von Rechtsanwalt Jörn Linderkamp

Die gute Nachricht zuerst: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, jeder kann sich verbessern! Oft sind es die gleichen (vermeidbaren) Fehler, die Klausurlösungen „verhunzen“. Aber auch die ordentlichen Bearbeitungen ähneln sich stark. Du kannst deiner Klausur ein Qualitätssiegel aufdrücken, wenn du die folgenden Regeln beachtest. Nach meinen Erfahrungen aus Studium und Referendariat und als Korrektor von zivilrechtlichen Examensprobeklausuren landet deine Ausarbeitung bei konsequenter Befolgung rasch im Prädikatsbereich.

Regel 1: Nicht bloß behaupten, sondern argumentieren!

Bsp.: Ein Bearbeiter schreibt lediglich: „Der § 224 I Nr. 4 StGB erfasst nur Mittäter.“

Isolierte Sätze wie diesen hier liest man leider sehr oft. Sie sind für einen Korrektor besonders ärgerlich. Denn der Verfasser hat zwar eine vertretbare Lösung zu Papier gebracht, aber den Lösungsweg verschwiegen! Da liegt der Verdacht nahe, dass er ihn gar nicht kennt. Es ist, als schriebe man bei einer mathematischen Gleichung das Ergebnis „42“ hin, ohne aufzuzeigen, wie man darauf kommt. Nun ist die Zahl ja bekanntlich die „Antwort auf alles“ und einen genauso beliebigen Eindruck hinterlässt der Bearbeiter auch.
Übertragen auf Jura heißt das: Du gewinnst mit „nackten“ Rechtsbehauptungen keinen Blumentopf! Denn einen guten Juristen zeichnet aus, dass er andere Leute von seiner Ansicht überzeugen kann. Wie aber soll das funktionieren, wenn jegliche Argumente fehlen?

Eine Argumentation darf natürlich trotz ihrer Bedeutung auf keinen Fall „im luftleeren Raum“ geschehen oder gar blind aus den Fingern gesogen werden. Daher lautet die

Regel 2: Gehe methodisch vor!

Ziehe deine Argumente aus den Auslegungsmethoden, Umkehr- und Erst-recht-Schlüssen sowie Analogien!

Wenn sich ein Problem stellt, ziehe zunächst den Wortlaut der Norm heran. Gibt dieser schon eine ungefähre Leitlinie vor? Wie ist der Begriff alltagssprachlich zu verstehen? Stimmt dies mit der juristischen Bedeutung überein?

Was sagt die Stellung der Norm im Gesetzesgefüge über ihre Auslegung aus? Was steht in den drei Paragraphen vor und hinter der auszulegenden Vorschrift? In welchem Abschnitt steht der Paragraph? Etwa in Ausnahmebestimmungen?

Wofür spricht der Normzweck? Was würde passieren, wenn es diese Bestimmung nicht gäbe (Streichhypothese)? Werden übergeordnete Ziele verfolgt (z.B. Verbraucherschutz, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Formalisierung des Verfahrens)? Wer wird begünstigt, wer belastet?

Historie und Normgenese sind für die Klausur hingegen regelmäßig unbrauchbar. Wer kann schon die „Motive des BGB“ aus dem Stegreif zitieren?

Wertvoller sind da schon Umkehr- und Erstrechtschlüsse: Wenn eine Phantasienorm folgenden Wortlaut hätte:

„Es ist verboten X zu tun, wenn dabei ein Hut aus Leder getragen wird und zuvor nicht drei Tage lang die Sonne geschienen hat.“

kann man daraus schließen, dass man X erst Recht tun darf, wenn vier Tage lang die Sonne geschienen hat. Und im Umkehrschluss bedeutet es, dass X erlaubt sein muss, wenn man einen Seidenhut trägt.

Auch sehr beliebt sind Analogien, die von den Studierenden durchaus gerne „aus dem Hut gezaubert“ werden. Wenn du die analoge Anwendung einer Norm erwägst, ist es unbedingt erforderlich, dass du ihre Voraussetzungen nennst, die da lauten:

• planwidrige (!) Regelungslücke
• vergleichbare Interessenlage

Das wirkt nicht nur professioneller, sondern du disziplinierst dich auch. Denn gerade bei Analogien bewegt man sich schnell auf reichlich dünnem Eis, da sie notwendig extra legem stattfinden, das Gesetz dir also kaum verbindliche Vorgaben macht.

