§ 104 BGB - Geschäftsunfähigkeit

 

Geschäftsunfähig ist:

  1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
  2. wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

 

A. Einführung zu den §§ 104 ff. BGB
 
I. Allgemeines
Als Unterfall der Handlungsfähigkeit, also der Fähigkeit zu rechtlich relevantem Verhalten, bildet der Begriff der Geschäftsfähigkeit, die Fähigkeit ab, Rechtsgeschäfte selbstständig und mit voller Wirksamkeit vornehmen zu können. 1 Das BGB geht davon aus, dass im Grundfall erst einmal jeder Mensch diese Fähigkeit besitzt. Da mit dieser u.a. eine gewisse Verantwortung gegenüber anderen Teilnehmern des Rechtsverkehrs einhergeht, bedarf es seitens des Erklärenden eines Mindestmaßes an Urteilsvermögen und Einsichtsfähigkeit hinsichtlich des Erklärten und den daraus resultierenden Rechtsfolgen. Die §§ 104 ff. BGB regeln daher - auch zur Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs - (Ausnahme-) Fälle, in denen den Erklärenden ein solches Urteilsvermögen bzw. eine solche Einsichtsfähigkeit fehlt und die daher vor den Gefahren von rechtlich wirksamen Erklärungen geschützt werden müssen.2
 
II. Systematik der §§ 104 ff. BGB
Die §§ 104 ff. BGB gehen dabei von drei Abstufungen der Geschäftsfähigkeit aus. Den Grundfall bildet die in den §§ 104 ff. BGB nicht genannte (volle) Geschäftsfähigkeit. § 104 BGB beschreibt die Geschäftsunfähigkeit, die je nach Alter (Nr. 1) oder nach dem Geisteszustand (Nr. 2) des Erklärenden eintreten soll. Die daraus resultierende Wirkung für derartige Erklärungen beschreibt sodann § 105 Abs. 1 BGB. § 105 Abs. 2 BGB stellt einen Tatbestand auf, der auch Erklärungen bei vorübergehender Störung der Geistestätigkeit des Erklärenden für nichtig erklärt. § 105a BGB fingiert für bestimmte Verträge deren Wirksamkeit, prinzipiell als Ausnahme für die allgemeine Nichtigkeitswirkung nach § 105 Abs. 1, § 104 Nr. 2 BGB. Eine Rückausnahme enthält § 105a S. 2 BGB. § 106 BGB enthält sodann - als dritte Abstufung - die beschränkte Geschäftsfähigkeit, die wie auch § 104 Nr. 1 BGB an das Alter des Erklärenden anknüpft und im Hinblick auf die Folgen der beschränkten Geschäftsfähigkeit auf die §§ 107 - 113 BGB. Diese Vorschriften enthalten Regelungen, nach denen eine Erklärung eines beschränkt Geschäftsfähigen rechtliche Wirkung entfalten kann, bzw. inwiefern der Vertragspartner einen (schwebend unwirksamen) Vertrag widerrufen kann (§ 109 BGB).3 Dabei sind die §§ 104 ff. BGB auf alle Rechtsgeschäfte des Privatrechts (und auf geschäftsähnliche Handlungen entsprechend) anwendbar. Zu beachten sind ferner insbesondere die familien- und erbrechtliche Sondervorschriften hinsichtlich der Ehefähigkeit (§§ 1303ff. BGB) und Testierfähigkeit (§§ 2229 ff. BGB).4
 
III. Telos der §§ 104 ff. BGB Die §§ 104 ff. BGB dienen in der Hauptsache dem Schutz des nicht voll Geschäftsfähigen vor den Folgen seiner Erklärungen und gehen als absolute Schutzvorschriften auch dem Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs vor. Rüthers/Stadler § 23 Rn. 3; Jauernig/Jauernig § 104 Rn. 3. Sie dienen aber auch der Leichtigkeit und Sicherheit des Rechtsverkehrs, indem sie potentiellen Vertragspartner die Entscheidung über die Mündigkeit des Erklärenden abnehmen.5
 
 
B. Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit
 
I. Geschäftsunfähigkeit aufgrund des Alters - § 104 Nr. 1 BGB
Gem. § 104 Nr. 1 ist geschäftsunfähig, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat. Kinder sind demnach bis zum Tag ihres siebenten Geburtstages um 0.00 Uhr geschäftsunfähig (§ 187 Abs. 2 S. 2 BGB), danach sind sie gem. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig.6
 
 
II. Geschäftsunfähigkeit durch krankhafte Störung - § 104 Nr. 2 BGB
1. Begriff und Bedeutung
Gem. § 104 Nr. 2 BGB ist ebenfalls geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht dieser Zustand seiner Natur nach vorübergehend ist. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für diese Form der Geschäftsunfähigkeit auf drei Merkmale an. Der Erklärende muss sich (1.) in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, der (2.) die freie Willensbestimmung ausschließt und der (3.) nicht vorübergehender Natur ist.
 
