Der Blutrausch-Fall (angelehnt an: BGHSt 7, 325)

Der Blutrausch-Fall (angelehnt an: BGHSt 7, 325)

Sachverhalt

Die Angeklagte A schlug mit einem Hammer auf den Kopf der K ein. Hierbei handelte sie zunächst nur vorsätzlich im Hinblick auf eine Körperverletzung der Frau K. Sodann geriet die Angeklagte in Angst, die K. könne aufgrund der Tat Strafanzeige erstatten. Daraufhin entschloss sie sich zur Tötung der K. durch weitere Hammerschläge auf Kopf und Gesicht. Während der Ausführung dieses Entschlusses verfiel sie in einen Blutrausch, der dazu führte, dass die Angeklagte die Tatwaffe wechselte und infolgedessen statt mit dem Hammer mit einem zufällig dastehenden Bergmannsbeil auf Gesicht und Kopf der K. einschlug. Bei der Tatausführung verletzte sie die K. durch insgesamt 5 von 30 Schlägen mit Hammer und Beil derart, dass die K. alsbald verstarb.

Die Angeklagte hatte aufgrund des Blutrausches die Hiebe mit dem Bergmannsbeil nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen.

Wie hat sich A nach dem StGB strafbar gemacht?

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass A ihre Jähzornausbrüche in der Vergangenheit bewusst waren und sie den Blutrausch hätte vorhersehen können. Auch ist davon auszugehen, dass K an den Beilschlägen verstarb.

Die Fallhistorie

Dieser Fall lag dem 4. Senat des BGH am 21. April 1955 vor.  

Der Problemkreis

Schwerpunkt des Falles ist die Frage, ob ein Strafbarkeitsausschluss auch im Falle eines schuldhaft herbeigeführten Affektzustands in Betracht kommen kann.

Nach dem BGH komme es aber auch darauf an, ob die Angeklagte den Eintritt des „Blutrausches“ und die damit einhergehenden Folgen – "[…] etwa gewarnt durch ihre früheren Jähzornausbrüche […]" – vorhersehen konnte und zumindest billigend in Kauf genommen hat. Insoweit erinnern diese Grundsätze ein wenig an den Jauchegruben- Fall.

Lösungsskizze

A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211 I, II, 2. Grup. 2. Var. StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tod eines anderen Menschen (+)

b) Kausalität und objektive Zurechnung (+)

c) Mordmerkmal der Grausamkeit

hier: wohl eher restriktive Auslegung der Mordmerkmale (-) (a.A. vertretbar)

d) Zwischenergebnis

2. Subjektiver Tatbestand (+)

(P) Vorsatz bzgl. des Kausalverlaufs und des Blutrausches

II. Rechtswidrigkeit (+)

III. Schuld (P)

(P) Bewusstseinsstörung i.S.d. § 20 StGB („Blutrausch“)

strong>Grds. können Affektzustände die Schuldfähigkeit des Angeklagten ausschließen

(P) Gilt dies auch, wenn sie schuldhaft herbeigeführt wurden? (str.)

1. e.A. § 20 StGB (-)

wenn der Affektzustand schuldhaft vom Täter herbeigeführt wird, ähnlich wie bei der actio libera in causa.

2. a.A. : § 20 StGB (+)

Schuldausschließungsgrund auch bei verschuldetem Affektzustand.

3. Streitentscheid (-) (a.A. gut vertretbar)

IV. Ergebnis (+)

B. Strafbarkeit gem. §§ 224 I Nr. 2, 223 I StGB

§§ 224 I Nr. 2, 223 I StGB tritt als notwendiges Durchgangsstadium für den Totschlag zurück.

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Gutachten

A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211 I, II, 2. Grup., 2. Var. StGB

A könnte sich durch die Schläge mit dem Beil gem. §§ 212 I, 211 I, II 2. Grup. , 2. Var. StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

Der Tatbestand müsste erfüllt sein.

1. Objektiver Tatbestand

Zunächst müsste der objektive Tatbestand vorliegen.

a) Tod eines anderen Menschen

Ausweislich des Sachverhalts liegt der Tod der K und damit eines anderen Menschen vor.

b) Kausalität und objektive Zurechnung

Auch die Kausalität und die objektive Zurechnung sind mangels anderweitiger Sachverhaltsangaben zu bejahen.

c) Mordmerkmal der Grausamkeit

Fraglich ist, ob auch das Mordmerkmal der Grausamkeit vorliegt gem. § 211 I, II 2. Grup. , 2. Var. StGB.

Grausam tötet, wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung zufügt.

Hier fügte die A der K mehrere Schläge mit einem Beil und Hammer auf Gesicht und Kopf zu. Dies stellt ein Verhalten dar, das besondere Schmerzen hervorrufen kann. Problematisch ist allerdings, ob dies auch aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung heraus geschah. Ausweislich des Sachverhalts verfiel die A nämlich in einen „Blutrausch“. Ob A dies aus unbarmherziger Gesinnung tat, kann daher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Aufgrund der restriktiven Auslegung der Mordmerkmale und den bestehenden Zweifeln, ist daher in dubio pro reo das Bestehen des Mordmerkmals der Grausamkeit zu verneinen.

d) Zwischenergebnis

Damit liegt der objektive Tatbestand des Totschlags gem. § 212 I StGB vor.

