Ärger beim Häuserbau Teil 4 - Einwände und Gegenwehr

von iurastudent · Juristische Nachrichten

Dieser vierte Teil der Reihe "Ärger beim Häuserbau" soll sich mit den möglichen Gegenargumenten beschäftigen, die gegenüber den Banken, die einen Widerruf ablehnen, vorgebracht werden könnten.

Der Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
Um mit dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens aufzuräumen, können einige Punkte gegen diesen Vorwurf angeführt werden. Der Verbraucher muss seinen Widerruf nicht begründen, § 355 I BGB. Daraus muss auch folgen, dass die Motive für seinen Widerruf, und seien sie, wie in den meisten Fällen widerrufener Verbraucherdarlehensverträge, rein wirtschaftlicher Natur, da die Verbraucher neue Verträge zu deutlich günstigeren Konditionen abschließen wollen, unbeachtlich sind.1 Ein Recht wird regelmäßig nur in den Fällen ausgeübt, in dem es für den Rechtsausüber keine Nachteile mit sich bringt. Auch zu missbilligende Motive sind nicht automatisch rechtsmissbräuchlich.2 Das Widerrufsrecht entsteht einzig und allein auf Grund der „Dokumentenlage“ und kennt keine „Motivkontrolle“.3 „Eine allgemein sittlich-rechtliche Verpflichtung, eine Rechtsposition nur deswegen preiszugeben, weil sie die Gegenpartei übermäßig beschwert, existiert nicht.“4 Da das Rückgewährschuldverhältnis auch dem Kreditgeber Nutzungsentschädigungen zuspricht, wird dieser außerdem gerade nicht besonders beschwert. Bei Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung liegen grundsätzlich „keine der drei anerkannten Fallgruppen einer Rechtsmissbrauchs im engeren Sinne vor“.5

Im Ergebnis darf § 242 BGB nicht dazu benutzt werden dem Verbraucher seinen Rechtsgebrauch unmöglich zu machen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausübung des Widerrufsrechts grundsätzlich rechtsmissbräuchlich ist. Insofern bedürfte es stets einer Einzelfallprüfung.


Verwirkung
Die Verwirkung wird im BGB nicht definiert, auch wenn sie in Spezialgesetzen außerhalb der Regelungen für den Darlehensvertrag erwähnt wird.6 Für alle anderen Anwendungsbereiche wird sie aus § 242 BGB abgeleitet. Die Verwirkung setzt einen Zeit- und einen Umstandsmoment voraus, sowie einen Vertrauensmoment und einen unzumutbaren Nachteil für den Verpflichteten.7 Der reine Zeitablauf reicht dabei nicht aus8, es müssen besondere Gründe hinzukommen, die die Inanspruchnahme des Widerrufsgegners treuwidrig erscheinen lassen.9 Rechtsfolge ist dann die Versagung des Widerrufsrechts des Verbrauchers.

Es bleibt festzuhalten, dass der BGH zwar bis jetzt in seinen untersuchten Fällen die Verwirkung des Widerrufsrechts abgelehnt hat10, er hat sie jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Hier stellt sich die Frage, ob es möglich ist, dass das Widerrufsrecht durch Zeitablauf verwirkt.11


Prüfungsreihenfolge
Für den Jurastudenten interessant ist bei der Prüfung der möglichen Verwirkung die in der Literatur unterschiedlich gehandhabte Prüfungsreihenfolge bzgl. der Voraussetzungen für die Verwirkung. Zeit- und Umstandsmoment sind voneinander abhängige, also kumulative Tatbestandsmerkmale. Auch wenn sie sich nicht gegenseitig beeinflussen, bestimmen sie zusammen, in welchen Fällen das Vertrauen des Verpflichteten schützenswert ist.12 In ihrem komplexen Zusammenspiel liegt der Grund für eine problematische Verallgemeinerungsfähigkeit, sodass Einzelfallbetrachtungen die Norm sind. Während viele zuerst den Zeitmoment prüfen empfiehlt es sich (Einzelfallerwägungen berücksichtigen!) zunächst den Umstandsmoment zu erörtern, da von dessen Intensität die Forderungen an die verstrichene Zeit abhängen.13