a. Krankhafte Störung der Geistestätigkeit
Der Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist in seiner historischen Entstehung dem Strafrecht des endenden 19. Jahrhunderts entlehnt. Gleichwohl ist der Begriffsbestandteil der Geistestätigkeit iSd Zivilrechts weiter gefasst als der strafrechtliche und beinhaltet alle psychischen Vorgänge und Abläufe mit besonderem Augenmerk auf das voluntative Element der Willensbildung.7 Umfasst werden damit sowohl die Geisteskrankheit als auch die Geistesschwäche, wobei es nicht auf die exakte medizinische Einordnung ankommt.8 Krankhaft ist eine Störung, unter der jede Abweichung von der normalen psychischen Beschaffenheit zu verstehen ist, nach dem juristischen Krankheitsbegriff dann, wenn die Wirkungen der Abweichung denjenigen psychischen Störungen gleichkommt, an deren krankhaftem Charakter kein Zweifel besteht.9
 
b. Ausschluss der freien Willensbildung
Ein Ausschluss der freien Willensbildung liegt vor, wenn jemand außer Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln, der Betroffene also nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.10 Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob - nach Abwägung des Für und Wider und bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte - eine freie Entscheidung möglich ist oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn Einflüsse Dritter den Willen des Betroffenen übermäßig beherrschen, er von diesen Einflüssen also geleitet wird.11 Der Ausschluss der freien Willensbildung muss auf der krankhaften Störung der Geistestätigkeit beruhen.12
 
c. Andauernder Zustand
Geschäftsunfähigkeit ist nur dann zu bejahen, wenn dieser Zustand seiner Natur nach nicht vorübergehend ist. Es wird also ein andauernder auf der krankhaften Störung beruhender Ausschluss der freien Willensbildung vorausgesetzt.13 Bei der Beurteilung über die Dauerhaftigkeit ist nicht auf mögliche Heilungschancen oder ähnliches abzustellen. Es geht vielmehr um eine Kontinuität des Ausschlusses der freien Willensbildung als um eine mehr oder weniger lange Zeitspanne, innerhalb derer dieser akkut ist. Bei vorübergehenden Störungen kann die betreffende Erklärung jedoch nach § 105 Abs. 2 BGB nichtig sein.14 Sogenannte Lichte Momente, also Momente, in denen der eigentlich Geschäftsunfähige dennoch einen freien Willen bilden und diesen erklären kann, führen dazu, dass in diesem Moment keine Geschäftsunfähigkeit gegeben ist, da sich der Betroffene dann nicht in dem von § 104 Nr. 2 BGB geforderten Zustand befindet.15
 
2. Partielle und relative Geschäftsunfähigkeit
Die Geschäftsunfähigkeit muss sich nicht auf alle Lebensbereiche erstrecken, sondern kann auch nur für einzelne, gegenständlich abgrenzbare Bereiche gelten, welche durch die krankhafte Störung betroffen sind; bspw. bei Querulantenwahn, krankhafter Eifersucht, etc (partielle Geschäftsunfähigkeit).16 Eine Geschäftsunfähigkeit, die sich lediglich auf besonders schwierige Geschäfte bezieht (relative Geschäftsunfähigkeit), ist demgegenüber nicht anerkannt, da die §§ 104 ff. BGB nicht vor Unwissen bzw. Unkenntnis schützen sollen, sondern vor Erklärungen, die ohne Freiheit des Willensentschlusses abgegeben wurden – nicht die Fähigkeiten des Verstandes sind ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses.17
 
 
C. Folgen der Geschäftsunfähigkeit siehe hierzu "§ 105 BGB - Nichtigkeit der Willenserklärung"
  • 1. Jauernig/Jauernig § 104 Rn. 1f.; Palandt/Ellenberger Einf v. § 104 Rn. 1.
  • 2. Rüthers/Stadler § 23 Rn. 1f.; Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rn. 1f.; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 2; Heim JuS 2003, 141, 142.
  • 3. vgl. hierzu auch Heim JuS 2003, 141, 142.
  • 4. Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rn. 3; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 7; Jauernig/Jauernig § 104 Rn. 4f.
  • 5. Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rn. 2.
  • 6. Jauernig/Jauernig § 104 Rn. 6; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 8; Rüthers/Stadler § 23 Rn. 4.
  • 7. Staudinger/Knothe § 104 Rn. 6.
  • 8. BGH WM 1965, 895, 896; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 10f.; Palandt/Ellenberger § 104 Rn. 3.
  • 9. Staudinger/Knothe § 104 Rn. 7f.
  • 10. BGH NJW 1996, 918f.; Palandt/Ellenberger § 104 Rn. 5.
  • 11. BGH NJW 1996, 918, 919.
  • 12. Soergel/Hefermehl § 104 Rn. 5.
  • 13. Staudinger/Knothe § 104 Rn. 12; Palandt/Ellenberger § 104 Rn. 4; Soergel/Hefermehl § 104 Rn. 6.
  • 14. Staudinger/Knothe § 104 Rn. 12.
  • 15. Jauernig/Jauernig § 104 Rn. 7; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 13; Palandt/Ellenberger § 104 Rn. 4; Soergel/Hefermehl § 104 Rn. 6.
  • 16. BGH NJW 1953, 1342; mwN vgl. Palandt/Ellenberger § 104 Rn. 6 sowie Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rn. 11.
  • 17. BGH NJW 1953, 1342f.