Hilfreich ist es auch, die Gesetzesstruktur zu kennen, also gleichsam die „Methodik des Gesetzgebers“. Es gibt verschiedene, immer wieder auftauchende Fallgruppen:

Normenhierarchie: Das speziellere Gesetz („lex specialis“) verdrängt das allgemeinere. Es ist daher falsch, sofort auf Art. 2 I GG zu springen, wenn Art. 11 GG greifen könnte. Du solltest ferner nach Bestimmungen suchen, die die Anforderungen an treugerechtes Verhalten einzelfallbezogen regeln (z.B. § 314, 251 II 1 BGB), ehe du die Keule des § 242 BGB schwingst, auch wenn sie natürlich mitunter dein Notanker sein kann.

Befugnisnormen: Aufgabenbestimmungen und Befugnisnormen sind nicht dasselbe! So führt § 1 NSOG die Aufgaben der Ordnungsbehörde auf. Eingriffe kann die Behörde aber nur auf die Befugnisnormen der §§ 11 ff. NSOG stützen! Man erkennt sie in der Regel daran, dass Aussagen zur Rechtsfolge getroffen werden. Die Termini „ist“, „muss“ und „hat…zu“ zeigen eine gebundene Entscheidung, die Ausdrücke „kann“ und „darf“ ein behördliches Ermessen. Dazwischen stehen „Sollvorschriften“: Hier hat die Behörde i.d.R. so zu handeln, wie es das Gesetz vorsieht (intendiertes Ermessen), es sei denn es liegt ein Ausnahmefall vor. In der Klausur musst du dich fragen, ob ein solcher „atypischer Fall“ vorliegt. Worin könnte die Abweichung zur gesetzlichen Leitlinie bestehen?

Womit wir beim Regel-Ausnahmeprinzip wären, das viele Gesetze und Einzelnormen verfolgen. Du erkennst es an Ausdrücken wie „es sei denn…“, „wenn nicht…“ oder „außer…“. In solchen Fällen formulierst du z.B. folgendermaßen: „Grundsätzlich können Forderungen nicht gutgläubig erworben werden. Etwas anderes gilt im Falle des § 404 BGB, wenn…“

Ein Sonderfall ist die sog. „Regelbeispielstechnik“: Das Signalwort „insbesondere“ deutet auf sie hin. Es liegt in diesen Fällen keine abschließende (enumerative) Aufzählung des Gesetzes vor, sondern es werden nur typische Beispiele aufgelistet. Diese Technik ist beliebt, weil der Gesetzgeber mit ihr die Rechtsanwender in eine bestimmte Richtung drängen kann, ohne deren Entscheidungsspielraum – vor allem bei unvorhergesehenen oder neuartigen Konstellationen – über Gebühr einzuengen. Fälle, die außerhalb des Katalogs stehen, aber eine identische Rechtsfolge auslösen sollen, müssen den anderen Fällen vergleichbar sein. Dies bietet zahlreiche Ansatzpunkte für eine Argumentation – in die eine, wie in die andere Richtung.

Regel 3: Nenne die Normen, so genau wie möglich!

Eine noch so gute Argumentation ist nicht vollends überzeugend, wenn das Gesetz dir nur als Tischdeko dient. Die viel zu oft (!) unterschätzte Regel ist nicht Ausdruck einer seltsamen „Normliebe“ nerdiger Korrektoren, sondern entscheidet über den Wert eines jeden juristischen Textes maßgeblich mit.
Stell dir vor, du sollst zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden und der Richter nennt in seiner Begründung keine einzige Norm. Nichts, niente, nada. Würdest du dem Urteil und der Kompetenz des Richters trauen? Eher nicht. Wäre dies anders, wenn du keine Ahnung vom Recht und deinen Rechten hättest? Nein, im Gegenteil.
Zu einer ordentlichen und aufrichtigen juristischen Arbeit, die sich erfolgreich vor der Gesellschaft verantworten kann, gehört der sorgfältige Umgang mit dem Gesetz. Für eine gute Klausur gilt dies genauso, da der Prüfer „an die Hand genommen“ und von dir durch die Klausur geführt werden will. Weitere positive Effekte:

