Soldaten sind Mörder (BVerfGE 93, 266)

Ein Soldat ist ein Mörder.

Sachverhalt

K wurde 1988 erstmals Zeuge eines großen Nato-Manövers und zeigte sich darüber tief bestürzt. In unmittelbarer Nähe des Ortes, in dem er sich besuchsweise aufhielt, waren amerikanische Verbände in Stellung gegangen. Er beschrieb daraufhin ein Betttuch mit den Worten „A soldier is a murder“ (wörtlich übersetzt: Ein Soldat ist ein Mord, nicht: a murderer = Mörder) und befestigte es an einer Straßenkreuzung am Ortsrand. Ein vorüberfahrender Bundeswehroffizier (O) stellte Strafantrag.K wurde wegen Beleidigung (§ 185 StGB) des O bestraft. Das Amtsgericht führte in der Begründung aus, K habe die Begriffe „murder“ und „murderer“ verwechselt und sinngemäß geäußert „c“, denn die direkte Übersetzung ergebe keinen Sinn. Darin liege eine strafbare Beleidigung unter der Kollektivbezeichnung „Soldaten“, da ein Unwerturteil mit einem eindeutig allen Soldaten zuzuordnenden Kriterium verbunden sei und die weitergehende Bezeichnung (alle Soldaten schlechthin) auch den engeren, klar abgrenzbaren und überschaubaren Kreis der aktiven Soldaten der Bundeswehr (BW) umfasse. Die Äußerung sei so substanzarm, dass sie als Werturteil einzuordnen sei. Nach ihrem objektiven Sinngehalt stelle sie einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre des O dar. Sie sei offensichtlich nicht tatsachenadäquat, da noch niemand durch BW-Soldaten ums Leben gekommen sei. Die Äußerung sei auch unter Berücksichtigung der Bedeutung des Art. 5 I 1 GG nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB gerechtfertigt: K habe unterschiedslos alle Soldaten Schwerstkriminellen gleichgestellt. Der „polemische Ausfall ...., der jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lasse“, entbehre jedes sachlichen Gehalts und könne nicht als Beitrag zur Meinungsbildung oder Einstieg in eine fruchtbare Diskussion verstanden werden. Nach erfolglosem Berufungs- und Revisionsverfahren erhebt K Verfassungsbeschwerde. Darin erklärt er, er habe bewusst das Wort „murder“ verwendet, um darauf hinzuweisen, dass der Soldat sowohl Täter als auch Opfer von Tötungshandlungen sein können. Ferner habe er Soldaten nicht als Schwerstkriminelle bezeichnet, da umgangssprachlich nicht zwischen Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge unterschieden werde. Das Urteil verletze nicht nur Art. 5 GG, sondern auch das Analogieverbot aus Art. 103 II GG, da alle Soldaten schlechthin keine beleidigungsfähige Personenmehrheit darstellten.

Die Fallhistorie

Der Spruch "Soldaten sind Mörder" stammt eigentlich aus der von Kurt Tucholsky 1931 in der Zeitschrift "Die Weltbühne" publizierten Glosse "Der bewachte Kriegsschauplatz". Schon 1992 hatte das Bundesverfassungsgerichts sich mit einer Abwandlung des Spruchs zu befassen (BVerfGE 86, 1). 1994 und 1995 folgten dann Prozesse, die sich mit dem Tucholsky - Zitat direkt auseinandersetzen mussten (1995 mit der hier dargestellten falschen Übertragung ins Englische).

Der Problemkreis

Das BVerfG musste viele Urteile der Unterinstanzen aufheben, weil die Gerichte ungerechtfertigterweise eine spezifische Beleidigung in der allgemeinen Aussage "Soldaten sind Mörder" gesehen hatten, was tatsächlich aber nicht der Fall war.