Prüfungsschema14

  • 1. Ermittlung sämtlicher nach Vertragsschluss erfolgten Verhaltensweisen und Erklärungen des Verbrauchers gegenüber der Bank.
  • 2. Prüfung für jede einzelne Handlung, inwieweit sie der Bank einen Anhaltspunkt für die Annahme geboten hat, der Verbraucher wolle von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen.
  • 3. Untersuchung, wie stark die Bank auf Grund der Gesamtschau dieser Handlungen auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte.
  • 4. Feststellung, ob die Bank im Vertrauen auf den Bestand des Vertrags Dispositionen getroffen hat.
  • 5. Bestimmung auf Basis der Punkte 3 und 4, ab welchem Zeitpunkt die Bank auf den Bestand des Darlehensvertrags vertrauen durfte. Hier ist zusätzlich die Schwere des Beratungsfehlers zu berücksichtigen.
  • 6. Abschließende Feststellungen, ob diese Zeit bereits abgelaufen ist.


Das Umstandsmoment
Das Umstandsmoment enthält  die Ermittlung und Prüfung des Verhaltens des Verbrauchers und als Resultat aus diesem, ob die Bank daraus ableiten konnte und durfte, dass der Verbraucher nicht von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen wolle (Punkte 1 – 3 des Schematas). Damit das Umstandsmoment erfüllt sein kann, bedarf es eines konkreten, das Vertrauen der Bank bildenden Verhaltens des Verbrauchers. Schweigen kommt in diesem Fall (wie sonst auch grds. im Recht) kein Erklärungswert zu.15

 

Beim Umstandsmoment gibt es verschiedene Konstellationen, die berücksichtigt werden müssen. Beispielsweise:

     
  • Umstandsmoment bei vertragsgemäßes Zahlung auf Tilgung und Zinsen
    Es wird von manchen Banken argumentiert, dass sie einen Widerruf nicht zu erwarten haben, wenn die andere Vertragspartei am Vertrag unter Umständen jahrelang festzuhalten scheint. Dabei würde er jedoch für Vertragstreue „bestraft“.16
  •  

  • Schweigen bei gleichzeitigem vertragskonformen Verhalten
    Hier ist fraglich, ob sich aus der Vertragstreue, kombiniert mit Schweigen des Darlehensnehmers, ein Erklärungswert für den Kreditgeber ergibt. Hatte sich der Darlehensnehmer zuvor über die Zinshöhe (oder andere Vertragskonditionen) beschwert, könnte diese Beanstandung den Zeitraum für eine Verwirkung zumindest verlängern.17
  •  

  • Umstandsmoment bei schon vollständiger Darlehensrückzahlung
    Der Gesetzgeber kann das Widerrufsrecht 1 Monat nach vollständig erbrachten Vertragsleistungen ausschließen.18Diese Möglichkeit hat er bei Verbraucherdarlehensverträgen jedoch nicht wahrgenommen.
  •  

  • Umstandsmoment und die Möglichkeit der Nachbelehrung
    Bei fehlender oder falscher Widerrufsbelehrung kann der Unternehmer die Belehrung des Verbrauchers nachholen und damit eine neue Widerrufsfrist in Gang setzen. Stimmen in der Literatur sagen, dass das Umstandsmoment bei Widerruf eines Darlehensvertrags mit unrechtmäßiger Widerrufsbelehrung niemals erfüllt sein kann, da das Gesetz eindeutig festlegte (§ 355 BGB a.F.), dass ohne Nachbelehrung das Widerrufsrecht ewig währt. Die Banken hätten den Schwebezustand selbst beenden können.19
  •  

  • Umstandsmoment bei Kenntnis des Widerrufsrechts
    Wird der Verbraucher (trotz der Kenntnis seines Widerrufsrechts) längere Zeit nach den entsprechenden Grundsatzurteilen des BGH nicht tätig, könnte er dadurch ein Umstandsmoment setzen.


Sonderfälle und Ausnahmen
Eine Verwirkung könnte man auch dann annehmen, wenn die Bank die Dokumente nach dem Gesetz vernichten durfte. Treuwidrig oder auch illoyal handelt der Verbraucher mit Schädigungsabsicht gegen den Unternehmer. In diesem Fall könnte das Widerrufsrecht verwirken. Dies ist jedoch als Ausnahme zu betrachten.