Genauigkeit: Die Norm ist Ausgangspunkt deiner Prüfung und wird im Obersatz exakt genannt. Denn es ist schon ein erheblicher Unterschied, ob man § 812 I 1 Alt. 2 oder § 812 I 2 Alt. 1 heranzieht. Eine schlampige Zitierung (§ 812 I BGB oder – noch schlimmer – § 812 BGB) ist daher ähnlich notenschädlich wie ein gänzliches Verschweigen der Norm. Werde also so genau wie möglich:
Paragraph, Absatz, Satz (Halbsatz), Alternative (Variante), Nummer, Buchstabe

Legitimation: Eine Norm belegt deine Argumente, vor allem wenn diese dem Wortlaut oder der Systematik entstammen. Dies erhöht die Überzeugungskraft!

Vollständigkeit der Lösung: Weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass man das Gesetz noch einmal (oder im schlimmsten Fall: überhaupt das erste Mal) liest. Dies verhindert Erinnerungsfehler und führt zu manch hilfreicher Entdeckung, insbesondere bei den Normen in der Nähe der eigentlich einschlägigen Vorschrift. Deshalb die Binsenweisheit mit hilfreicher Kernaussage: Juristen lesen weiter!

Regel 4: Drücke dich elegant aus!

Der schriftliche Ausdruck fließt zumindest unterschwellig in jede Klausurnote ein. Vielleicht ist es am einfachsten zu verstehen, wie ein anständiger sprachlicher Ausdruck gelingt, wenn man die Kardinalfehler kennt:

• Umgangs- und Vulgärsprache, Beleidigungen

Verboten sind Ausdrücke wie „gekriegt“ statt „bekommen“, Jugendsprache, Slang, Fäkalwörter sowie Beleidigungen. Dieser Fehler dürfte nur selten vorkommen.

• Wertungen

Häufiger sind da schon Wertungen, die sich leider häufig unbemerkt in die Klausur schleichen, dort aber aufgrund der gebotenen Sachlichkeit nichts zu suchen haben.

„A handelte ungeschickt, indem er die Anfechtung nicht rechtzeitig erklärte. Nun ist die Frist des § 123 leider abgelaufen“

• Bekräftigungsausdrücke

Auch sog. „Bekräftigungsausdrücke“ sind unerwünscht (z.B. zweifellos, ohne Frage, definitiv, auf jeden Fall, sehr). Die Argumentation muss für sich selbst sprechen. Solche Worte kaschieren schlicht Unsicherheit oder werden zumindest so aufgefasst.

• Fachbegriffe und Fremdwörter im Übermaß

Völlig klar, du bist ein(e) Studierende(r) an einer Hochschule und stellst an dich nicht grundlos einen gewissen intellektuellen Anspruch. Besserwisserei und akademisches Geschwafel sind in einer Klausur dennoch unerwünscht. Denk dran: Das wahre Genie drückt schwierige Dinge einfach aus! Lateinische Begriffe und Kalendersprüche ala „condictio ob rem“ oder „iudex non calculat“ sollten daher nur äußerst sparsam oder gar nicht auftauchen. Ein hochkomplexer Satzbau mit Bandwurm- und Schachtelsätzen und einer großen Portion Nominal- und Passivstil stoßen dem Korrektor sauer auf. Gleiches gilt für häufige Rechtsschreib-, Grammatik- und Ausdrucksfehler.

• Signalwörter für den Urteilsstil (gilt derart scharf nur für Studierende)

Begriffe wie da, weil, denn stellen sprachlich das Ergebnis voran. Dies ist der Urteilstil, der in einem juristischen Gutachten nichts zu suchen hat, außer an völlig unproblematischen Stellen und auch dort nicht allzu häufig. Benutze besser sog. „Folgerungsbegriffe“ wie sodass, daher oder mithin oder den „Feststellungsstil“, der ganz ohne die Signalwörter auskommt, aber genauso kurz ist.