Lösungsskizze

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde des K

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht

II. BeschwerdefähigkeitIII. Beschwerdegegenstand

III. Beschwerdegegenstand

IV. Beschwerdebefugnis

V. Rechtswegerschöpfung

VI. Subsidiarität

VII. Frist und Form

VIII. Ergebnis der Zulässigkeit

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde des K

I. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts

II. Eröffnung des Schutzbereichs

III. Eingriff in den Schutzbereich

IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

1. Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB

a) Formelle Verfassungsmäßigkeit

b) Materielle Verfassungsmäßigkeit

aa) Einschränkbarkeit von Art. 5 I GG (Bestimmung der verfassungsrechtlichen Schranke)

bb) Bestimmtheitsgebot, Art. 103 II GG

cc) Verhältnismäßigkeit

(1) Legitimer Zweck

(2) Geeignetheit

(3) Erforderlichkeit

(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

dd) Keine Verletzung sonstiger Grundgesetzbestimmungen

c) Ergebnis der materiellen und formellen Verfassungsmäßigkeit

2. Verfassungsmäßige Anwendung des § 185 StGB

a) Analogieverbot, Art. 103 II GG

b) Grundrechtsauslegung

aa) Auslegung von § 185 StGB im Sinne von Art. 5 I 1 GG

bb) Anwendung der §§ 185 ff. StGB im Einzelfall

(1) Ehrverletzender

(2) Einbeziehung des sprachlichen Zusammenhangs und der außertextlichen Umstände

(3) Ergebnis

(4) Hilfsweise

c) Ergebnis der Grundrechtsauslegung

3. Ergebnis der verfassungsmäßige Anwendung des § 185 StGB

V. Ergebnis verfassungsrechtliche Rechtfertigung

C. Ergebnis der Verfassungsbeschwerde des K

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Gutachten

Die Verfassungsbeschwerde des K gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde des K

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen.

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Individualverfassungsbeschwerde des K ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4 a i. V. m. §§ 13 Nr. 8 a, 90 ff. BVerfGG.

II. Beschwerdefähigkeit

Beschwerdeberechtigt ist nach Art. 93 I Nr. 4a, § 90 I BVerfGG „Jedermann“. „Jedermann“ i.S.d. § 90 Abs. 1 BVerfGG ist derjenige, der Träger der im konkreten Fall in Betracht kommenden Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte ist. Ebenso müsste der K prozessfähig sein. Prozessfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbstbestimmte Bevollmächtigte vorzunehmen. Von beiden Eigenschaften ist bei K auszugehen, damit ist K beschwerdefähig.

III. Beschwerdegegenstand

Beschwerdegegenstand kann nach Art. 93 I Nr. 4a, § 90 I BVerfGG jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein. Erfasst sind alle Maßnahmen der Gesetzgebung, der Verwaltung oder der Rechtsprechung. K wendet sich hier gegen ein Strafurteil und damit gegen eine Maßnahme der Rechtsprechung. Das Strafurteil stellt somit einen tauglichen Beschwerdegegenstand dar.

IV. Beschwerdebefugnis

Der Beschwerdeführer muss gemäß Art. 93 I Nr. 4 a, § 90 I BVerfGG geltend machen, durch den Beschwerdegegenstand möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein. Das angegriffene belastende Urteil ist an K gerichtet und ohne weiteren Umsetzungsakt ihm gegenüber wirksam, so dass er gegenwärtig und unmittelbar in seinen eigenen Grundrechten betroffen ist. In Betracht kommt eine Verletzung seines Rechts aus Art. 5 I GG. Schutzgut des Art. 5 I 1 GG ist die Meinungsäußerungsfreiheit. Grundlage der strafrechtlichen Verurteilung waren wertende Äußerungen des K. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Strafgericht die Relevanz des Art. 5 I GG für seine Entscheidung übersehen bzw. Bedeutung oder Inhalt des Grundrechts verkannt und damit K in seinen Grundrechten verletzt hat. Folglich ist K beschwerdefähig.

V. Rechtswegerschöpfung

Darüber hinaus statuiert § 90 II 1 BVerfGG das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung. Soweit dem Beschwerdeführer der ordentliche Rechtsweg offensteht, muss dieser vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich durchlaufen werden. Der K hat, bevor er Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben hat, erst den gesamten strafrechtlichen Instanzenzug erfolglos durchlaufen. Damit ist der ordentliche Rechtsweg für das Begehren des K ausgeschöpft. Das Kriterium der Rechtswegerschöpfung ist für die Verfassungsbeschwerde des K infolgedessen erfüllt.

VI. Subsidiarität

Über die Rechtswegerschöpfung hinaus sind alle Möglichkeiten, gerichtlichen Rechtsschutz mittelbar oder außergerichtlichen Rechtsschutz zu erhalten, auszuschöpfen. Der K hat keine anderen Möglichkeiten sich gegen das Urteil zur Wehr zu setzen, somit ist auch die Subsidiarität gegeben.

