersteller, vgl. § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG.
g. Rechtsfolge
Der Anspruch aus § 1 ProdHaftG ist auf Schadensersatz nach §§ 249 ff. BGB gerichtet. Im ProdHaftG gelten aber Modifikationen:
- Den Geschädigten treffen bei Sachschäden eine Selbstbeteiligung i.H.v. 500,- (vgl. § 11 ProdHaftG).
- Für das Mitverschulden gilt gem. § 6 ProdHaftG § 254 BGB entsprechend, wobei der Geschädigte sich auch das Verschulden seines Sachwahrungsgehilfen zurechnen lassen muss (weiter als § 254 Abs. 2 S. 2 BGB).
- Bei Gesundheits- und Körperverletzung sowie bei Tötung gelten die §§ 7 ff. ProdHaftG, die inhaltlich in etwa der §§ 842 ff. BGB entsprechen.
- Es gilt eine Haftungshöchstgrenze für Körperschäden von maximal 85 Mio. € für Schäden aus einem Produkt oder aus gleichen Produkten (§ 10 ProdHaftG).
Auch hier ist die Einwendung der Verjährung zu beachten. Der Anspruch aus § 1 ProdHaftG verjährt in drei Jahren (§ 12 Abs. 1 ProdHaftG). Außerdem gilt eine Ausschlussfrist nach § 13 Abs. 1 ProdHaftG, nach der alle Ansprüche aus dem ProdHaftG 10 Jahre nach Inverkehrbringen des Produkts materiell-rechtlich erlöschen.