Bsp.: „Als körperlicher Gegenstand ist das Buch eine Sache i.S.d. § 90 BGB“ ist ungefährlicher als der Satz „Das Buch ist eine Sache i.S.d. § 90 BGB, weil es ein körperlicher Gegenstand ist“

• Schwafelei

Deine rechtlichen Ausführungen sollten prägnant sein. Die Korrektoren werden dürftig bezahlt, haben also keine Lust, das „Alte Testament in Klausurform“ zu lesen oder Bearbeitungen, die so weit ausholen, dass man ein „Es war einmal…“ hinzudenkt.

Merke: Wer sich windet, wiederholt oder widerspricht, wirkt nicht souverän! Das „Herumreden um den heißen Brei“ kostet zudem wertvolle Zeit und damit weitere Punkte, die man anderweitig liegen lassen muss.

Nun haben wir uns – typisch Juristen! – einer soliden Sprache über Verbote genähert. Natürlich gibt es auch Stilmittel und Satzbausteine, die die bestechlichen Herzen deiner Korrektoren höher schlagen lassen. Sie erleichtern dir zudem die sprachliche Umsetzung und adressatengerechte Verpackung deiner Gedanken.

Beispiele: „Es kann dahinstehen, ob der Anspruch aus…verjährt ist. Jedenfalls ist er verwirkt.“

(Dieses Stilmittel sollte für das erste Examen mit Vorsicht genossen werden, da du dir auf diese Weise leicht Probleme abschneiden kannst.)

„Zwar fordert die Rechtsprechung einen groben Verstoß gegen…Indes wird dies bei Vorsatz stets angenommen.“

„Gegen diese Sichtweise spricht schon der Umstand, dass…Es wird durch die Erwägung, dass…nochmals gestützt.“

„§ x ist so auszulegen...Dagegen spricht auch nicht der Einwand (der Gedanke, der Wortlaut)…Zuletzt steht dem der Umstand, dass…nicht entgegen.“


Die letzte Argumentationsstruktur empfiehlt Metz in seinem lesenswerten Buch „Spitzenklausuren im Assessorexamen“. Das Prinzip funktioniert aber auch schon im Studium. Der Clou ist, dass man sein Argument im Grundsatzbereich verortet und die Gegenansicht in die Ausnahme drängt, die in negativer Struktur Schritt für Schritt abgelehnt wird:

"Es gilt X (Grundsatz). Dagegen spricht nicht…Auch…steht dem nicht entgegen (Negativstruktur)."

Durch diesen Trick senkt man die Begründungshürde für die eigene Position, die damit mehr Überzeugungskraft erlangt.

Hilfreich ist auch „Jura-Schnack“. Dir ist sicher schon einmal aufgefallen, dass viele Professoren und Lehrbuchautoren „gleichsam“ schreiben statt „gewissermaßen“, von „indes“ reden und nicht von „allerdings“, „freilich“ dem Ausdruck „natürlich“ vorziehen und von „wenngleich“ sprechen, wo Otto-Normal-Bürger „obwohl“ sagen würden. Auch wenn es nicht deinem Alltagssprachgebrauch entsprechen sollte: Nutze diese Begriffe und signalisiere so Augenhöhe und Dazugehörigkeit zum "juristischen Zirkus".

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Regel 5: Streite dich wie ein Profi!

Vorab ein Beispiel:

Kandidat 1 schreibt: „Die herrschende Lehre sagt Hü und begründet dies mit…Der BGH sagt Hott und stützt sich auf…Hier ist Hü anzunehmen…"

Kandidat 2 schreibt: „§ X könnte man einerseits als Hü verstehen…Dafür spricht der Sinn und Zweck des Haftungsrechts. Man könnte ihn aber auch als Hott auslegen. Für diese Sichtweise spricht die systematische Stellung im Abschnitt über…“