VII. Frist und Form

K muss die Verfassungsbeschwerde fristgerecht, d.h. gemäß § 93 I 1 BVerfGG innerhalb eines Monats erheben, und nach §§ 23 I, 92 BVerfGG schriftlich und begründet einreichen.

VIII. Ergebnis der Zulässigkeit

Die Klage des K erfüllt sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen und ist zulässig.

 

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde des K

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn K durch das Urteil in seinem Grundrecht aus Art. 5 I 1 GG verletzt ist, § 90 I BVerfGG. Eine solche Verletzung liegt vor, wenn das Urteil in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG eingreift und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

I. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“ und nimmt keine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit des fachgerichtlichen Urteils vor. Insbesondere die einfachrechtlichen Voraussetzungen werden in aller Regel nicht untersucht. Das Bundesverfassungsgericht prüft vielmehr nur die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“. Hierzu gehört bei Strafurteilen z.B. Art. 103 II GG.

Des Weiteren untersucht das Bundesverfassungsgericht das Urteil auf Auslegungsfehler, die eine unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts erkennen lassen. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts liegt danach vor, wenn das Gericht das Grundrecht übersehen hat, ferner, wenn das Gericht das Grundrecht falsch angewandt hat. In solchen Fällen ist insbesondere von Belang, ob das Gericht einen angemessenen Ausgleich zwischen konfligierenden Freiheiten oder Schutzgütern verschiedener Grundrechtsträger vorgenommen hat. Dabei muss es grundsätzlich versuchen, beiden Grundrechten möglichst weitgehende Geltung (sog. „praktische Konkordanz“) zu verschaffen.

II. Eröffnung des Schutzbereichs

Dazu müsste zunächst der Schutzbereich in persönlicher und sachlicher Hinsicht eröffnet sein. K kann sich als natürliche Person auf Art. 5 I 1 GG berufen, er ist Grundrechtsträger. Schutzgut des Art. 5 I 1 GG ist die Freiheit der Meinungsäußerung, d.h. die Mitteilung oder Bewertung von äußeren oder inneren Vorgängen (Tatsachen) – unabhängig von der gewählten Form. Die fallgegenständliche wertende Äußerung des K über Soldaten stellt eine Meinungsäußerung in diesem Sinne dar, so dass der Schutzbereich von Art. 5 I 1 GG eröffnet ist.

III. Eingriff in den Schutzbereich

Das Strafurteil gegen K müsste einen Eingriff in den Schutzbereich darstellen. Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht Das Strafurteil schränkt die Meinungsäußerungsfreiheit des K ein, indem es negative Sanktionen an die Äußerung „A soldier is a murder“ knüpft. Ein Eingriff liegt also vor.

IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das Urteil ist nur gerechtfertigt, wenn § 185 StGB formell und materiell verfassungsmäßig ist und diese Norm durch das Gericht richtig angewandt wurde.

1. Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB

Das Urteil beruht auf § 185 StGB. Diese Norm müsste mithin verfassungsgemäß sein.

a) Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB

Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit (Zuständigkeit, Verfahren und Form) des § 185 StGB bestehen keine Bedenken, insbesondere ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art. 74 I Nr. 1 GG gegeben.

b) Materielle Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB

§ 185 StGB müsste auch den materiellen Anforderungen entsprechen, d.h. die Norm muss insb. dem Bestimmtheitsgebot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.

aa) Einschränkbarkeit von Art. 5 I GG (Bestimmung der verfassungsrechtlichen Schranke)

