Wessels / Hettinger - Strafrecht: Besonderer Teil 1

Wer im Allgemeinen Teil mit Wessels/Beulke angefangen hat, wird wahrscheinlich der Wessels-Reihe treu bleiben, was ganz und gar richtig ist. Der "Grundstein" für das Strafrecht wurde so erfolgreich gelegt und die Annehmlichkeiten der "Schwerpunkte"-Reihe möchte man gleichfalls nicht mehr missen. Seit langem (Erstauflage: 1976) hat sich das zweibändige Lehrbuch zurecht als Standardwerk etabliert. Der 1. Teilband, der von Michael Hettinger fortgeführt wird, erörtert die Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte (auch: Nichtvermögensdelikte) systematisch, ausführlich und zudem in gut verständlicher Art und Weise.

Wie üblich für die "Schwerpunkte"-Reihe orientiert sich die Darstellung am Niveau der Ersten Juristischen Prüfung und bereitet die Materie wissenschaftlich auf. Anhand von ca. 60 Fällen, die jeweils am Anfang eines Abschnitts stehen, wird eine Verbindung zur höchstrichterlichen Rechtsprechung hergestellt und die kurzen Falllösungen mit der abstrakten Stoffvermittlung verbunden. Angesichts der Problemfülle liegt das Schwergewicht dabei auf solchen Fragen, die vor allem für die Anforderungen im Examen und den juristischen Vorbereitungsdienst von besonderer Bedeutung sind.

In diesem ersten Teilband sind Vorschläge zum Prüfungsaufbau nur für die Straftatbestände aufgenommen, die erfahrungsgemäß in Klausur und Examen oftmals eine Rolle spielen und deren Struktur sich nicht schon auf den ersten Blick erschließt (wie etwa Totschlag, einfache Körperverletzung, Hausfriedensbruch). Die Schemata sind stets am Ende der Ausführungen zu finden; allerdings hätten durchaus mehr Tatbestände mit einem Prüfungsaufbau versehen werden können, da diese zum Lernen und während der Hausarbeit für Studierende (gerade der Anfangssemester) ein verlässliches Grundgerüst bieten.

Als "Unsitte" erweisen sich leider die immer noch in den Fließtext eingeschobenen Verweise auf weiterführende Literatur. Dies schadet der Übersichtlichkeit und behindert den Lesefluss. Zumindest die Einschübe im Haupttext sollten in die Fußnoten ausgelagert werden (wie auch bei Wessels/Beulke). Besondere Auswirkungen hat dies sogleich auf die Verständlichkeit der Ausführungen zu Täterschaft und Teilnahme bei §§ 212, 211 StGB (Rn. 145 ff.): Aufgrund der zahlreichen Einschübe ist dieses wirklich komplizierte und höchst prüfungsrelevante Thema nahezu unverständlich, nicht zuletzt jedoch auch deshalb, weil es viel zu kurz dargestellt ist. Etwas besser, aber dennoch keineswegs zufriedenstellend, findet man diesen Abschnitt bei Kindhäuser (§ 2 Rn. 56 ff.), der auch einen Widerspruch in der Ansicht der Rechtsprechung aufzeigt und einen kurzen Ausblick auf eine möglich erscheinende, zukünftige Änderung der BGH-Rechtsprechung gibt (Rn. 62). Wünschenswert wäre eine grafische Aufbereitung der Problematik in Form einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ansichten.

Die visuelle Aufbereitung kann nicht insgesamt überzeugen: Zum einen werden Schriftstile nicht konsequent (Fett- und Kursivdruck abwechselnd) und zu häufig für Hervorhebungen benutzt; darüber hinaus könnte der Text für bessere Übersichtlichkeit teilweise kleinteiliger untergliedert werden (exemplarisch § 8 IV 2, 3). Insbesondere zur Wiederholung wäre es hilfreich, wenn die wichtigsten Definitionen einfacher aufzufinden wären.

Ein dauerhafter Lernerfolg wird erreicht, wenn die ausführlichen Rechtsprechungshinweise zum Anlass genommen werden, zumindest grundlegende Entscheidungen nachzulesen und ihre Argumentation kritisch aufzunehmen.

Die Neuauflage berücksichtigt Rechtsprechung und Schrifttum bis Juni 2012. Die Rubrik "Die aktuelle Entscheidung" zeigt jüngste Rechtsprechungsentwicklungen im Bereich der Delikte gegen Person und Allgemeinheit, die noch im Fluss sind und im Hinblick auf Prüfungen besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Fazit: Trotz unserer kritischen Anmerkungen ist und bleibt der Wessels/Hettinger ein gutes Lehrbuch, das aber leider nicht an das hohe Level eines Wessels/Beulke anschließen kann. Vollständige Aufbauschemata zu allen Tatbeständen findet man im Joecks. An der besseren Lesbarkeit durch weniger Einschübe sollte für die nächste Auflage gearbeitet werden. Nicht vergessen werden dürfen hingegen die vielen sehr positiven Merkmale: eine hervorragende Entscheidungssammlung auf CD-ROM, die hohe Aktualität, zahlreiche Aufbauhinweise und die insgesamt verlässliche Darstellung aller examensrelevanten Problembereiche.

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