Mal ehrlich: Wen findest du souveräner? Kandidat 2? Und wer, glaubst du, bekommt am Ende die bessere Note? Eben. Streite daher nicht wie ein blutiger Anfänger, als wärst du gestern noch von der letzten O-Wochen-Fete nach Hause getorkelt. Die herkömmliche Art der Streitdarstellung (Die herrschende Lehre sagt A, die Rechtsprechung sagt B…) wirkt schnell etwas stümperhaft und wie auswendig heruntergebetet. Weitere Schwäche: Sie verführt dazu, sich auf Scheinautoritäten wie den BGH, die ständige Rechtsprechung oder die „ganz herrschende Meinung“ zu verlassen, die eigene Argumente nicht ersetzen können. Und: Die „Profimethode“ hat den Begleitnutzen, dass die Auslegungsmethoden bemüht werden, was erschreckend Wenige tun.

Regel 6: Denke im Schnellballsystem!

Vor allem im Zivilrecht ist ein „Schnellballdenken“ elementar wichtig. Vielleicht versteht man es am besten am Beispiel des § 823 I BGB:

Könntest du der Norm einen Sachverhalt subsumieren, ohne in einen anderen Paragraphen hineinzuschauen? Wohl kaum. Stell dir vor, das verletzte Rechtsgut ist das Eigentum. § 903 BGB verrät nun, dass man nur an Sachen Eigentum haben kann. Was Sachen sind, bestimmt der § 90 BGB in Form einer Legaldefinition. Gelangt man zum Verschulden, schreibt man hin, dass dies Vorsatz und Fahrlässigkeit umfasst (§ 276 Abs. 1 BGB). Es liegt nun aber Fahrlässigkeit nahe, die § 276 Abs. 2 BGB freundlicherweise beschreibt. Was eigentlich alles unter den Begriff des Schadens fällt, klären die §§ 249 ff. BGB.

Aber halt: Immer? Es gibt ja noch die §§ 842 ff. BGB. Hier wird eine weitere Grundtechnik der Gesetzgebung deutlich: Das „Vor-die-Klammer-ziehen“. Die §§ 249 ff. enthalten das allgemeine Schadensrecht, die §§ 842 ff. deliktische Sonderregeln.

Regel 7: Hinterfrage den Normzweck!

Wer verstanden hat, dass sich eine Gabel gut zum Aufpieksen fester Nahrung eignet, einen aber vor einer warmen Suppe verhungern lassen kann, während ein Löffel nur bedingt zum Schneiden taugt, hat etwas genauso Simples wie Zentrales verstanden: Den Zweck von Gegenständen und dessen Grenzen. Nun sind Rechtsnormen natürlich nicht so intuitiv handhabbar, das Prinzip bleibt aber dasselbe: Wenn du verstanden hast, dass § 263a StGB die Lücken schließen soll, die der § 263 StGB deshalb hinterlässt, weil ein Mensch getäuscht werden muss (und kein Computer), kannst du dein Wissen schnell wie in einem Baukasten übertragen. Auf diese Weise erhältst du das schlagende Argument, warum das streitige Merkmal „befugt“ täuschungsäquivalent ausgelegt werden sollte (wie es die herrschende Ansicht deshalb tut).

Regel 8: Prüfe schematisch!

Achtung, Missverständnis droht: Ich möchte keinesfalls darauf hinaus, dass man sich sklavisch an Prüfungsschemata halten sollte. Das ist sehr gefährlich, da man so sehr leicht Dinge prüft, auf die es im Fall gar nicht ankommt, sodass die Schwerpunktsetzung leidet. Was ich meine, sind die zentralen Aufbaumuster. Die drei wichtigsten müssten dir geläufig sein. Sie lauten:

• Zivilrecht: Anspruch entstanden? (Nicht) untergegangen? durchsetzbar?

Liegen die Voraussetzungen des Anspruchs vor oder gibt es rechtshindernde Einwendungen (z.B. ein gesetzliches Verbot, § 134 BGB)? Besteht der Anspruch noch oder ist er durch eine rechtsvernichtende Einwendung erloschen (z.B. Erfüllung, § 362 BGB)?
Kann der Anspruch durchgesetzt werden oder ist er durch (dauerhafte oder vorübergehende) Einreden gehemmt (z.B. Verjährung)?