Gemäß Art. 5 II GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (sog. qualifizierter Gesetzesvorbehalt). Im vorliegenden Fall kommt sowohl die Schranke der persönlichen Ehre als auch die der allgemeinen Gesetze in Betracht. Zunächst muss dazu aber genauer bestimmt werden, was unter den „allgemeinen Gesetzen“ zu verstehen ist: Allgemeine Gesetze sind daher nicht mit abstrakt-generellen Regelungen gleichzusetzen, denn das Verbot des Einzelfallgesetzes ist in Art. 19 I 1 GG ausdrücklich enthalten. Nach der sog. Sonderrechtslehre sind solche Gesetze „allgemein“, die nicht eine Meinung als solche verbieten, also nicht eine bestimmte Meinung wegen ihrer geistigen Zielrichtung und geistigen Wirkung sanktionieren. Nach der sog. Abwägungslehre sollen diejenigen Gesetze als „allgemein“ gelten, die vor Art. 5 I GG deswegen Vorrang haben, weil sie ein in einer Abwägung mit der Meinungsfreiheit ein wichtigeres bzw. gesellschaftlich wertvolleres Gut schützen. Das BVerfG kombiniert diese beiden Lehren, indem es alle Gesetze, "die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat", als allgemeine Gesetze einstuft. Aufgrund der weiten Auslegung dieser Schranke ist die Schranke des Rechts der persönlichen Ehre regelmäßig mit umfasst. Die strafrechtliche Verurteilung des A wird auf § 130 StGB und § 185 StGB gestützt. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um solche, die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten. Schutzgut des § 130 StGB sind der öffentliche Friede und die Würde des einzelnen Menschen (Art. 1 I GG), während Schutzgut des § 185 StGB die persönliche Ehre ist, die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aus Art. 2 I 1 i.V.m. Art. 1 I GG ebenfalls selbst grundrechtlichen Schutz genießt. Diese Grundrechte genießen Vorrang vor der Betätigung der Meinungsfreiheit. Insbesondere höhere Werte als der Schutz der Würde ist dem Grundgesetz nicht bekannt. Bei den Vorschriften, auf die sich die Verurteilung stützt, handelt es sich also um allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG.

bb) Bestimmtheitsgebot, Art. 103 II GG

Darüber hinaus müsste die Norm dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 II GG genügen. Betrachtet man den Wortlaut der Norm, so drängt sich der Verdacht auf, dass die relative Unbestimmtheit des Tatbestandes des § 185 StGB seine Verfassungsmäßigkeit in Frage stellen könnte. Es findet sich auch keine Definition des Begriffs der „Beleidigung“. Das Bundesverfassungsgericht hält § 185 StGB jedoch für verfassungsgemäß, da in einer „über hundertjährige(n) und im wesentlichen einhellige(n) Rechtsprechung“ dieser Straftatbestand „einen hinreichend klaren Inhalt“ erlangt hat.

cc) Verhältnismäßigkeit

Als grundrechtsbeschränkendes Gesetz muss § 185 StGB den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen, mithin einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein.

Beachte: Es wäre verfehlt hier schon konkret mit den Angaben aus dem Sachverhalt die Verhältnismäßigkeit des § 185 StGB festzustellen. An dieser Stelle wird die Verhältnismäßigkeit ganz abstrakt geprüft (Entspricht § 185 StGB allgemein – losgelöst vom konkreten Fall – den verfassungsrechtlichen Anforderungen?). Ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Einzelfall verhältnismäßig ist, kann nur auf der Anwendungsebene beantwortet werden, da insoweit – im Rahmen des § 193 StGB – eine konkrete Abwägung der jeweils streitgegenständlichen ehrverletzenden Äußerung und dem Achtungsanspruch des Verletzten zu erfolgen hat.

(1) Legitimer Zweck

Die Regelung des § 185 StGB müsste einen legitimen Zweck verfolgen. Der Ehrschutz ist – wie die Schranke des Art. 5 II GG und der grundrechtliche Schutz durch Art. 2 I, 1 I GG (allg. Persönlichkeitsrecht) zeigt – ein legitimes Ziel.

(2) Geeignetheit

Die Maßnahme müsste auch geeignet sein den Ehrenschutz verwirklichen. Eine Maßnahme ist dann geeignet, wenn sie den legitimen Zweck zumindest auf irgendeine Weise fördert. Die strafrechtliche Sanktionierung ist auch geeignet, das Ziel, den Schutz der persönlichen Ehre, zu fördern.

(3) Erforderlichkeit

Darüber hinaus müsste die Maßnahme erforderlich sein, d.h. es darf keine schonendere, aber gleichwirksame, Maßnahme existieren. Um einen wirksamen Schutz gegen Ehrverletzungen durch Dritte zu gewährleisten, ist eine Strafandrohung auch erforderlich – gleich geeignete mildere Mittel sind insoweit nicht ersichtlich.

(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Zuletzt müsste die Maßnahme noch angemessen sein. Das angestrebte Ziel und die dafür in Kauf genommenen Einschränkungen dürfen nicht außer Verhältnis zueinander stehen. Eine übermäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit soll auf Gesetzesebene durch § 193 StGB verhindert werden, der einen schonenden Ausglich der konfligierenden Rechtsgüter erlaubt. § 185 StGB als solcher verstößt mithin nicht gegen das Übermaßverbot.

dd) Keine Verletzung sonstiger Grundgesetzbestimmungen

Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für die Verletzung von Verfassungsbestimmungen.

c) Ergebnis der materiellen und formellen Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB

§ 185 StGB ist sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht verfassungsgemäß.

