Autorin: Rechtsanwältin Vera Oldenburger
Im A-Gutachten wird wie in den Klausuren des ersten Examens geprüft, welche Straftaten eine Person begangen haben könnte. Im Gegensatz zum ersten Examen steht der Sachverhalt jedoch nicht immer fest. Es wird deswegen nicht geprüft, ob sich eine Person tatsächlich wegen eines Delikts „strafbar“ gemacht hat, sondern nur, ob sich die Person einer Straftat hinreichend verdächtig gemacht hat.
Prüfung des hinreichendes Tatverdachts nach §§ 170, 203 StPO:
„Indem der A (Handlung, z.B. das Buch vom Tisch nahm und in seinen mitgeführten Jutebeutel steckte), könnte er sich eines (Delikt z.B. Diebstahls nach § 242 I StGB) hinreichend verdächtig gemacht haben. Ein hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen am Ende einer gedachten Hauptverhandlung eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Dann müsste er eine fremde bewegliche Sache in der Absicht, sich diese rechtswidrig zuzueignen, weggenommen haben…“
- Weiter wie gewohnt im Gutachtenstil die Tatbestandsmerkmale definieren und unter den vorhandenen Sachverhalt subsumieren.
- eindeutig vorhandene und unstreitige Tatbestandsmerkmale im Urteilsstil abhandeln!
- bei nicht feststehendem Sachverhalt beim jeweils relevantem Merkmal: Prüfung der Beweisprognose / Besteht ein Beweisverwertungsverbot ?
Aufbau
I. Einteilung in Handlungsabschnitte
- Gliederung in Handlungsabschnitte mit kurzen Überschriften
- Zeitlich chronologisch
- Bei mehreren Beteiligten ist mit dem Tatnächsten zu beginnen
- Prüfung eines der in Betracht kommenden Delikte und Ablehnung des hinreichenden Tatverdachts, da ein Nachweis der Tatbegehung nicht möglich ist
- Prüfung des anderen in Betracht kommenden Delikts. Ebenfalls Ablehnung des hinreichenden Tatverdachts, mangels ausreichender Beweislage
- Prüfung, ob hinreichend sicher festgestellt werden kann, dass der Beschuldigte entweder den einen oder den anderen Tatbestand verwirklicht hat.
- Prüfung der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der wahlweise in Betracht kommenden Delikte
II. Gliederung des jeweils zu prüfenden Tatbestandes
Grundsätzlich erfolgt die Prüfung innerhalb der Tatbestände der gewohnten Reihenfolge aus dem ersten Staatsexamen. Eine Besonderheit ergibt sich jedoch hinsichtlich möglicher Verfahrenshindernisse und Prozessvoraussetzungen, wie
- Strafantrag
- Verjährung
- Strafklageverbrauch.
Diese sind grundsätzlich stets vor der Prüfung des Tatbestandes zu erörtern. Bei dem Strafantragserfordernis ist jedoch zwischen absoluten und relativen Antragsdelikten zu differenzieren:
- Bei absoluten Antragsdelikten gehört die Prüfung des Strafantrags vor die Prüfung des Tatbestandes.
- Bei relativen Antragsdelikten kann der Antrag auch durch ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung ersetzt werden. Das Vorliegen eines Antrags oder das den Antrag ersetzende öffentliche Verfolgungsinteresse kann wie gewohnt am Ende des Tatbestandes geprüft werden.