Stelle dir zur Unterscheidung einen Luftballon vor. Wenn er davon fliegt, hast du einen durchsetzbaren Anspruch.

• Nun kann es passieren, dass du gar keine Luft in den Ballon bekommst, weil das Gummi löchrig ist.

= Dann liegen die Tatbestandsmerkmale schon nicht vor.

• Es kann sein, dass jemand die Luft wieder herauslässt, ehe du den aufgepusteten Ballon zuknoten kannst.

= Das sind rechtshindernde Einwendungen.

• Du hast deinen Luftballon erfolgreich aufgeblasen. Er fliegt ein wenig in die Höhe. Nun kommt jemand um die Ecke und pikst mit einer Nadel hinein, die Luft entweicht.

= Dies sind rechtsvernichtende Einwendungen, durch die ein Anspruch wieder entfällt.

• Dein Luftballon fliegt zwar, kann aber noch durch ein Netz zurückgehalten werden, wobei nicht klar ist, ob es gespannt wird oder nicht.

= Es liegt eine anspruchshemmende Einrede vor, auf die sich der Schuldner aber eigens berufen muss.

• Strafrecht: Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld

Liegen die Voraussetzungen des Straftatbestands objektiv und subjektiv vor? Ist dem Täter das „vertypte Unrecht“ ausnahmsweise erlaubt, z.B. weil er in Notwehr oder mit Einwilligung handelte? Kann man ihm das begangene Unrecht persönlich vorwerfen oder gibt es besondere Gründe (z.B. Alter, Rausch) dies nicht anzunehmen?

• Öffentliches Recht: Rechtsgrundlage, formelle und materielle Rechtmäßigkeit

Hatte die Behörde eine Befugnis, zu handeln? War sie zuständig, verfuhr sie ordnungsgemäß und hielt sie die Formvorschriften ein? Erfüllt das Handeln den Tatbestand der Rechtsgrundlage? Hat die Behörde eine passende Rechtsfolge getroffen?

Natürlich sind diese drei Schemata noch lange nicht hinreichend. Viele weitere ergänzen das „Rechtssystem im Kopf“. Um nur einige zu nennen:

• Die Klagevoraussetzungen im Verwaltungsprozessrecht
• Die Anspruchstypen im Zivilrecht

Vertraglich – quasivertraglich – dinglich – deliktisch – bereicherungsrechtlich

• Das Schema der Grundrechtsprüfung

Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung

Regel 9: Setze Schwerpunkte!

Wie setzt man gelungene Schwerpunkte, wie sie jeder Korrektor gebetsmühlenartig einfordert? Es gelingt, indem man bei den Problemen des Falls quantitativ mehr und qualitativ tiefergehende Dinge schreibt. Damit ist noch nicht viel gewonnen, denn wie erkennt man überhaupt ein Problem? Hier gilt es das Referendarexamen vom Assessorexamen zu unterscheiden:

Studium: Die Probleme liegen grds. im rechtlichen Bereich. Du erkennst sie mithilfe der sog. „Normallmethode“ (nach F. Haft). Dabei stellst du dir die Frage: Weicht der Klausurfall vom eigentlichen gesetzlichen Prototyp ab? Wenn ja, liegt ein Klausurproblem vor.

Bsp.: Ist eine Hausmauer ein „gefährliches Werkzeug“, obwohl man sie anders als andere typische Gegenstände (z.B. Schraubenzieher) nicht bewegen kann?

Ein großer Teil der Schwerpunktbearbeitung betrifft dann die Frage, ob noch eine hinreichende Ähnlichkeit zum Normallfall besteht (erfolgreiche Subsumtion) oder nicht, was anhand der Auslegungsmethoden zu beantworten ist.

Es gibt Fälle, die so abstrus und „lebensfremd“ scheinen, dass eine Ähnlichkeit zum Normallfall kaum noch besteht. Dies hat die Folge, dass sich viele rechtliche Theorien auftun, die man ohne gezieltes Lernen nicht auf dem Schirm haben kann. Ein solcher Klassiker ist zum Beispiel die sog. „Rose-Rosahl-Problematik“. Dabei geht es um eine Personenverwechslung in der Anstiftungskonstellation, die 1858 das Preußische Obertribunal und über 130 Jahre (!) später den BGH beschäftigte (der „Hoferbenfall“).