Das Vertrauensmoment – unangemessene Benachteiligung
Die Forderung nach einer Vertrauensdisposition ist in dem 4. Punkt des Schematas zu finden und strahlt auch in den 5. aus, da die im Vertrauen vorgenommene Disposition zu einem Nachteil der Bank geführt haben muss. Die Bank als Verpflichtete müsste in ihrem Vertrauen eine oder mehrere Dispositionen getätigt haben.20 Dass sie sich Hoffnungen auf ein Vertrauen gemacht hat, bedürfe dabei regelmäßig jedenfalls keines Schutzes.

Die Beweislast liegt im Gerichtsverfahren bezüglich der Dispositionen bei der Bank, da sich eine Verwirkung zu ihren Gunsten auswirken würde.21 Der Darlehensnehmer muss das Darlehen der Bank marktüblich verzinsen und ihr als Darlehensgeber entsprechenden Nutzungsersatz bei Rückabwicklung zusätzlich zur vollen Darlehenssumme zahlen. Dies steht der Annahme eines übermäßigen Nachteils des Darlehensgebers entgegen. Auch wenn die Bank die Leistungen des Darlehensnehmers zuzüglich angemessener Verzinsung über die Zeit zurückzahlen muss, dürfte eine Verrechnung nicht zu einer zinslosen Darlehensüberlassung durch die Bank oder gar einem negativen Ergebnis für die Bank führen.


Das Zeitmoment
Das Zeitmoment wird im Schema als Letztes behandelt. Voraussetzung für die Verwirkung ist, dass der Gebrauch des Widerrufsrechts über eine gewisse Zeitspanne hinweg unterlassen worden ist, obwohl er möglich war. Deren Länge ist einzelfallabhängig.22 Da Darlehensverträge regelmäßig bis über viele Jahrzehnte laufen, ist es schwer zu bestimmen, wann eine gewisse „zu lange“ Zeitspanne vorliegt. Das Zeitmoment ist erfüllt, wenn der Verpflichtete nicht mehr damit rechnen muss, dass der Berechtigte seine Befugnis ausübt.23 Der Darlehensgeber muss während der Vertragslaufzeit immer damit rechen, dass der Darlehensnehmer seine Rechte geltend macht, sodass es nur schwer als gerechtfertigt angesehen werden kann, eine Verwirkung vor Beendigung des Darlehensvertrags anzunehmen.

 

Man kann hier zum Vergleich die allgemeinen Verjährungsfristen zur Bewertung heranziehen, denn auch nach der Beendigung des Darlehensvertrags muss das Zeitmoment nicht automatisch erfüllt sein.
Die Verwirkung unterliegt als Gestaltungsrecht nicht der Verjährung. Die gesetzliche Regelverjährung beträgt eigentlich 3 Jahre (§ 195 BGB), sodass sich die Frage stellt, ab wann ein Gestaltungsrecht in einer analogen Anwendung unanwendbar werden sollte bzw. ob es das kann. Fällige Darlehensforderungen eines in Verzug geratenen Darlehensnehmers verjähren nicht nach der Regelverjährung sondern gem. § 497 III BGB erst nach 10 Jahren. Dieser Vergleich gilt jedoch als reine Orientierungshilfe.


Der Zeitraum
Geprüft werden muss zunächst, ab welchem Zeitpunkt das Zeitmoment zu laufen beginnt. Jedenfalls kann dies erst dann der Fall sein, wenn das Recht zum ersten Mal ausgeübt werden konnte.24 Der Unterschied zwischen einer „normalen“ Widerrufsbelehrung und der fehlerbehafteten Widerrufsbelehrung bei manchen Verbraucherdarlehensverträgen liegt darin, dass bei ausgebliebener Belehrung der Verbraucher zwar nichts über das Bestehen seines Rechts weiß oder erahnt, bei einer fehlerhaften Belehrung und damit dem Fall eines „ewigen Widerrufsrechts“ glaubt der Verbraucher jedoch positiv zu wissen, dass ihm gerade kein Recht zustehe.25 Von einem regulären Widerrufsrecht hat der Verbraucher in diesen Fällen zwar Kenntnis, er weiß jedoch nichts von seinem eigenen, theoretisch ewig einlegbaren Widerruf.