2. Verfassungsmäßige Anwendung des § 185 StGB

Fraglich ist jedoch, ob das Strafgericht § 185 StGB verfassungsgemäß ausgelegt und angewandt hat.

a) Analogieverbot, Art. 103 II GG

Vorliegend ist fraglich, ob die Rechtsprechung der Strafgerichte insofern bedenklich ist, als sie die sog. „Kollektivbeleidigung“ unter § 185 StGB subsumiert. Bedenken könnten im Hinblick auf das Analogieverbot (Art. 103 II GG) bestehen. Allerdings lässt sich die persönliche Ehre eines Menschen nicht rein individuell und losgelöst von den kollektiven Bezügen, in denen er steht, betrachten. Sein gesellschaftliches Ansehen hängt ebenfalls nicht allein von seinen individuellen Eigenschaften und Verhaltensweisen ab, sondern auch von den Gruppen und Institutionen, denen er angehört bzw. für die er arbeitet. Umgekehrt kann dementsprechend eine „Verunglimpfung“ der Gruppe auch die Ehre der Gruppenzugehörigen berühren. Deshalb ist es im Hinblick auf Art. 103 II GG nicht zu beanstanden, wenn auch Kollektivbeleidigungen nach § 185 StGB bestraft werden.

b) Grundrechtsauslegung

In Betracht kommt jedoch eine verfassungswidrige Auslegung bzw. Anwendung des Grundrechts.

aa) Auslegung von § 185 StGB im Sinne von Art. 5 I 1 GG

Fraglich ist, ob das Amtsgericht die Bedeutung des Art. 5 I 1 GG bei der Auslegung der §§ 185 ff. StGB zutreffend erkannt hat. Hier hat eine umfassende Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut der Ehre andererseits stattzufinden. Art. 5 I 1 GG darf zu keiner Auslegung der §§ 185 ff. StGB führen, dass niemand von diesem Grundrecht mehr Gebrauch macht, weil davon auszugehen ist, dass jegliche (zulässige) Kritik mit Sanktionen bedroht ist.

Weiter muss aber auch in die Waagschale geworfen werden, dass die Meinungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Ordnung von überragender Bedeutung ist. Sie ist schlechthin konstituierend für eine solche Ordnung.

Fraglich bleibt aber weiterhin, inwiefern die Subsumtion der „Kollektivbeleidigungen“ unter § 185 StGB mit Art. 5 I 1 GG vereinbar ist. Zu bedenken ist, dass bei herabsetzenden Äußerungen unter einer Sammelbezeichnung die Grenze zwischen einem Angriff auf die grundrechtlich geschützte persönliche Ehre als Schranke der Meinungsfreiheit einerseits und einer Kritik an sozialen Phänomenen, staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen oder sozialen Rollen und Rollenerwartungen andererseits, für die Art. 5 I 1 GG gerade einen Freiraum gewährleisten will, nicht scharf gezogen werden kann. Im Hinblick auf die sog. „Kollektivbeleidigung“ besteht deshalb die Gefahr einer überschießenden Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit.

Deshalb muss bei der Anwendung von § 185 StGB in diesen Fällen stets geprüft werden, ob durch sie überhaupt die „persönliche“ Ehre der einzelnen Gruppenangehörigen beeinträchtigt wird und ob gewährleistet wird, dass es nicht zur Unterdrückung kritischer Äußerungen über politische und soziale Erscheinungen kommt.

Dazu hat der BGH folgende Voraussetzungen aufgestellt: (1) Es muss sich um eine abgrenzbare und überschaubare Gruppe handeln und (2) die herabsetzende Äußerung muss an ein Merkmal anknüpfen, das bei allen Angehörigen des Kollektivs vorliegt.