Ferner liegen viele Schwerpunkte des ersten Examens bei dogmatischen Abgrenzungsproblemen wie z.B. zwischen Raub und räuberischer Erpressung. Derartige Klausurprobleme gibt natürlich auch im Assessorexamen. Anders als dort hast du aber im Studium die Wahl, ob du der Literatur oder der Rechtsprechung folgst. Nicht selten wird ersteres erwartet, denn die Professoren sind natürlich i.d.R. „Teil der Lehre“.

Referendariat: Die Probleme liegen eher im tatsächlichen Bereich. Viele Probleme sind im Vortrag der Parteien bereits angelegt oder angedeutet.

Typische Phrasen: „Es könne jawohl nicht sein, dass…“, „X ist nicht die richtige Rechtsgrundlage, da ein anderer Sachbegriff gelten muss“ usw.

Im Zivilrecht gelingt ein „Herausschälen der Schwerpunkte“ meist auch über die saubere Trennung von Streitigem und Unstreitigem. Ist dem Klausurtext eine ausführliche Beweisaufnahme beigefügt, verlangt dies in aller Regel, einen Schwerpunkt bei der Beweiswürdigung zu setzen.

In den Klausuren des zweiten Examens wird erwartet, dass man sich mit allen Einwänden der Parteien auseinandersetzt, mögen sich auch noch so abwegig erscheinen. Ziel ist schließlich eine bürgernahe und keine obrigkeitliche Justiz. Einwände kommen besonders häufig im Öffentlichen Recht und im Zivilrecht vor, während es im Strafrecht eher um eine genaue Beweisprüfung samt Aufzeigen etwaiger Widersprüche in den Einlassungen des Angeklagten geht.

Tipp: In meinen Klausuren markiere ich Einwände der passiven Seite (Beklagter, Angeklagter) mit einem Pfeil am rechten Rand (←), die der aktiven Seite mit einem am linken Rand (→). So behältst du die Übersicht. Wer auf alle Einwände sinnvoll eingeht, hat angesichts der vollständigen Lösung eine gute Note (fast) sicher.

Regel 10: Löse deine Klausuren nach einem schlauen System!

Dieser Punkt beinhaltet drei Komponenten: Löse deine Klausuren nach...

I. …System: Die Klausur sollte nicht „wild drauf los“, sondern mit einem schrittweisen Vorgehen gelöst werden.
II.…schlauen System: Gehe prüfungstaktisch vor! Nahezu jeder Sachverhalt gibt indirekte Hinweise auf die richtige Lösung.

Bsp. aus dem 2. Examen: Wenn es auf eine Beweisaufnahme am Ende nicht mehr ankommt, ist die Lösung in aller Regel falsch.

Bsp. aus dem 1. Examen: Wenn sich offensichtlich ein Problem auf der Rechtswidrigkeitsebene auftut, ist es nicht sinnvoll, den Tatbestand abzulehnen. Man würde sich sonst ein Problem abschneiden.

III….einem schlauen System: Es sollte bei einem eigenen System bleiben, auf das du dich verbindlich festlegst. Die eine Patentlösung gibt es allerdings nicht.

Da du ein eigenes System finden sollst, beschränke ich mich hier auf einige Tipps:

• Lese die Fallfrage (bzw. den Bearbeitervermerk) genau, am besten mehrfach. Was sollst du überhaupt tun und wichtiger noch: was nicht? Insbesondere im 2. Examen gibt es oft Themen, die explizit ausgeschlossen werden, oder Prüfungspunkte, die man unterstellen darf (z.B. die Zuständigkeit der Behörde).

Lese den Fall bzw. Aktenauszug und markiere deine „Geistesblitze“ sofort am Rand. Lasse das Gesetz (die Kommentare) jetzt noch geschlossen. Lese den Sachverhalt nun gründlich ein weiteres Mal und suche nach Tatbeständen, Ansprüchen oder Rechtsgrundlagen. Nun darfst du im Gesetz (oder Kommentar) nachschlagen. Markiere dir die Einwände am Rand [eher 2. Examen].

