II. Tatbestand Nr. 2: Haftung für den Verrichtungsgehilfen, § 831 Abs. 1 BGB - Haftung aus Unrecht in widerleglich vermutetem Verschulden

Autorin: Kim Alexandra Reichenbach (Referendarin)

(Für alle Tatbestände der zweiten Kategorie ist beim Verschulden der gesetzlich normierte Entlastungsbeweis zu berücksichtigen und in der Klausur anzusprechen und abzulehnen/bejahen.)

§ 831 Abs. 1 BGB ist eine eigene Anspruchsgrundlage, während § 278 Abs. 1 BGB nur eine Zurechnungsnorm ist und an der entsprechenden Stelle im Gutachten zu prüfen ist.

Skriptaufbau ist zugleich Prüfungsschema:

a. Verrichtungsgehilfe

Definition:
Verrichtungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Interesse tätig wird und von dessen Weisung abhängig ist (die Weisungsgebundenheit ist Abgrenzungsmerkmal vom Erfüllungsgehilfen des § 278 Abs. 1 BGB). Ein soziales Abhängigkeitsverhältnis ist für § 831 BGB nicht notwendig.

b. Widerrechtlich zugefügter Schaden

Der Verrichtungsgehilfe muss den objektiven Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB rechtswidrig verwirklicht haben, d.h. eine Rechtsgutsverletzung durch adäquat kausale Handlung oder quasi-kausales Unterlassen herbeigeführt haben. Die Rechtswidrigkeit ist im Rahmen des § 831 Abs. 1 BGB ebenfalls indiziert. Ein Verschulden ist nicht zu prüfen.

Unter diesem Prüfungspunkt ist § 823 Abs. 1 BGB u.U. inzident zu prüfen.

c. In Ausübung der Verrichtung

Der Schaden muss in Ausübung der Verrichtung und darf nicht bloß bei Gelegenheit auftreten. In Ausübung der Verrichtung bedeutet, dass der Gehilfe innerhalb des von ihm übernommenen Pflichtenkreises handelt, d.h. nach Art und Zweck der ihm aufgetragenen Verrichtung ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen dieser und der schädigenden Handlung besteht.

Beispiel:
Ein Fliesenleger, der beim Zurechtschneiden der Fliesen die teure Wandtapete so beschädigt, dass diese ersetzt werden muss, handelt in Ausübung der Verrichtung. Ein Fliesenleger, der beim Ausmessen der Wohnung eine teure Uhr entdeckt und diese einsteckt, handelt nicht in Ausübung der Verrichtung, denn hier besteht kein innerer Zusammenhang.

d. Verschulden des Geschäftsherrn

Bei diesem Prüfungspunkt ist die Besonderheit des Tatbestandes zu berücksichtigen. Das Verschulden wird gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet (anders als bei §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB und 826 BGB, wo das Verschulden positiv festgestellt werden muss).

Vermutet wird, dass den Geschäftsherrn ein Auswahl- und Überwachungsverschulden trifft, von dem er sich aber exkulpieren kann. Hierzu muss er darlegen, dass der Gehilfe insbesondere zur Ausübung der Tätigkeit qualifiziert war und die Eignung des Gehilfen zur Ausübung der übertragenen Tätigkeit überwacht und kontrolliert wurde.

Im Rahmen des § 831 Abs. 1 BGB besteht außerdem eine Kausalitätsvermutung in § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zwischen der Pflichtverletzung des Geschäftsherrn (Auswahl- und Überwachungsverschulden) und der des Verrichtungsgehilfen (Verletzung eines Rechtsguts in § 823 Abs. 1 BGB). Der Geschäftsherr kann sich entlasten, indem er darlegt, dass der Schaden auch von einer sorgfältig ausgewählten und überwachten Person angerichtet worden wäre oder auch ein sorgfältiger Geschäftsherr nach den Informationen, die er über den Gehilfen im Voraus eingeholt hat, diesen ausgewählt hätte.

e. Rechtsfolge: §§ 249 ff. BGB