Die Gegenstimmen wenden ein, dass es zum Auftritt einer Verwirkung nicht der Kenntnis des verwirkten Rechts bedürfte.26 Jedenfalls kann die Bank sich jedoch erst recht dann nicht auf eine Verwirkung berufen, wenn die Belehrung über das Widerrufsrecht des Verbrauchers ganz unterlassen worden ist.27

In der Literatur und auch in der Rechtsprechung gibt es Stimmen die sagen, dass eine Verwirkung nur bei schon vollständig abgewickelten Darlehensverträgen überhaupt vorliegen kann und bei Widerruf nicht nur ein paar, sondern schon viele Jahre verstrichen sein müssen.28 Bei allen anderen könnten überhaupt keine Dispositionen im Vertrauen getätigt worden sein.

Das OLG Köln hat 2012 geurteilt, dass die Verwirkung nach 7 Jahren nach Vertragsschluss und/oder 5 Jahre nach vollständiger Leistungserbringung eintreten kann.29 Doch selbst, wenn man sich dieser Mindermeinung anschließt und die Einzelfallbetrachtung außer Acht lässt, dürfte diese große Zeitspanne bei den meisten Verträgen nicht verstrichen sein. Bei frühzeitiger Ablösung sollte man sich außerdem das Datum des ursprünglich vereinbarten Vertragsendes anschauen. Auch in diesem Fall scheint ein gesteigertes Vertrauen darauf, der Kunde werde keinen Gebrauch von seinem Widerrufsrecht machen, noch nicht gerechtfertigt.


Gewicht der Fehlerhaftigkeit im Zeitbezug
Je schwerer die Fehler in der Widerrufsbelehrung, desto größer muss für eine Verwirkung die verstrichene Zeitspanne sein.30 Je größer der Zeitabstand zur Beendigung des Darlehensvertrags, desto wahrscheinlicher könnte eine Verwirkung vorliegen. Wurde das Darlehen durch einen Aufhebungsvertrag, mit dem weitere Ansprüche ausgeschlossen wurden, abgeschlossen, dürfte man jedoch eine Verwirkung annehmen, da bei bewusstem Verzicht des Darlehensnehmers auf weitere Ansprüche der Darlehensgeber nicht mehr mit einem Widerruf rechnen musste.


Bemerkung zur Rechtsprechung
Am 23.06.2015 sollte der BGH (XI ZR 154/14) entscheiden, ob das „ewige“ Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen, bei denen das Darlehen schon vollständig abgelöst ist, verwirken kann. Die Revision wurde jedoch in letzter Sekunde zurückgezogen. Dafür gab es keinen ersichtlichen Grund, insbesondere standen die Erfolgschancen für die Klägerseite alles andere als schlecht.31 Stimmen treten auf, die darüber spekulieren, wie hoch die gezahlte Summe war, mit der die Bank ein Grundsatzurteil umgehen konnte und ob andere Banken in ihren Verbänden daran mitgewirkt haben.32 Im vorliegenden Fall ging es um die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.

Die Rücknahme der Revision kann man zum einen als Enttäuschung werten, da ein verbraucherfreundlichen Urteil zu erwarten war, andererseits könnte es ein Indiz die Angst der Banken und ihr Bewusstsein für ihre Unterlegenheit bei den gerichtlichen Streitigkeiten um das „ewige Widerrufsrecht“ sein.33

Am 23.02.2016 entschied der BGH über die Widerrufbarkeit von zwei Checkbox-Widerrufsbelehrungen von 2011 und 2012 aus dem Sparkassen-Sektor. Nach dieser neuen Entscheidung verstoßen Darlehensgeber nicht gegen das Deutlichkeitsgebot, wenn sie die Widerrufsbelehrung nicht extra optisch hervorheben. Auch Checkbox-Belehrungen seien grundsätzlich keine ablenkenden Zusätze und damit prinzipiell zulässig.34


Hier findest Du den ersten Teil unserer Reihe "Ärger beim Häuserbau":
Teil 1 - Ärger beim Häuserbau

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