Wenn du nicht weiter kommst, nutze das Stichwort- und Inhaltsverzeichnis deines Gesetzes (oder lese die fettgedruckten Begriffe im Kommentar)

• Fertige nach spätestens 1-1,5 Stunden eine Lösungsskizze. Halte sie so ausführlich, dass du beim Niederschreiben „im Eifer des Gefechts“ nichts vergisst. Sie darf aber auch nicht zu ausführlich werden, denn Punkte gibt es nur für die Reinschrift! Markiere dir die Probleme und Schwerpunkte, z.B. mit Unterstreichungen, Textmarker oder dem Zusatz „(P)“. Benutze ein individuelles Abkürzungssystem, das spart viel Zeit.

Bsp.: „RWK“ für Rechtswidrigkeit oder „RSB“ für Rechtsschutzbedürfnis.

• Beginne nach etwa der Hälfte der Zeit, im Strafrecht gerne früher, in einigen Assessorklausuren auch etwas später, mit der Reinschrift. Bemühe dich, mit sauberer Schrift gutes Deutsch zu schreiben. Argumentiere bei den Schwerpunkten viel, aber stets zielführend. Nenne die Schlüsselbegriffe am Anfang oder am Ende des Prüfungspunkts, damit der Korrektor schön seine Haken setzen kann, darauf wartet er!

Gliedere die Lösung ordentlich. Benutze dazu korrekte Gliederungsebenen – "wer A sagt, muss auch B sagen". Achtung: Zumindest beim Zivilurteil im zweiten Examen ist eine Gliederung nur bedingt erlaubt. Gliedere dort lieber im tatsächlichen Bereich, indem du streitiges und unstreitiges Vorbringen sauber trennst.

Verwende Absätze, am besten nach der Faustregel „Ein Absatz je Gedanke“.

• Nach Fertigstellung der Reinschrift beginnt die Schlussphase, für die du am besten 10-15 Minuten einplanst. Du liest die Arbeit noch einmal durch und bügelst sprachliche Fehler aus. Inhaltlich solltest du möglichst nichts mehr ändern. Die Gefahr ist zu groß, dass du mit den Änderungen nicht mehr fertig wirst oder Widersprüche produzierst, beides wäre für deine Note fatal.

Nummeriere – falls noch nicht geschehen – die Seiten und schreibe auf etwa jede vierte deinen Namen bzw. deine Matrikelnummer. Prüfe, ob alle Seiten in der richtigen Reihenfolge vorhanden sind.

• Für den Umfang gibt es keine allgemeinen Vorgaben, da dieser von zu vielen Faktoren abhängt (Länge des Falls, Schriftgröße usw.). Bei Umfängen über 25 oder unter 12 Seiten solltest du dich allerdings vergewissern, dass du nicht „gelabert“ hast bzw. dass deine Bearbeitung vollständig ist. Länge ist jedenfalls kein Selbstzweck, es lassen sich auch mit relativ kurzen Lösungen gute Noten erzielen. Außerdem sind die Korrektoren keine freien Journalisten und werden nicht pro Zeile entlohnt. Es sollte klar sein, was das bedeutet…

Das waren sie also, meine „Zehn Gebote“. Ich wünsche dir viel Glück bei all deinen Klausuren. Es wird schon hinhauen! Anregungen und Kritik gerne hier in die Kommentare.

Autor: Jörn Linderkamp

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Kommentare

Gast
So, 01/10/2017 - 19:13

Danke für den hilfreichen Beitrag! Gelten die Tipps bzgl. der Länge auch für das 2. Examen? Gerade von Kaiser hört man da oft, es sollten mindestens 20-25 Seiten sein. Von hier aus dem Klausurenkurs habe ich gehört, die Prüfer schauen zunächst kurz auf den Umfang. Alles unter 20 signalisiert dann angeblich schon mal Unvollständigkeit. Was sagst du/andere?

Und Deine Meinung zu »Die „Zehn Gebote“ der perfekten Klausur«

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