In Bezug auf herabsetzende Äußerungen über Soldaten folgt daraus, dass diese nicht mehr geeignet sind, auf die persönliche Ehre des Individuums durchzuschlagen, wenn sie sich auf alle Soldaten der Welt beziehen. Dagegen spricht die Bedeutung des Art. 5 I 1 GG nicht zwingend gegen die strafrechtliche Beurteilung, dass die aktiven Soldaten der Bundeswehr eine hinreichend überschaubare Gruppe darstellen, so dass eine auf sie bezogene Äußerung auch jeden einzelnen Angehörigen der Bundeswehr kränken kann, wenn sie an ein Merkmal anknüpft, das typischerweise auf alle Mitglieder des Kollektivs zutrifft. Inkonsequent wäre es demgegenüber, eine herabsetzende Äußerung auf Soldaten im Allgemeinen nur deswegen speziell auf Soldaten der Bundeswehr zu beziehen, weil diese Teil der Gesamtheit aller Soldaten sind. Eine solche Auslegung der §§ 185 ff. StGB würde auch die Meinungsfreiheit über das Maß hinaus einschränken, das zum Schutz der persönlichen Ehre erforderlich ist und dadurch Art. 5 I 1 GG unzulässig beschränken.

bb) Anwendung der §§ 185 ff. StGB im Einzelfall

Fraglich ist darüber hinaus, ob das Amtsgericht die §§ 185 ff. StGB auf den vorliegenden Fall korrekt im Sinne von Art. 5 I 1 GG angewandt hat. Hier ist zunächst zu fragen, ob das Urteil den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf die Kollektivbeleidigung von Soldaten genügt.

Zunächst stellt sich die Frage, ob das Amtsgericht den Sinngehalt der Äußerung des K richtig erkannt hat. Voraussetzung einer rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ein Urteil, das den Sinn der Äußerung erkennbar verfehlt und darauf die rechtliche Würdigung stützt, verstößt mithin gegen die Meinungsfreiheit.

(1) Ehrverletzender Inhalt in Bezug auf O (ausgehend vom Wortlaut der Äußerung)

In Bezug auf die streitgegenständliche Äußerung müsste also zunächst ein ehrverletzender Inhalt in Bezug auf O festzustellen sein. Angesichts der Mordmerkmale in § 211 StGB beinhaltet die Bezeichnung als Mörder und damit die wertende Gleichstellung mit einem solchen eine erhebliche Kränkung des so Bezeichneten. Aber selbst in der Umgangssprache versteht man unter „Mörder“ eine Person, die „in einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen Lebens beiträgt oder bereit ist“. Der Wortlaut spricht somit für eine tiefe Ehrverletzung auf Seiten des so Bezeichneten. In Bezug auf O kommt es aber darauf an, ob das Amtsgericht davon ausgehen durfte, dass K gerade Soldaten der Bundeswehr – und damit auch den O – meinte. Hier ist zum einen zu berücksichtigen, dass sich die Äußerung des K dem Wortlaut nach auf Soldaten überhaupt, nicht aber auf einzelne Soldaten oder speziell auf diejenigen der Bundeswehr bezieht. Danach hätte das Amtsgericht überlegen müssen, ob sich die Äußerung nicht gegen das Soldatentum und Kriegshandwerk schlechthin richtete, das verurteilt wird, weil es mit dem Töten anderer Menschen verbunden ist, das unter Umständen auf grausame Weise vor sich geht und auch die Zivilbevölkerung trifft. Auch wenn personalisiert von „Mörder“ und nicht von „Mord“ gesprochen wird (was nach der Auslegung des Amtsgerichts hier der Fall ist), kann man die zuletzt genannte Deutungsmöglichkeit nicht ausschließen: Möglicherweise will der sich Äußernde nur in besonders herausfordernder Form darauf aufmerksam machen, dass Töten im Krieg kein unpersönlicher Vorgang ist, sondern von Menschenhand erfolgt. Es ist z.B. nicht auszuschließen, dass er auf das Bewusstsein der Adressaten mit dem Ziel einwirken wollte, die Bereitschaft zur Kriegsdienstverweigerung zu fördern.

(2) Einbeziehung des sprachlichen Zusammenhangs und der außertextlichen Umstände

Des Weiteren sind bei der Sinnermittlung über den Wortlaut hinaus der sprachliche Zusammenhang ebenso wie außertextliche Umstände einzubeziehen. Hier ist insoweit relevant, dass das Transparent des K mit Bezug auf das gerade am Ort stattfindende große Nato-Manöver aufgehängt wurde. Dieser Umstand spricht auch für die Erwägung, dass es möglicherweise nicht um die Diffamierung eines abgegrenzten Personenkreises von Bundeswehr-Soldaten ging, sondern um eine drastische Kritik am Militär an sich.