2. Subjektiver Tatbestand

A müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben. Dies setzt Vorsatz voraus. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände. Ausweislich des Sachverhalts fasste A zunächst nur einen Körperverletzungsvorsatz, als sie mit dem Hammer zuschlug. Erst im Verlauf der Tat fasste sie auch einen konkreten Tötungsvorsatz und schlug daraufhin weiter mit dem Hammer auf Ks Kopf ein. Nach diesen Schlägen verfiel sie in einen regelrechten Blutrausch und fasste anschließend zu einem Beil, mit dem sie auf die K einschlug. Problematisch ist daher, ob A in diesem Zustand überhaupt einen konkreten Vorsatz in freier Willensentscheidung fassen konnte. Dafür müsste sie insbesondere Vorsatz bzgl. des Kausalverlaufs gehabt haben.

Dies ist zu bejahen, wenn der Täter den Affektzustand schuldhaft herbeigeführt hat und die von einem Täter im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Handlungen nur eine unwesentliche Abweichung von der Tatvorstellung des Täters darstellen. Hier wusste A bereits im Vorfeld, dass sie schon in der Vergangenheit jähzornige Ausbrüche hatte und war dadurch bereits während der Tat gewarnt. Zudem hatte die A bereits vor dem Blutrausch einen Tötungsvorsatz geschlossen, sodass die weitere Tatausführung im Blutrausch nicht wesentlichen von der Tatausführung mit den Hammerschlägen abweicht.

Dies hat sie daher billigend in Kauf genommen, sodass der Vorsatz und mithin der subjektive Tatbestand bejaht werden kann.

[Anmerkung: Der BGH hat seine Ausführungen dazu erstmals im Vorsatz der Angeklagten thematisiert. Die genauen Tatumstände musste das Berufungsgericht daher erneut klären. Insoweit besteht bzgl. der Argumentation auch eine Ähnlichkeit zum Jauchegruben- Fall.]

II. Rechtswidrigkeit

Nach der Lehre vom Erfolgsunrecht wird die Rechtswidrigkeit tatbestandlich indiziert. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, sodass A rechtswidrig handelte.

III. Schuld

Fraglich ist allerdings, ob A auch schuldhaft handelte. Hier könnte ein Schuldausschließungsgrund nach § 20 StGB vorliegen. Die A könnte während der Tatausführung mit dem Beil einer krankhaften seelischen Störung unterlegen haben.

Während der ursprünglichen Tathandlung mit dem Hammer verfiel A in einen Blutrausch in dessen Verlauf sie das Tatwerkzeug wechselte und sodann mit dem Beil auf Kopf und Gesicht der K einschlug. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich in einem Affektzustand. Ein derartiger Affektzustand ist weitgehend als seelische Störung anerkannt und kann im Einzelfall auch zum Ausschluss der Schuld führen.

Problematisch ist allerdings, ob dies uneingeschränkt gilt oder dies ausgeschlossen werden muss, wenn der Täter den Affektzustand schuldhaft herbeigeführt hat. Dies ist umstritten.

a) e.A.

Nach einer Ansicht gilt eine Einschränkung bzgl. der Schuldausschließung bei Affektzuständen, wenn der Täter diese schuldhaft herbeigeführt hat.

Hier wusste A bereits im Vorfeld, dass sie schon in der Vergangenheit jähzornige Ausbrüche hatte und war dadurch bereits während der Tat gewarnt. Auch knüpften die späteren Beilschläge während des Blutrausches unmittelbar an die Hammerschläge zuvor an, die die A in vollem Bewusstsein ihrer Sinneskräfte getätigt hat.

Nach dieser Ansicht hätte A somit schuldhaft gehandelt.

b) a.A.

Nach der Gegenansicht könnte man die Anwendung von § 20 StGB ohne Einschränkung bejahen. Danach wäre der Affektzustand auch dann ein Schuldausschließungsgrund, wenn er zum Tatzeitpunkt bestand, unabhängig davon, ob er schuldhaft vom Täter verursacht wurde. Nach dieser Ansicht hätte A hier schuldlos gem. § 20 StGB gehandelt.

c) Streitentscheid

Da die Ansichten zu verschiedenen Ansichten führen, ist der Streit zu entscheiden.

Für die erste Ansicht spricht, dass ähnlich wie bei der actio libera in causa, der Täter sich dem Vorwurf stellen muss, dass er im Zustand seines freien Willens billigend in Kauf genommen hat, einem unkontrollierbaren Blutrausch zu verfallen, obwohl er damit aus Erfahrungen der Vergangenheit rechnen musste. Insoweit besteht neben dem Erfolgsunrecht ebenfalls ein umfassendes Handlungsunrecht des Täters.

Damit ist der ersten Ansicht zu folgen, sodass A schuldhaft handelte (a.A. gut vertretbar).

[Anmerkung: Der Streit an diesem Punkt wirkt etwas konstruiert, weil der BGH in seiner Originalentscheidung keine konkrete Stellungnahme bezogen hat und insoweit auf die zukünftige Entwicklung der Psychiatrie hingewiesen hat.]

IV. Ergebnis

Mithin hat sich A gem. § 212 I StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gem. §§ 224 I Nr. 2, 223 I StGB

Die ebenfalls verwirklichten §§ 224 I Nr. 2, 223 I StGB treten als notwendiges Durchgangsstadium für den Totschlag zurück.

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Vielen Dank an Sinan Akcakaya (Dipl.iur.) für die Zusendung dieses Falls!

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