(3) Ergebnis

Insofern trägt die Begründung des Amtsgerichts bereits die Annahme einer Ehrverletzung des O nicht. Dadurch wird deutlich, dass das Gericht den Sinngehalt der Äußerung des K nicht eindeutig ermittelt hat, insbesondere die genannten alternativen Deutungsmöglichkeiten nicht erwogen hat. Mithin wird K schon aus diesem Grunde durch das Urteil in seinem Grundrecht aus Art. 5 I 1 GG verletzt.

(4) Hilfsweise

Ausreichende Berücksichtigung der Bedeutung des Art. 5 GG durch das Gericht? Selbst wenn man jedoch von einer Ehrverletzung ausginge, wäre fraglich, ob das Gericht bei der Anwendung der §§ 185 ff. StGB, insbesondere bei der Diskussion eines „berechtigten Interesses“ i.S.d. § 193 StGB der Bedeutung des Art. 5 I 1 GG ausreichend Rechnung getragen hat. Über die oben spezifizierte korrekte Ermittlung des Wortsinns der Äußerung hinaus verlangt Art. 5 I 1 GG nämlich eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht, bei der alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind.

Das Amtsgericht hat die Äußerung des K als „Schmähkritik“ gewertet, bei der eine Abwägung zwischen Ehre und Meinungsfreiheit nicht erforderlich sei. Dabei hat es verkannt, dass K mit seiner Äußerung ein Thema angesprochen hat, das die Öffentlichkeit wesentlich berührt. Nach den Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich aber nicht, dass die Diffamierung bestimmter Personen und nicht die Kritik an der Sache (Militär/Kriegsführung) im Vordergrund stand. Von einer Schmähkritik kann danach nicht die Rede sein. Folglich war eine konkrete Abwägung zwischen Ehrenschutz und Meinungsfreiheit geboten, der sich das Amtsgericht mit der unzutreffenden Annahme einer Schmähkritik von vornherein versperrt hat. Dadurch hat es Bedeutung und Tragweite von Art. 5 I 1 GG verkannt.

c) Ergebnis der Grundrechtsauslegung

Das Gericht hat in seiner Entscheidung die Bedeutung und Tragweite von Art. 5 I 1 GG verkannt und damit das Grundrecht nicht korrekt ausgelegt.

3. Ergebnis der verfassungsmäßige Anwendung des § 185 StGB

Der § 185 StGB wurde somit nicht richtig angewandt.

V. Ergebnis verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 I GG kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

 

C. Ergebnis der Verfassungsbeschwerde des K

Die Verfassungsbeschwerde des K ist zulässig und begründet und wird damit Erfolg haben.

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Kommentare

Gast
Do, 16/01/2014 - 12:50

Der Hinweis zur möglichen Prüfung eines allgemeinen Gesetzes ist leider falsch.

Da das BVerfG davon ausgeht, dass auch Gesetze zum Schutz der Ehre "allgemein" i.S.d. Art. 5 II GG sein müssen, wäre es nicht "verfehlt auch nur ansatzweise den Streit um die Bestimmung des Inhalts der Schranke der allgemeinen Gesetze anzusprechen" - vielmehr wäre dies sogar zwingend erforderlich gewesen.

Dominik
Mo, 20/01/2014 - 16:38

Vielen Dank für den Hinweis bzgl. der allgemeinen Gesetze!

Ich habe die Problematik nun in die Falllösung eingearbeitet und den (falschen) Hinweis auf die allgemeinen Gesetze entfernt.

Der Autor

Gast
Mi, 31/12/2014 - 21:15

Das Problem ist ja, wenn die Politik versucht, mit juristischen Mitteln bestimmtes moralisches Handeln zu erzwingen. Das Problem zeigt sich bei der geplanten Strafbarkeit von Sport-Doping (im Gegensatz zu Doping in anderen beruflichen Feldern) genauso. Übrigens gab es schon mal ein Gesetz zum Ehrenschutz deutscher Soldaten - und zwar im Dritten Reich. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde das Gesetz von den Alliierten außer Kraft gesetzt - mit dem Hinweis dass es in Deutschland nie wieder ein solches Gesetz geben solle. (Quelle: http://www.kurt-tucholsky.info/soldaten-sind-moerder ) Es wurde nämlich missbraucht, um missliebige Kritiker mundtot zu machen.

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